Revolution im Kino

Rumänien 1989 Im Rahmen der Reihe "Rekonstruktionen - Filmland Rumänien" liefen in Berlin 17 Filme aus dem Karpatenland der späten 80er und frühen 90er Jahre. Ceaușescu inklusive

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Bauern auf dem Weg zum Markt im Umland von Calugareni
Bauern auf dem Weg zum Markt im Umland von Calugareni

Foto: Daniel Mihailescu/AFP/Getty Images

Grau sind sie geworden, Elena und Nicolae Ceaușescu. Sie im beigen Mantel mit schwarzem Pelz, die Hände im Schoß. Er im dunklen Pelzmantel, die Hände auf dem Tisch. Es sind die letzten Augenblicke des rumänischen Diktatorenehepaars. In einem Schnellverfahren, was der Darsteller des jungen Verteidigers im Interview als zu kurz einschätzt, wird das ergraute Duo zum Tode verurteilt. Schuldig wegen Betrugs am rumänischen Volk. Der ältere Herr auf der Anklagebank mimt Nicolae Ceaușescu derart authentisch, dass der Kinozuschauer meinen könnte, er hätte den Diktator leibhaftig vor sich. Er erkenne das Gericht nicht an, er werde sich nur vor der großen Nationalversammlung verantworten, brüllt er immer wieder in der für Ceaușescu typisch holprig-melodischen Sprechweise. Sein Gesicht wird rot, seine Arme fuchteln wild herum. Elena sitzt verdrossen neben ihm. Sie spricht selten. Die echte Elena hatte ein wesentlich eingefalleneres Gesicht als ihre junge, größere Darstellerin. Wenn sie sich im chaotischen Prozess einmischt, greift ihr Bühnengatte sofort nach ihren Händen im Schoß, um sie zu beruhigen. Wie der echte Gatte.

Der Film „Ultimele zile ale lui Ceaușescu” („Die letzten Tage von Ceaușescu”) (2010) ist ein Film über ein Theaterstück; über ein Stück, was auf Grundlage von Filmmaterial geschrieben wurde. Er vereint in sich dokumentarische Elemente, indem die Schauspieler dieses Stücks aus ihren persönlichen Erinnerungen an den Umsturz 1989 berichten, es werden Originalaufnahmen des Prozesses vom ersten Weihnachtsfeiertag vor 25 Jahren gezeigt und der Film gewährt einen Blick auf das Bühnenstück, was von diesen Ereignissen handelt. Der Kinozuschauer wird zum Theaterzuschauer. So indirekt dadurch die Teilnahme am Geschehen auch sein mag, so unvermittelt wirken doch die Szenen auf den Zuschauer. Jede Geste, jeder Satz stimmt mit dem Original überein. Was die Regisseure Marcel Bächtiger und Milo Rau kreieren, ist ein Psychogramm der Ceaușescus und das eindringliche Portrait des berühmtesten Prozesses der rumänischen Geschichte.

Der dritte Teil der Veranstaltungsreihe „Rekonstruktionen - Filmland Rumänien“ war der rumänischen Revolution von 1989 gewidmet. Siebzehn Dokumentar- und Spielfilme wurden in Zusammenarbeit mit dem Rumänischen Kulturinsitut im Berliner Zeughauskino im Deutschen Historischen Museum gezeigt und gewährten Einblicke in die Zeit unmittelbar vor, während und nach der Wende. Der Film über die letzten Augenblicke im Leben der Ceaușescus als eindringliche Auseinandersetzung mit den Personen Elena und Nicolae Ceaușescu, die das Land knapp 25 Jahre geführt haben, ist vielleicht der Höhepunkt dieser Filmreihe. Er ist ein Scharnier des Vorher und Nachher des 25. Dezember 1989.

Die Anklage bündelt all das Leid und die Unterdrückung, die das rumänische Volk in den letzten Jahrzehnten ertragen musste – gleichzeitig ist sie Rückschau auf den Betrug und das Luxusleben der Angeklagten. Die chaotischen Umstände des Prozesses und die Stille nach den Schüssen lassen aber auch Fragen nach der Zukunft aufkommen. War die Strafe gerechtfertigt? Hätte man sie vielleicht den Rest ihres Lebens unter den Bedingungen der normalen Bevölkerung leben lassen sollen? Das sind Fragen, die noch heute nicht beantwortet sind.

Dass die Wendejahre aber für Rumänien noch viele weitere Ereignisse mit sich brachten, zeigten die übrigen Filme. „Vulpe – Vânător” („Fuchs – Jäger“) (1993) etwa ist die Verfilmung einer Erzählung von Herta Müller, die die Freundschaft zwischen zwei jungen Frauen im Kommunismus zeigt. Die eine eine Lehrerin, die kritische Fragen stellt („Ist das Heranziehen von Schülern zur Tomatenernte nicht Ausbeutung von Minderjährigen?“), die andere eine Schönheit, die ein Verhältnis mit einem Securisten beginnt. Ein perfides Spiel von Drohungen, Einschüchterungen und Schmeicheleien durch die Securitate lässt die Lehrerin immer mehr am System zweifeln und gemeinsam mit einem Freund taucht sie in der Nähe von Temeschwar (Timișoara / Temesvár) unter. Im Fernsehen erfahren sie von den blutigen Ereignissen in der westrumänischen Stadt – wie Tausende zu jener Zeit erleben sie die Revolution im Wohnzimmer.

Auch der Streifen „Nicht aus dem Fenster lehnen“ (1993) portraitiert die Jahre vor der Wende. Die Liebesgeschichte einer Schülerin zu einem Soldaten, und später dieser Schülerin zu einem Schauspieler kommt zunächst harmlos daher. Im Verlauf des Films ändern sich jedoch die Perspektiven: Schülerin – Schauspieler – Soldat. Der Regisseur und Drehbuchautor Nae Caranfil gewährt so einen tiefen Einblick in drei wichtige Lebensbereiche eines Bürgers im rumänischen Sozialismus: Schule, Armee und Kulturleben. Versprecher auf der Bühne und verstörende Anrufe am Morgen schaffen immer wieder ein Gefühl für die dauerhafte Observation durch die Securitate. Es sind insgesamt die Details, die aus diesem Film eine mutige, teils selbstironische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit machen.

Senatorul Melcilor“ (Der Senator der Schnecken“) (1995) ist ein verstörender Film. Rumänien hat sich inzwischen zur Demokratie gewandelt. Keiner weiß genau, was das zu bedeuten hat. Regisseur Mircea Daneliuc präsentiert ein eng verflochtenes Netz von Interessen und Konflikten. Die Hauptfigur, ein eingebildeter, autoritärer, dümmlicher Senator, ist ein Antiheld wie er im Buche steht. Er besucht anlässlich einer Windradeinweihung einen entlegenen Landstrich in den Karpaten, residiert ein paar Tage in einem von Ceaușescu erbauten Sommerschloss, wird von einer Grupper französischer Fernsehjournalisten belagert und soll sich am Ende auch noch um die ethnischen Konflikte im Dorf kümmern. Für die Franzosen lässt der Senator im Hochsommer Schnecken sammeln, indem er das gesamte Dorf zu einer Art Fronarbeit heranzieht. Bei dieser irrwitzigen Aktion wird eine junge Frau von einem Rom vergewaltigt, was Auslöser gewaltsamer Ausschreitungen gegen die Zigeuner“ im Dorf ist. Die Frau selbst verbringt ein paar Tage bei dem Senator, weil sie auf einem Antrag um Landrückgabe seine Unterschrift benötigt. Während der Senator mit seinem kleinen Hofstaat in einem Stausee baden geht („Irgendwo da unten muss die Kirche gewesen sein“ - er bekreuzigt sich im Wasser) brennen im Dorf unten die Hütten und sterben die ersten Roma. Es ist eine unruhige, grausame Zeit, die hier dargestellt wird. So absurd der ganze Streifen erscheinen mag, so nah ist er wahrscheinlich an der katastrophalen, unsicheren Wirklichkeit dieser ersten Nachwendejahre.

Dass nicht nur die Revolution blutig war, zeigt neben diesem Film auch der Dokumentarfilm der Ungarin Réka Kincses, der Tochter eines politischen Aktivisten in den frühen 90er Jahren. In der siebenbürgischen Stadt Neumarkt (Târgu Mureș / Márosvásárhely) kam es 1990 zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der ungarischen und der rumänischen Bevölkerung. „Balkan Bajnok“ („Balkan Champion“) (2006) beschäftigt sich mit einer offenen Wunde der dortigen Bevölkerung, ist aber auch das Porträt eines jahrhundertelangen Konfliktes, der mehr oder weniger offen ausgetragen wird.

Was bleibt nun? Die Filme sind ehrliche Bilder einer unehrlichen Zeit. Sie versuchen einen Eindruck davon zu geben, was es heißt, in einer Diktatur zu leben, und was es heißt, mit dieser Vergangenheit umzugehen. Sie sind mutig, tragisch-komisch, verstörend, aberwitzig und aufwühlend – wie es die Ereignisse, deren 25. Jahrestag sich nähert, selbst waren.

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