Unqualifizierte rumänische vs. qualifizierte deutsche ArbeiterInnen?

Studie Rezension zu "Wirtschaftsnationalismus lokal. Interaktion und Abgrenzung zwischen rumänischen und sächsischen Gewerbeorganisationen in den siebenbürgischen Zentren Hermannstadt und Kronstadt 1868-1914"

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Die Historikerin und Politikwissenschaftlerin Stéphanie Danneberg hat sich im Rahmen ihres Promotionsstudiums mit ostmitteleuropäischem Wirtschaftsnationalismus in der Ausgleichsepoche (1868-1914) befasst. Ihre überarbeitete Dissertationsschrift liegt nun in der Reihe „Schnittstellen“ des renommierten Verlages Vandenhoeck & Ruprecht aus Göttingen vor.

Danneberg geht der Frage nach, wie sich wirtschaftliche und wirtschaftsbezogene Aktivitäten bei den Siebenbürger Sachsen und den Rumänen im Königreich Ungarn gestalteten. Ihr Untersuchungsschwerpunkt liegt dabei auf den Städten Hermannstadt (Sibiu) und Kronstadt (Brașov), die sie als regionale „Zentren“ Siebenbürgens und als „repräsentativ für Regionalstädte des Habsburger-Vielvölkerreichs“ (S. 18f) klassifiziert. Die Autorin begründet ihren mikrogeschichtlichen Ansatz damit, dass die Mikroebene des Lokalen mit der Makroebene des Nationalen verbunden sei (S. 18).

Ihren historischen, bzw. analytischen Vergleich baut die Autorin auf einer umfassenden Quellenbasis auf. Zahlreiches Material fand sie in der Hermannstädter und der Kronstädter Abteilung des rumänischen Staatsarchivs, in den Archiven der Ev. Kirche A.B. und der Brukenthal- Bibliothek. Sie wertete zeitgenössische Presse aus – von insgesamt elf Lokalzeitungen jeweils dutzende Jahrgänge. Ihr lagen Adressbücher von Kronstadt und welche der Hermannstädter Bürger- und Gewerbevereine, sowie ungarische und siebenbürgisch-sächsische Statistiken vor. Nicht zuletzt verwendete Danneberg umfangreiche Fach- und Forschungsliteratur aus dem deutsch-, englisch-, rumänisch- und ungarischsprachigen Raum.

Das Buch, dem kein Vorwort vorangestellt ist, gliedert sich in sieben Kapitel. Nach der Einleitung (S. 11-50) stellt Danneberg die Rahmenbedingungen des Wirtschaftsnationalismus in Siebenbürgen vor (S. 51-116). Lage, Infrastruktur, Wirtschaftszweige, politische Maßnahmen (z.B. die Abschaffung des Zunftzwanges, bzw. Einführung der Gewerbefreiheit 1872) und Bevölkerungsgruppen werden eingehend daraufhin untersucht, inwiefern hier die Wurzeln des Wirtschaftsnationalismus liegen. Das folgende dritte Kapitel (S. 117-163) beschäftigt sich mit dem Kronstädter und Hermannstädter Handwerkswesen und der Fabrikindustrie und ist mit der provokativen Frage „,romänische Fabrikarbeiter' versus ,hochqualifizierte Sachsen'?“ überschrieben. Die Autorin untersucht die jeweiligen lokalen Wirtschaftszweige auf die ethnische Komponente hin, und zwar auf methodisch zumindest fragwürdige Weise, indem sie von (Nach-)Namen auf die Ethnie schließt. Im kurzen viertel Kapitel (S. 165-183) untersucht Danneberg rumänische und sächsische Banken auf ihre „industrie- und nationsfördernde Geschäftspolitik“ (S. 165) hin und kommt zu der Einschätzung, dass es in Siebenbürgen nicht so sehr an Kapital, sondern eher an der Bereitschaft fehlte, in Industriezweige zu investieren (vgl. S. 169f).

„Sächsische Gewerbevereine in Kronstadt und Hermannstadt im Spannungsfeld von ,Nationalinteresse' und lokalem Gemeinnutz“ ist der Titel des fünften Kapitels (S. 185-257). Diesem gegenübergestellt ist das sechste Kapitel (S. 259-333) „Rumänische Gesellenvereine: ,nationalwirtschaftliche' Emanzipation durch das Handwerk“. Diese beiden Kapitel bilden das Herzstück der Arbeit. Die Autorin untersucht hier akribisch unterschiedlichste Aspekte des siebenbürgischen Vereinslebens, wie etwa die Ausbildung von Lehrlingen in Gewerbefachschulen, kulturelle Praktiken, Teilnahme an Gewerbeausstellungen, Stipendien, genossenschaftliche Zusammenschlüsse und die jeweilige ethnonationale Verortung. Ein kurzes Schlusskapitel rundet die Arbeit ab.

Stéphanie Dannebergs Arbeit ist eine detaillierte Chronik des siebenbürgischen Wirtschaftlebens auf lokalem Niveau und zwar mit dem Fokus auf zwei Bevölkerungsgruppen Österreich-Ungarns, die gerade nicht die damalige Titularnation repräsentierten: Rumänen, die gerade erst durch ungarische Gesetzgebung in den Genuss von Bürgerrechten in Siebenbürgen gekommen waren und damit reelle Aufstiegsschanchen - mindestens jedoch Partizipationschancen - erhalten hatten, und Sachsen, die seit jeher eine der drei privilegierten und herrschenden Schichten in Siebenbürgen waren und zum Teil blieben, nun aber mit Magyarisierungsmaßnahmen und Auswanderungswellen zu kämpfen hatten. Erschwerden für die Wirtschaft in Siebenbürgen kamen äußere Faktoren wie etwa der Zollkrieg mit dem Königreich Rumänien (1886-1891) hinzu.

Ohne Zweifel liegt hier ein lesenwertes Buch vor. Allerdings wirkt der Text mitunter derart „hölzern“, dass auch der interessierte Leser Mühe hat, voranzukommen. Die zahlreichen, umfangreichen Fußnoten erleichtern den Lesefluss keinesfalls. Und trotz akribischer Arbeitsweise der Autorin haben sich einige Fehlerchen (Rechtschreib- und Übersetzungsfehler) eingeschlichen. Unerklärlich bleibt auch, weshalb dem Werk ein Personenregistern, jedoch kein Glossar hintangestellt wurde, wieso die Urheberschaft der leider nicht durchgängig vorgenommenen Übersetzungen an keiner Stelle genannt wird und was es mit den zahlreichen Zitaten auf sich hat, die jedem Kapitel und auch dem Buch als solchem vorangestellt sind.

Stéphanie Danneberg schließt mit ihrem Beitrag eine Forschungslücke und zeigt weitere Forschungsdesiderate auf. Es bleibt dem Buch zu wünschen, dass es geduldige und vorinformierte LeserInnen findet, die den Wert der aufgewendeten Arbeit einer Schreiberin schätzen, die manchmal so tief im Stoff zu stecken scheint, dass sie vergisst, dem Leser – oder der Leserin – eine Brücke zu bauen.

Die Rezension wurde 2018 verfasst.

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