Das Ende des Menschseins

Fortschritt Transhumanismus ist eine Bewegung, welche unser Verständnis der Welt und des Menschseins vollkommen verändern möchte. Pure Science-Fiction, Evolution oder große Gefahr?

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Das Ende des Menschseins

Bild: Transhumanist Party USA

Zoltan Istvan ist ein Abenteurer. Anders kann man einen Menschen nicht beschreiben, zu dessen Hobbys es gehört, auf der Asche aktiver Vulkane zu surfen. Aber Istvan ist mehr: Er ist das Gesicht einer zunehmenden Bewegung, welche unser Verständnis der Welt verändern und die Grenzen des Menschseins durchbrechen will: Transhumanismus.

Pure Science-Fiction? Der nächste Schritt in der menschlichen Evolution? Oder, wie es Francis Fukuyama formulierte, tatsächlich eine der gefährlichsten Ideen, welche die Menschheit jemals hatte? Eins steht fest: Zoltan Istvan möchte nicht nur über Transhumanismus philosophieren, sondern ihn als Kandidat für die US-amerikanischen Präsidenschaftswahlen 2016 auch realisieren.

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Herr Istvan, was ist Transhumanismus überhaupt?

Transhumanismus ist eine weltweite gesellschaftliche Bewegung, welche sich dafür einsetzt, Wissenschaft und Technologie zu nutzen, um die menschliche Spezies und das menschliche Leben radikal zu verändern und zu verbessern.

Was meinen Sie mit einer radikalen Veränderung?
Die Transhumanist Party möchte humanitäre Werte aufrechterhalten, die Wissenschaft zur Schaffung globaler Prosperität einsetzen und ein Mehr an Sicherheit durch Technologie erreichen. Eines unserer Ziele ist es, den Wissenschaftlern und Technologen alle notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um das Altern und den Tod innerhalb vom fünfzehn bis zwanzig Jahren zu überwinden.

Das klingt wie Science-Fiction.
Nein: Eine große und immer zunehmende Anzahl führender Wissenschaftler hält diese Ziele für realisierbar. Transhumanismus ist definitiv keine Science-Fiction. Schauen Sie, wir haben bereits heutzutage unvorstellbar fortschrittliche Technologie: Führerlose Autos, mechanische Herzen, etwa eine halbe Million Menschen haben bereits Implantate an ihren Gehirnen - wir leben bereits in der transhumanistischen Ära! Aber dies ist nur der Anfang.

Sie sind der Gründer der Transhumanist Party. Welche Ziele verfolgt Ihre Partei konkret?
Wir verfolgen drei Hauptziele.
Erstens, wollen wir, wie gesagt, das menschliche Altern und den Tod überwinden. Zweitens, wollen wir eine neue Mentalität in den USA schaffen indem wir die Menschen davon überzeugen, dass der Einsatz von Wissenschaft und Technologie zur radikalen Veränderung und Verbesserung des Menschen im besten Interessen unserer Nation und der Spezies ist. Drittens, wollen wir nationale und internationale Sicherungsmechanismen schaffen, die Menschen gegen den missbräuchlichen Einsatz von Technologie und Wissenschaft schützen; hiermit wollen wir die globale Gefahren der Transitionsphase verhindern.

Aber was für konkrete Maßnahmen stellen Sie sich vor?
Ist das überhaupt realisierbar?
In den nächsten zwanzig Jahren wird es erstaunliche technologische Neuerungen im Bereich des Transhumanismus geben. Der Einsatz von Exoskeletten wird zunehmen, so dass viele gehbehinderte Menschen wieder gehen werden können. Augenprothesen werden Blinden das Sehen ermöglichen. Und die künstliche Intelligenz wird die Ingenieurwissenschaft revolutionieren. Außerdem werden menschliche Organe durch mechanische Organe ausgetauscht werden können. Wir werden Cyborgs.

Gut, nehmen wir mal an, dass die Wissenschaft tatsächlich Ihre Vision einer transhumanistischen Gesellschaft ermöglichen könnte. Wie würde diese Gesellschaft aussehen?
In einer idealen transhumanistischen Gesellschaft wären wir alle frei, hätten eine unendlich lange Lebenserwartung und die Produktionssysteme würden alle durch Maschinen realisiert. Es wäre eine Gesellschaft, welche Wissenschaft primär einsetzen würde, um die menschliche Kultur zu vertiefen.

Aber wenn alle eine unendlich lange Lebenserwartung hätten, würde dies nicht zu einer massiven Überbevölkerung führen?
Die Angst vor Überbevölkerung ist der erste Einwand, mit dem Wissenschaftler konfrontiert werden, wenn sie die Lebenserwartung des Menschen steigern wollen.
Viele Menschen denken, dass steigende Lebenserwartung zwangsläufig auch explodierende Bevölkerungsraten bedeute. Dies ist aber nicht der Fall. Man darf nicht vergessen, dass der technologische und wissenschaftliche Fortschritt (wie es auch jüngste Erhebungen der Weltbank belegen) seit Jahrzehnten den Lebensstandard der menschlichen Spezies steigert. Wenn man sich die Zahlen anschaut, dann ergibt sich eine eindeutige Tatsache: Um so höher der Lebensstandard, desto geringer die Geburtenraten. Dies sieht man ganz klar an den Geburtenrückgängen in den Industrieländern, welche zum Teil sogar negative Geburtenraten aufweisen.
Es muss darum gehen, der gesamten Menschheit Wohlstand zu bringen. Dies wird global zu ausgewogenen und akzeptablen Geburtenraten führen, was auch im Sinne unseres empfindlichen planetären Ökosystems ist.

Unsere Gesellschaft basiert seit jeher auf Arbeit und Beschäftigung. Sie sprechen nun von Maschinen, welche die Arbeit übernehmen würden. Was würden Menschen für ihren Lebensunterhalt machen?
Die Transhumanist Party setzt sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein. Wir möchten eine Pflicht zum Besuch von Vorschulen und weiterführenden Schulen einführen, um den Bildungsgrad der gesamten Bevölkerung zu steigern. Es muss darum gehen, den Menschen ein erfolgreiches und erfülltes Leben bieten zu können, und Bildung ist allen wissenschaftlichen Studien nach der beste Weg, um dies zu erreichen. Diese hohe Bildung soll garantieren, dass Menschen ihre neu gefundene Freiheit sinnvoll ausschöpfen können.

Aber auf welche Art?
Ganz unterschiedlich. Sei es im gewerblichen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Bereich. In der Zukunft werden sich unsere aktuellen Konzepte von Arbeit und Beschäftigung extrem verändern.

Viele Kritiker meinen, dass Transhumanismus die Schere zwischen arm und reich ausweiten würde.
Der US-amerikanische Umweltaktivist Bill McKibben sagt zum Beispiel, dass solche Technologie weit überwiegend von Menschen mit größeren finanziellen Mitteln genutzt würde, so dass es zu einer „genetischen Kluft“ zwischen arm und reich käme. Was halten Sie von diesem Argument?
Ich glaube nicht, dass der Transhumanismus die Kluft zwischen arm und reich vergrößern wird. Historisch betrachtet, haben transhumanistische Technologie immer zur Hebung des Lebensstandards der gesamten Bevölkerung geführt. Auch jüngste Erhebungen der Weltbank zeigen, dass der wissenschaftliche und technologische Fortschritt allen Menschen ermöglicht, länger und gesünder zu leben.

Francis Fukuyama meint, dass das erste Opfer des Transhumanismus die Gleichheit wäre. Seiner Ansicht nach basiere das Konzept der Gleichheit vor allem auf der Erkenntnis, dass wir alle, jeglichen Unterschieden zum Trotz, Menschen und daher gleich seien. Fukuyama befürchtet, dass der Transhumanismus dies aufheben könnte und er fragt sich, welche Rechte die „überlegenen“ Menschen im Vergleich zu den normalen Menschen hätten. Gefährdet der Transhumanismus die Gleichheit in unserer Gesellschaft?
Ich glaube überhaupt nicht an dieses Argument. Manche hellhäutige Transhumanisten wollen dunkelhäutig sein. Manchen wollen ihr biologisches Geschlecht ändern. Es geht darum, den Menschen mehr Freiheit einzuräumen, so dass sie über sich und ihre Körper selbst entscheiden können. In der transhumanistischen Ära können sie mit sich und ihrem Körper tun und lassen, was sie wollen. Dies geschieht bereits in den virtuellen Gesellschaften, in welchen sich die Menschheit zunehmend bewegt. Es geht uns vielmehr darum, die bisherigen Vorurteile zu überwinden.

Aber könnte Transhumanismus nicht zu neuen Formen der Diskriminierung aufgrund des Körpers (engl. body shaming) führen? Würden Menschen sich nicht unter Druck gesetzt fühlen, ihre Körper und biologischen Eigenschaften und Fähigkeiten zu optimieren?
Ich denke nicht, dass dies passieren wird. Das sind archaische Vorstellungen. Menschen werden ihren Körper von sich aus ändern wollen, nicht, weil sie irgendjemand dazu zwingt oder Druck ausübt. Die Technologie steht jedem bereit. Und das ist das Großartige am Transhumanismus: Wir werden nicht mehr rein biologische Kreaturen sein und an biologischen Mängeln leiden.

Ist Transhumanismus der nächste logische, ja vielleicht sogar unvermeidbare Schritt in der menschlichen Entwicklung?
Ja, absolut. Transhumanismus ist die logische Folge der Evolution. Und wir stehen bereits an der Pforte der Transhumanistischen Ära. Bald werden wir mechanische Herzen haben, die unseren biologischen Herzen weit überlegen sind. Bald wird jeder im Alltag Roboter haben, die uns unterstützen. Bald werden wir alle Implantate haben, welche wir zur Kommunikation nutzen - wir werden Smartphones verinnerlichen. Aber, und das Wichtigste: Transhumanismus wird es uns ermöglichen, die größte Tragödie unserer Spezies zu überwinden: Den Tod.

Vielen Dank für das Gespräch!

Foto: Zoltan Istvan


Zur Person: Zoltan Istvan ist der Gründer der US-amerikanischen Transhumanist Party und der Kandidat der Partei für die Präsidentschaftswahlen 2016. Istvan wurde 1973 in Los Angeles geboren. Er studierte Philosophie und Religionswissenschaften an der Columbia Universität und arbeitete als Journalist, unter anderem für den National Geographic Channel. 2013 erschien sein Debütroman The Transhumanist Wager. Istvan lebt mit seiner Familie in Kalifornien.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jan Rebuschat

Geboren 1982, zweifacher Familienvater. Volljurist, seit 2011 journalistisch tätig.

Jan Rebuschat

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