der Freitag: Herr Efler, Ihr Verein setzt sich für direkte Demokratie ein. Was stört Sie denn an der repräsentativen Demokratie?
Michael Efler: Wir dürfen nur alle vier bis fünf Jahre zur Wahl gehen. Außerdem ist eine Wahl keine Entscheidung über eine bestimmte Sachfrage, sondern es werden zahlreiche Fragen zu verschiedensten Themenbereichen miteinander vermischt. Gerade dann, wenn kontroverse Fragen erst nach den Wahlen aufkommen, hat der Bürger keine Möglichkeit der Einflussnahme und kein Rückholrecht seiner Stimme. Wahlen sind zurzeit eine Art zeitlich befristeter, unwiderruflicher Blankoscheck.
Und an welche Reformen denken Sie so?
Wir brauchen Volksentscheide. Deutschland ist tatsächlich das einzige Land in der Europäischen Union, das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch nie einen nationalen Volksentscheid hatte. Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß!
Wie sollten diese Verfahren konkret aussehen?
Wir haben zwei Instrumente im Auge, ein Initiativinstrument und ein Korrekturinstrument. Zum einen geht es um Demokratie von unten, das Volk soll also selbst Gesetze auf den Weg bringen und beschließen können. Zum anderen brauchen wir die Möglichkeit, Unterschriften zu sammeln, um ein Referendum über ein zuvor vom Parlament beschlossenes Gesetz zu erzwingen. So könnten Gesetze gekippt werden.
Es ist umstritten, ob das Grundgesetz solche Verfahren direkter Demokratie auf der Bundesebene überhaupt zulässt.
Auch wir gehen davon aus, dass das Grundgesetz angepasst werden müsste. Ein verbindliches Mitbestimmungsrecht der Bevölkerung muss näher geregelt werden und gehört in die Verfassung.
Halten Sie eine solche Verfassungsänderung angesichts der aktuellen Mehrheitsverhältnisse überhaupt für möglich?
Kurzfristig sicher nicht, weil Frau Merkel das nicht will. Die Bundeskanzlerin hat sich in den Koalitionsverhandlungen klar gegen direkte Demokratie ausgesprochen. Und das, obwohl die Koalitionspartner SPD und CSU ihr einen solchen Einstieg vorgeschlagen hatten.
Das heißt, die Kanzlerin blockiert?
Nein, auch große Teile der CDU-Spitze lehnen direktdemokratische Verfahren ab. Auf Dauer wird sich aber auch die Union nicht gegen direkte Demokratie sperren können.
Sind die Politiker besorgt, dass sie Einfluss verlieren?
Sie befürchten, dass sie in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt werden. Es bestünde schließlich die Möglichkeit, dass bestimmte parlamentarische Entscheidungen so nicht mehr durchkämen, wie es jetzt geschieht. Dies würde natürlich auch mehr Aufwand für die Politik bedeuten: Die Parteien müssten ihre Positionen der Bevölkerung klarmachen und einen gesellschaftlichen Konsens erreichen.
Oft wird die Skepsis gegenüber der direkten Demokratie mit negativer historischer Erfahrung begründet.
Dieses Argument hat keine Substanz: In der Weimarer Republik gab es nur zwei Volksentscheide, die obendrein scheiterten. Zudem ist der Untergang der Weimarer Republik viel zu komplex, als dass er sich einzig auf direktdemokratische Elemente zurückführen ließe.
Aber gefährdet die direkte Demokratie nicht den Minderheitenschutz?
Es gibt durchaus richtige Hinweise auf Entscheidungen aus der Schweiz oder den USA, wo Minderheiteninteressen, sagen wir, unter die Räder gerieten. Wir sehen dieses Problem und fordern daher eine direkte Demokratie, die einer starken rechtsstaatlichen Kontrolle unterliegt. Zum Beispiel sollte es vor der Abstimmung eine Prüfung geben, ob ein Gesetz mit dem Völkerrecht, dem Europarecht und dem Grundgesetz vereinbar wäre. Dies bedeutet aber nicht, dass bestimmte Bereiche Volksentscheiden nicht zugänglich sein sollten: Ich bin absoluter Gegner solcher Tabus. Über alle Themen, über die das Parlament entscheiden kann, sollte auch durch die Bevölkerung entschieden werden können. Weshalb sollte das Parlament irgendwelche Sonderprivilegien gegenüber dem Souverän genießen?
Würden unliebsame, aber notwendige Reformen in einer direkten Demokratie überhaupt umgesetzt werden können?
Die Erfahrungen in der Schweiz zeigen uns, dass die Bevölkerung für das Gemeinwohl auch bereit ist, unpopuläre Reformen zu tragen. So wurden beispielsweise Steuerreformen mitgetragen, weil die Bevölkerung sehen konnte, wofür diese Mehreinnahmen eingesetzt wurden.
Oft wird über eine allgemeine Politikverdrossenheit geklagt. Lässt sich die durch direkte Demokratie bekämpfen?
Es gibt einen Zusammenhang zwischen Vertrauen in die Politik und der Möglichkeit der Selbstbestimmung. Das wissen wir aus der Erfahrung anderer Länder. In der Schweiz etwa gibt es im Vergleich zu Deutschland ein viel höheres Vertrauen in die Politik; die Bevölkerung identifiziert sich weitaus stärker mit dem Gemeinwesen und es gibt auch sehr viel weniger politisch motivierte Gewalt, weil es diese Kanäle der Entscheidungsfindung gibt.
Das Gespräch führte Jan Rebuschat
Michael Efler ist promovierter Volkswirt und Sozialökonom. Seit 1997 engagiert er sich im Verein Mehr Demokratie, seit 1998 ist er dort Sprecher des Bundesvorstands
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