Der Tod muss abgeschafft werden

Medizin „Der Tod muss abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muss aufhören.“, forderte Bazon Brock. Könnte die Kryonik dazu beitragen? Ja, sagt Dirk Nemitz von der DGAB

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Biostase, Kryonik - das hört sich alles noch sehr nach Science Fiction an
Biostase, Kryonik - das hört sich alles noch sehr nach Science Fiction an

Bild: Screenshot aus Alien vs Predator

Herr Nemitz, Sie sind Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Angewandte Biostase (DGAB). Welche Ziele verfolgt die DGAB?
Wir fördern die Erforschung und Anwendung von Methoden der Biostase, insbesondere der Kryonik, zum Zwecke der Lebensverlängerung. Wir informieren die Öffentlichkeit über Forschungsgebiete und Ergebnisse, die für die Lebensverlängerung und Biostase einschließlich Kryonik von Relevanz sind. Des Weiteren ermöglichen wir den Austausch unter deutschen Kryonikern, fördern die Forschung, organisieren wissenschaftliche Symposien und pflegen Kontakte zu Kryonik-Organisationen im Ausland.

Biostase, Kryonik - das hört sich alles sehr nach Science Fiction an. Was ist das konkret?
Mit „Biostase“ ist jede Methode gemeint, die den biologischen Zerfall von Zellen, Organen oder Organismen verhindert oder zumindest deutlich verlangsamt. Kryonik begreift sich als Rettungsmaßnahme für den Fall, dass die Medizin einem Menschen nicht mehr helfen kann. Dazu wird der betreffende Körper bei sehr tiefen Temperaturen konserviert und gelagert. Man möchte den Zustand des Menschen konservieren, um ihn einer zukünftigen Medizin zu überbringen, in der er bzw. sie hoffentlich geheilt werden kann.

Und wie wird das praktisch umgesetzt?
Nun, unmittelbar nach der Feststellung des Todes wird insbesondere der Kopf schnell mit Eis heruntergekühlt und der Patient in die Räumlichkeiten eines Kryonik-Anbieters oder eines spezialisierten Bestatters überführt. Durch besondere Prozeduren hält man die Schäden durch die Kälte gering, insbesondere die Bildung von Frostrissen und -brüchen im Gehirn soll vermieden werden. Deshalb wird das Blut des Patienten durch eine speziell für das Gehirn entwickelte Kühlflüssigkeit ausgetauscht. Eine computergesteuerte Kühlbox sorgt dann dafür, dass die Temperatur des Patienten über mehrere Tage sehr langsam herunter gekühlt wird. Dies gilt insbesondere im kritischen Bereich der Glasübergangstemperatur, in dem die Gefahr für Frostrisse und -brüche am größten ist. Die Kühlflüssigkeit vitrifiziert dann in einen glasähnlichen Zustand, was nach heutiger Erkenntnis die größte Chance bietet, die Informationsstruktur des Gehirns langfristig in seiner Originalform zu erhalten. In diesem Zustand wird der Patient dann in einen Stickstoff-Dewar überführt, wo sein Körper bei -196°C theoretisch über Tausende von Jahren praktisch ohne weitere Zerfallsprozesse aufbewahrt werden kann.

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Aktuell gibt es noch gar keine Möglichkeit, den menschlichen Körper unbeschadet wieder aufzutauen. Gibt es denn Aussichten dafür, dass es überhaupt jemals möglich sein wird?
Die Kryonik hat sich in den letzten 40 Jahren in diesem Bereich massiv weiter entwickelt und auch von verwandten Disziplinen wie der Kryobiologie und Medizin viel gelernt. Die Wissenschaft ist derzeit so weit, dass wir viele kleine Dinge nachweisen können: Anhand von Experimenten kann man feststellen, dass die Konservierung und auch Vitrifizierung von komplexen Organen wie dem Gehirn grundsätzlich funktionieren, und die Gewebestruktur des Gehirns in einem guten Zustand erhalten bleibt. Für den Fadenwurm C. elegans, der die Kryokonservierung in der Regel problemlos übersteht, gibt es nachweislich durch die Prozedur keine negativen Auswirkungen auf das Erinnerungsvermögen.
Das sind alles Hinweise, dass zumindest wissenschaftlich und nach den Naturgesetzen derzeit nichts grundsätzlich gegen die Theorie der Kryonik spricht. Das Auftauen großer und komplexer vielzelliger Organismen nach Kryostase ist derzeit aber definitiv noch nicht möglich, nein.

Lassen sich die Schäden denn teilweise beheben?
Wir wissen nicht, zu welchem Grad zukünftige Medizin und Technologie den Zustand des nach heutiger Definition Verstorbenen womöglich als reversibel beurteilen würden. Womöglich lassen sich die im Gehirn konservierten Informationen wieder herstellen. Im Laufe der Geschichte wurde die Definition des Todes ja immer wieder neuen Erkenntnissen und Möglichkeiten angepasst. Anders gesagt: Wann jemand als „tot“ gilt, liegt vor allem auch daran, in welcher Zeit er lebte. Vor 100 Jahren war ein Herzstillstand ein eindeutiges Todeskennzeichen. Heute lernt jeder Fahrschüler, dass in diesem Fall mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit eine Herz-Lungen-Wiederbelebung den betroffenen Menschen retten kann. Zum anderen kommen bei einer Temperatur von -196°C alle biologischen Prozesse nahezu zum Erliegen. Ein weiterer Verfall des Körpers durch bakterielle oder andere biologische Aktivität und der damit verbundene Informationsverlust im Gehirn können praktisch nicht mehr stattfinden.

Eingebetteter MedieninhaltDer US-Amerikaner Robert Ettinger gilt als Vater der Kryonik.

In welchem Umfang wird an der Kryonik geforscht?
Zunächst einmal muss man festhalten, dass im Prinzip jede einzelne Kryokonservierung eine Art Experiment darstellt. Zu jedem Kryonik-Patienten wird eine genaue Datensammlung der Begleitumstände betrieben, um zu Erkenntnissen zu kommen, die das Verfahren verbessern können. Da werden z.B Kühlraten, Perfusionsdurchfluss oder Eismengen in Relation zum Körpergewicht gemessen und festgehalten. Inzwischen wurden bei ersten Patienten auch unschädliche CT-Scans des vitrifizierten Gehirns angefertigt, um diese Daten mit einer Ergebniskontrolle verbinden zu können.
Gleichzeitig wird ganz konkret im Bereich der Kryobiologie geforscht, insbesondere zur Kryokonservierung von Organen zur Transplantation. Auch eng verwandt mit den Prinzipien der Kryonik ist der zunehmende Einsatz von „Tiefer Hypothermie“, also einer absichtlichen Herunterkühlung der Körpertemperatur, um insbesondere bei Operationen am Gehirn oder am Herzen den Stoffwechsel zu verlangsamen.
Letztendlich ist Kryonik auch interdisziplinär, weil beispielsweise auch kritische Fortschritte in der Gerontologie und Nanotechnologie für das Gelingen der Kryonik notwendig sind. Die zugehörigen Forschungsfortschritte der verschiedenen Disziplinen schreiten stetig voran.

Wird Kryonik irgendwann ein Standardverfahren sein?
Bei kleinzelligen Organismen ist die Kryonik ja im Prinzip bereits ein Standardverfahren, wie man in der Reproduktionsmedizin sieht: Viele der Menschen, die man heute in der Fußgängerzone trifft, waren als Embryonen kryokonserviert. Mit der Kryonik verwandte Methoden fassen zudem immer mehr in der Medizin Fuß, beispielsweise das Herabkühlen zur Verlangsamung des Stoffwechsels bei komplizierten Operationen. Mein Wunsch wäre es aber natürlich, dass die Kryonik auch als medizinische Maßnahme Einzug in die Krankenhäuser findet, und Patienten dort als mögliche Alternative zur definitiv endgültigen Beerdigung oder Feuerbestattung angeboten würde. Für den Moment scheint das aufgrund der spekulativen Natur des Ausgangs der „Kryonik-Wette“ eher unwahrscheinlich. Derzeit würde ich mir persönlich vorstellen, dass zunächst einmal die Kryonik von spezialisierten Bestattungsinstituten als Alternative zu herkömmlichen Bestattungsmethoden angeboten wird.

Wieviel Energie wird in etwa pro Jahr gebraucht, um einen Menschen kryonisch zu konservieren?
Diese Frage ist schwer zu beantworten, da in der Kryonik kein herkömmlicher Kühlschrank verwendet wird. Bei physikalischer Kühlung mit Flüssigstickstoff muss nur alle paar Wochen etwas Flüssigstickstoff nachgefüllt werden, die damit verbundene Energie und der Preis hängen von der Entfernung zum jeweiligen Produktionsort ab. Der Vorteil hierbei ist, dass selbst bei einem Stromausfall keine gefährliche Erwärmung der Patienten erfolgen kann. Auch eine kurzfristige Unterbrechung der Stickstofflieferung wäre zunächst unproblematisch: Es würde etwa sechs Monate dauern, bis der Flüssigstickstoff soweit aus den Dewaren verdampft wäre, dass die Köpfe der Patienten nicht mehr von Flüssigstickstoff umgeben wären. Aus diesem Grund lagern Patienten in den Dewaren mit dem Kopf nach unten.

Wieviel bezahlt man denn in etwa für die Konservierung?
Unterschiedlich. Derzeit ist mein Kryonikvertrag für weniger als 11 Euro monatlich über eine Risiko-Lebensversicherung abgesichert. Für eine solche Absicherung muss man sicher nicht reich sein, sie hat aber realistisch betrachtet zwei Nachteile. Zum ersten bekommen nur junge und gesunde Menschen eine solche Versicherung. Zum anderen ist die Laufzeit begrenzt, in meinem Fall auf 30 Jahre. In dieser Zeit muss ich die tatsächlichen Gebühren für den Kryonikvertrag ansparen.
Im günstigsten Fall muss man derzeit mit Kosten in Höhe von ca. 45.000 EUR rechnen, für die Langzeitlagerung in den USA, die vorherige Versorgung durch ein deutsches Bestattungsunternehmen und die Überführung. Zinsen und Inflation außer Acht gelassen muss ich also über 30 Jahre monatlich 125 EUR ansparen, um mir die kryonische Versorgung leisten zu können. Bei teureren Instituten kann die Kryokonservierung aber auch mehr als 200.000 EUR kosten, wobei auch diese Institute den Erfolg der Kryonik nicht garantieren können. Bei solchen Beträgen sieht die Rechnung dann schon etwas anders aus.

Wieviele Menschen sind aktuell kryonisch konserviert?
Insgesamt waren Ende August 337 Menschen bei den drei namhaften Kryonik-Anbietern in den USA und Russland kryonisch konserviert.

Wie ist die Rechtslage in Deutschland? Welche Voraussetzungen muss man erfüllen, um sich kryonisch konservieren zu lassen?
Die Kryokonservierung ist in Deutschland aktuell wenig spektakulär, da die Langzeitlagerung von Patienten ausschließlich in etablierten Instituten im Ausland stattfindet. Dann benötigt man als deutscher Kryoniker lediglich eine Vereinbarung mit einem Kryonik-Anbieter und einen Vertrag mit einem Bestattungsunternehmen, das den Transport zu diesem Kryonik-Anbieter anbietet. Wir empfehlen, nur zertifizierte Bestatter zu verwenden, die Kriterien werden von der DGAB derzeit entwickelt. Auch bei allen verwandten Fragen helfen DGAB-Mitglieder interessierten Kryonikern gerne weiter, wir haben mehrere Mitglieder, die bereits seit vielen Jahren eine entsprechende Vereinbarung haben – meinen Vertrag mit dem Cryonics Institute habe ich vor rund 10 Jahren abgeschlossen.

Wie stellen Sie sich denn das ideale Szenario vor, d.h. wenn sich die Kryonik nach den Vorstellungen der DGAB entwickelt?
Nach Vorstellung der DGAB sollte Kryonik ein Zweig der Rettungsmedizin sein, der in Krankenhäusern von Ärzten und anderem medizinischem Fachpersonal umgesetzt wird. Hier wären die idealen Bedingungen der Notfall-Infrastruktur bereits gegeben: ausgebildetes Fachpersonal, Vorhalten von hochwertiger medizinischer Ausrüstung und Medikamente sowie permanente Einsatzbereitschaft rund um die Uhr. Mit steigender gesellschaftlicher Akzeptanz würden dann bei entsprechender Nachfrage auch in allen Ballungszentren Kryonik-Institute entstehen, die die Langzeitlagerung anbieten, was kurze Wege garantiert. Insgesamt wäre die Entscheidung für die Kryonik im idealen Szenario nicht mehr ungewöhnlicher als die Entscheidung für das Setzen eines Herzschrittmachers – eine potentiell lebensrettende Maßnahme, wenn es funktioniert.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Deutsche Gesellschaft für Angewandte Biostase ist ein eingetragener gemeinnütziger Verein. Sie wurde 2006 gegründet und ist damit die älteste und größte Interessenvertretung für Kryonik im deutschsprachigen Raum. Zur Anerkennung besonderer Verdienste um die Kryonik verleiht sie regelmäßig die Robert-Ettinger-Medaille, benannt nach dem Erfinder der Kryonik. Der Verein ist anerkannt gemeinnützig und finanziert sich überwiegend aus Spendengeldern.

Dirk Nemitz wurde 1978 in Kevelaer am Niederrhein geboren. Nach seinem Studium im Bereich der Biologie und des Ressourcenmanagement zog er nach Hennef bei Bonn. Nemitz ist Vorstandsvorsitzender der DGAB.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jan Rebuschat

Geboren 1982, zweifacher Familienvater. Volljurist, seit 2011 journalistisch tätig.

Jan Rebuschat

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