Mickey Mouse hat es als popkulturelles Markenzeichen zu Weltruhm gebracht. In diesen Tagen erlebt der beliebte Entenhausener eine ungeahnte Renaissance: Im Streit um die gerechte Verteilung geistigen Eigentums wird Mickey Mouse zur Symbolfigur.
"Befreit die Maus!" heißt es zum Beispiel in diesen Tagen kämpferisch an der Stanford Universität. Dort lehrt der Jura-Professor Lawrence Lessig - jedenfalls, wenn er dazu kommt. Die letzten Monate hat er hauptsächlich damit verbracht, vor dem obersten Gerichtshof der USA ein US-Gesetz aus dem Jahr 1998 anzufechten, das die Gültigkeit von Urheberrechtsansprüchen um 20 Jahre verlängert. Lessig und seine Mitstreiter sehen darin einen Verstoß gegen die US-Verfassung. Der ursprüngliche Zweck der amerikanischen Copyright-Gesetzgebung sei es gewesen, Innovationen zu fördern. Mittlerweile seien die Gesetze jedoch derart pervertiert, dass sie zum Gegenteil beitrügen und das Schaffen neuer Kunstwerke verhinderten, so ihre Argumentation.
Tatsächlich hat sich die Welt seit Einführung des US-Copyrights im Jahr 1790 gehörig geändert. Damals legte der Gesetzgeber eine maximale Schutzfrist von 28 Jahren für geistiges Eigentum fest. Ältere Noten und Texte konnten von jedermann verwendet und verändert wurden, ohne dafür eine Erlaubnis einzuholen oder gar Lizenzen zu zahlen. Mickey Mouse wäre damit heute längst Allgemeingut. Doch in den letzten 40 Jahren verlängerte der Gesetzgeber die Schutzfristen jedes Mal, wenn Disneys Ansprüche bedroht waren - insgesamt elf Mal gab man den Lobbyisten des Medienriesen nach. Spötter sprechen deshalb schon lange vom Mickey Mouse-Gesetz.
Heute sind Werke geistigen Eigentums in den USA bis zu 70 Jahre nach dem Tod des Autors geschützt, Auftragsarbeiten gehen erst nach 95 Jahren in den Allgemeinbesitz über. Auch das deutsche Urheberrecht kennt eine solche 70-Jahres-Frist, in den meisten europäischen Ländern sieht es nicht anders aus. Längst arbeiten Interessenverbände wie die World Intellectual Property Organization (WIPO) daran, diese Fristen über internationale Verträge zu einem weltweiten Standard zu machen. Gerne wird dies als Harmonisierung der weltweiten Copyright-Gesetze bezeichnet. Doch die Realität gibt sich selten so versöhnlich euphemistisch. In vielen Fällen geht dem Unterzeichnen der entsprechenden Abkommen handfester ökonomischer Druck voraus.
So knüpften beispielsweise die USA ihre jüngsten Verhandlungen mit Taiwan über ein bilaterales Handelsabkommen an die Verlängerung des dortigen Copyrights auf 70 Jahre. Als dies publik wurde, gingen taiwanesische Studenten auf die Straße und protestierten gegen die Einmischung der in ihren Augen imperialistischen USA. Auch Abgeordnete wie Chen Chi-Mai von der Democratic Progressive Party bezogen öffentlich Stellung gegen eine Verlängerung der Schutzfristen. Chens Aussagen zufolge würde das Copyright für Mickey Mouse in Taiwan im nächsten Jahr erlöschen. Die Forderung der USA sei deshalb nicht mehr als eine "Disney-Klausel". Die Regierung von Taiwan gab schließlich Anfang Oktober der öffentlichen Meinung nach und erklärte, sich nicht dem Druck der USA beugen zu wollen.
Ginge es nach der Commission on Intellectual Property Rights, dann würden sich möglichst viele Länder ein Beispiel an Taiwan nehmen. Diese Kommission wurde im Mai 2001 von der britischen Regierung gegründet, um die Auswirkungen der Urheberrechtsgesetze auf die Ökonomie von Entwicklungsländern zu untersuchen. Mitglieder der international besetzten Kommission waren unter anderem der Stanford-Professor John Barton, der Londoner Anwalt Daniel Alexander und Professor Carlos Correa von der Universität Buenos Aires.
Im Laufe ihrer Arbeit konsultierten die Kommissare eine Vielzahl von Wissenschaftlern, Firmen und Organisationen auf der ganzen Welt. Das Fazit ihrer im Oktober vorgestellten Studie: Für Entwicklungsländer sind Gesetze zum Schutz geistigen Eigentums mit erheblichen Risiken behaftet. Zwar könnten in Einzelfällen die lokalen Copyright-Industrien gestärkt werden, so die Autoren der Studie. Doch vielfach schützten sie lediglich die Interessen der entwickelten Welt und hemmten das Wachstum der Entwicklungsländer.
Ausführlich widmet sich die Studie dem Internet, das in den letzten Jahren zum Hauptschauplatz der Copyright-Auseinandersetzungen geworden ist. Für viele Menschen in Entwicklungsländern besitze dieses Medium aufgrund fehlender Zugänge bisher noch keine große Bedeutung. Dennoch spiele das Netz auch dort eine "beachtliche Rolle" für Bildung und Forschung. Es könne sogar zur wichtigsten Bildungsressource werden, da seine Nutzung nicht so kostspielig sei wie Aufbau und Unterhaltung von Bibliotheken. Diese Möglichkeiten sehen die Autoren der Studie jedoch dadurch gefährdet, dass Copyright-Inhaber in Europa und den USA ihre Inhalte im Netz nur noch geschützt und gegen Nutzungsentgelte zugänglich machen: "Dies könnte [die Entwicklungsländer] ganz vom Zugriff auf solche Materialien ausschließen und die Teilnahme dieser Länder an der globalen Wissensgesellschaft verhindern."
Im Zentrum der Kritik stehen dabei technische Schutzmaßnahmen, die auch gerne als "Digital Rights Management" bezeichnet werden. Sie ermöglichen es, die Nutzung von Inhalten auf einen einzigen Computer pro zahlendem Nutzer zu beschränken oder das Erstellen von Kopien zu unterbinden. Natürlich lassen sich solche Technologien immer austricksen. In vielen Fällen gibt es dazu sogar gute Gründe: So erlaubt das deutsche Urheberrecht etwa Kopien zum privaten Gebrauch. Doch mit der bald in Kraft tretenden Urheberrechtsnovelle wird das Umgehen von Kopierschutzmaßnahmen strafbar - selbst wenn die Kopie als solche legal sein sollte. In den USA besteht ein solches Verbot mit dem Digital Millennium Copyright Act (DMCA) bereits seit 1998. Mit dem Beitritt zum Copyright-Abkommen der WIPO haben sich mittlerweile insgesamt 38 Staaten dazu verpflichtet, derartige Verbote in nationales Recht umzusetzen.
Auffällig dabei: 35 dieser 38 Staaten sind nach den Kriterien der Weltbank Entwicklungsländer. Dabei raten die Mitglieder der britischen Kommission diesen Ländern explizit davon ab, dem Copyright-Abkommen der WIPO beizutreten, um ihrer Bevölkerung auch weiterhin das Umgehen von Kopierschutzmaßnahmen zu ermöglichen. An entsprechenden Gesetzen wie dem US-amerikanischen DMCA oder der EU-Copyright-Direktive sollten sie sich deshalb besser nicht orientieren. Außerdem warnen sie davor, die beispielsweise in Russland und China blühende Raubkopien-Schattenwirtschaft vorschnell zu verdammen: "Viele arme Menschen in den Entwicklungsländern haben allein durch unautorisierte Kopien, die zu einem Bruchteil des Preises der Originale verfügbar sind, Zugriff auf bestimmte urheberrechtlich geschützte Werke."
Ähnliches gilt natürlich auch für Marken- und Patentrechte. Insbesondere letztere sind international in die Diskussion gekommen, nachdem die Regierung von Südafrika die Patentierung von AIDS-Medikamenten zur Disposition stellte. Die Kommissare stellen dazu fest: "Gäbe es in den Entwicklungsländern keine Patente, könnten mehr Menschen die Behandlung bekommen, die sie benötigen."
Von Mickey Mouse zu AIDS-Medikamenten scheint es ein weiter Schritt. Doch sie sind gleichermaßen Teil einer globalen Auseinandersetzung um die Verteilung von Wissen. Ursprünglich dienten die dabei zur Disposition gestellten Gesetze einmal dem Autor, dem Komponisten, dem Erfinder. Sie sollten für eine begrenzte Zeit davor geschützt werden, dass Firmen ihre Innovationen stehlen, dass Verlage ihre Werke ohne Vergütung massenhaft in Umlauf bringen.
Doch heute sind aus den raubkopierenden Verlagen Medienkonzerne wie Disney geworden. Ihm gegenüber stehen protestierende Studenten in Taiwan und Professoren wie Lawrence Lessig in den USA. Sie alle streiten für einen gerechten Zugang zu den Ressourcen der vielbeschworenen Wissensgesellschaft. Sie sind Vorboten der Verteilungskämpfe des 21. Jahrhunderts, und Mickey Mouse ist ihr Che Guevara.
Free the Mouse: www.eldred.cc
Commission on Intellectual Property Rights: www.iprcommission.org
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