Der Freitag: Frau Skarpelis-Sperk, in einer Woche wird in Griechenland gewählt. Die Krise hat in diesem Sommer lange Zeit die deutschen Medien dominiert. Im Rückblick: Wie empfinden Sie die Berichterstattung?
Sigrid Skarpelis-Sperk: Noch nie habe ich bei uns in Deutschland eine so umfassende Schmutzkampagne gegen ein anderes Land erlebt. Es hat schon vor drei Jahren begonnen und zwar nicht durch die Bild-Zeitung. Damals hat einer der stellvertretenden Chefredakteure der Bild am Sonntag geurteilt, die Berichterstattung komme einer Volksverhetzung nahe. Heute ist es noch schlimmer. Mittlerweile sind auch viele Politiker führend dabei. Und niemand ruft sie zur Ordnung oder warnt vor den Folgen derartiger Verhetzung.
Wie reagieren die Griechen in Deutschland darauf?
Sie sind fassungslos. Immer wieder werden sie angemacht. Das geht vom Scherz bis zur offenen Unflätigkeit, selbst Kinder werden nicht verschont. Es ist nicht leicht, derzeit ein Grieche oder ein Griechenfreund in Deutschland zu sein.
Wie zeigt sich das im Alltag?
Es fängt an bei den Schlagzeilen der Bild-Zeitung, die jeder aufschnappt und verbreitet: „Na wie geht’s, Pleite-Grieche?“, „Was verlangst Du für Deine Insel?“, oder: „Wo hast Du dein Vermögen versteckt?“ Ich weiß von Fällen, in denen Kindern in der Grundschule der Ball weggenommen wurde mit der Bemerkung: „Zahl erst mal, dann darfst du wieder mitspielen!“ Oder dass Klassenkameraden Cents nachwerfen und rufen: „Damit ihr auch was zu fressen habt!“ Im griechischen Restaurant kommentieren Leute die Rechnung: „Das haben wir deutschen Steuerzahler doch schon mehrfach bezahlt.“
Kommt das in allen gesellschaftlichen Schichten vor?
In gebildeteren Kreisen ist die Ausdrucksweise vielleicht etwas anders, doch auch dort ist immer schnell ein Urteil parat: „Das mit der Steuerfahndung, das muss man doch schnellstens hinkriegen“, hört man dann. „Die Reform des Krankenhauswesens, wieso ist das nicht schon längst erledigt?“ Oder: „Schmeißt die korrupten Leute doch einfach raus!“ Die Leute haben immer auf alles eine Antwort, wissen aber meist nicht mal, wie das in Deutschland organisiert ist und wie lange eine Umorganisation dauert.
Wie denken die Menschen in Griechenland darüber?
Dort ist das Bild ähnlich. Auf den deutschen „Stinkefinger“ kam eine ebenso unerträgliche Reaktion der griechischen Boulevard-Presse: Hakenkreuz und Hitlerbärtchen für Angela Merkel, unglaubliche Auschwitz-Vergleiche für Schäuble. In der Bevölkerung hinterlässt das natürlich auch Spuren.
Darunter leiden sicherlich auch die deutsch-griechischen Beziehungen.
Natürlich. Die vernünftigen Menschen auf deutscher wie griechischer Seite sind schlicht entsetzt und wissen nicht, wie der Schaden wieder schnell behoben werden kann. Und dass wir Deutschen zu solchen Kampagnen und Ausbrüchen gegenüber Ausländern fähig sind, verwundert auch Freunde aus Frankreich, England und den USA, die mich anschreiben oder anrufen.
Ist das Bild der Griechen in Deutschland verzerrt?
Ja. Es gibt nicht nur Bauern, Hoteliers und Geschäfte. Zum Beispiel übertrifft Griechenlands Exportüberschuss bei Software und IT mit 700 Millionen Euro jährlich den des griechischen Olivenöls.
Matt O’Brien schrieb in der Washington Post, dass Deutschland „Griechenland nicht retten, sondern es anscheinend demütigen wolle“. Was halten Sie von dieser Aussage?
Mir fällt kein Gegenargument dazu ein – es sei denn, die Bundesregierung wolle dem Süden Europas zeigen, wer Herr im europäischen Haus ist. Die Rationalität eines solchen politischen Vorgehens entzieht sich mir allerdings. Von Deutschlands politisch Verantwortlichen war man anderes gewöhnt: Von Adenauer bis Brandt, von Schmidt bis Kohl und Schröder gab es eine immer eine politische Klasse, die man geschätzt und auch bewundert hat. Sie haben Deutschland aus der Isolation nach den Verbrechen der Nazis herausgebracht, mit breiter Unterstützung der Intellektuellen, Journalisten, Gewerkschaften und allen Parteien.
Ist der deutsche Kurs gegenüber Griechenland zu hart?
Die sogenannten Reformprogramme haben die Lage Griechenlands nur deutlich schlimmer gemacht – das sagen die meisten der bedeutenden Ökonomen und Nobelpreisträger in der Welt, von links bis rechts! Auch der Chefökonom des IWF schlägt einen Schuldenschnitt vor. Setzt sich die jetzige Situation fort, dann ist die Aussicht der Gläubiger, ihr Geld zurückzubekommen, stark gemindert.
Welche Alternativen gibt es denn?
Es gibt mehrere Lösungswege. Immer aber ist eines Voraussetzung: Wachstum der Wirtschaft, denn ohne das können weder die Steuereinnahmen erzeugt werden, noch die Beschäftigung steigen, was Voraussetzung ist, um die Sozialausgaben ohne Massenelend zu senken. Die USA sind ihren gewaltigen Schulden des Zweiten Weltkrieges entwachsen – sie haben sich nicht herausgespart! England wurden seine durch den Krieg bedingten Schulden erlassen und bei Deutschland fand man mit dem Londoner Schuldenabkommen eine elegante Lösung: teils Schulderlass, teils Streckung der Schuldenrückzahlung über Jahrzehnte bei geringen Zinsen und massiven Kredithilfen.
Was müsste heute die deutsche Politik bei Griechenland anders machen?
Die derzeitige Krisenpolitik ist unsozial, ökonomisch desaströs und ohne Zukunft. Wir Deutschen haben nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Marshallplan eine zweite Chance bekommen. Erinnern wir uns daran und helfen nun der Jugend Griechenlands, sich und ihrem Land eine Zukunft zu schaffen – aus eigener Kraft, durch ihre Ideen, ihre Energie und ihre Arbeit.
Sigrid Skarpelis-Sperk, 70, ist Präsidentin der Vereinigung der Deutsch-Griechischen Gesellschaften. Sie studierte Volkswirtschaftslehre in München und Sozialwissenschaften in Göttingen. Seit 1969 ist sie Mitglied der SPD, von 1980 bis 2005 saß sie im Deutschen Bundestag
Foto: Karsten Schöne
Kommentare 6
Den Antworten ist nichts hinzuzufügen. Merkelanti (marktkonforme Demokratie) und Mr. Grexit (Schäuble) machen bei Griechenland so ziemlich alles im Interesse der Banken(Bankster) wie die "Deutsche Bank"-die in jedem rechtswidrigen Fall involviert ist-, die ansonsten pleite gegangen wären. Was ja letzlich sehr bedingt bedauerlich wäre, zumal der "siegreiche" Kapitalismus in reiner Prägung solche staatlichen Eingriffe als "Todsünde" ansieht. Warum nicht die Banken verstaatlicht zu haben in 2010 und Guthaben bis 1 Mio € ersetzen. Dann hätten nur die unersättlichen Bankster das Nachsehen gehabt und nicht die vielen Menschen in Griechenland, die für die Krise nicht können, wie etwas Säuglinge die massenhaft sterben, die vielen Arbeitslosen, uvam.
Jetzt bei dem neuerlichen Diktat von Mr. Grexit ist ja auch vorhanden, dass sich Griechenland von den lukrativen Flughäfen trennen muss, die nicht lukrativen dürfen sie behalten. Na und wer reißt sie sich unter den Nagel? Natürlich indirekt Mr. Grexit, denn die Fraport, der Frankfurter Flughafen ist in hessischem Staatsbesitz. Gelungen Mr. Grexit. Und das Schämen müssen Menschen wie ich mittels Fremschämen besorgen.
...ich habe mich bei dem Griechischem Konsul, für die antieuropäische Hetze und Hasstiraden der deutschen Regierung (besonders der Kanzlerin!!!) und der "deutschen Staatspresse" die gegen die griechische Bevölkerung gerichtet waren, entschuldigt.
Wir leben in derzeit 3. großen Krise des Kapitalismus - und nein, sie war seit 2008 noch nie überwunden.
Man lese dazu Marx und was er über dieses Wirtschaftssystem festgestellt hat.
Deshalb herrscht für die derzeit Regierenden das römische Divide et impera.
Auch das Bild über die damalige DDR wird immer noch von Lügen und Halbwahrheiten beherrscht.
Erst gestern konnte man auf Bayern 3 hören: Er hatte in der DDR eine gute Kindheit trotz Klassenkampf.
Was für ein Klassenkampft?!
Klassenkampf herrscht hier und jetzt nämlich zwischen den Arbeitenden und vielen Arbeitgebern, den Politikern und den Finanzkapitalisten. Nun kommen auch noch die bedauernswerten Flüchtlinge und es wird nicht lange dauern, da werden die dann zum Sündenbock gemacht, wenn die Krise in Deutschland tatsächlich und wirklich ausbricht, so dass unsere sozialen Errungenschaften nach und nach begraben werden.
Und dann gnade uns Gott - denn ich will nicht wissen, wie es in Deutschland zugehen wird, wenn die Vernunft nicht endlich siegt und die Menschen die wahren Verursacher allen Elends erkennen.
"Auch das Bild über die damalige DDR wird immer noch von Lügen und Halbwahrheiten beherrscht." Ein großes DANKE von OSSI Apatit und nicht nur Sie haben da offensichtlich aufgepasst. Aber noch mal zu Griechenland - " Solange eine Zentralbank einer linken Regierung den Geldhahn zudrehen kann, ist eine demokr. soziale Politik unmöglich" hat der Oskar gesagt und auch Lenin ...! UND Frau Merkel weis das, die hatte auch M/L!
Dass ein" Krieg der Reichen gegen die Armen" stattfindet, ist klar, auch die Lehmann Krise ist nicht einfach vom Himmel gefallen und ist zu Gunsten der immer Gleichen Großbanker ausgefallen. Zudem hat Warren Buffet dies noch öffentlich getönt, er sagte noch: wir werden gewinnen.
Trotzdem muss man bei Griechenland sehen, dass es bisher keine Steuerverwaltung gab, die in der Lage war , Steuern einzuziehen. Wenn es ein Büro gab, wo man hätte hingehen können, war dort niemand anwesend. So kann ein Staat einfach nicht funktionieren.
Schuldenschnitte hatte es auch schon gegeben. Das zieht es aber nach sich, dass niemand in ein Land investiert, dass vorraussichtlich seine Schulden nicht zurückzahlt. Dann soll man das gleich als Spende bezeichnen.
Noch vor wenigen Wochen erlebten wir über die gesamte Medienlandschaft hinweg, eine, mit kaum versteckten rassistischen Untertönen durchsetzte Hetzkampagne gegen Griechenland und dessen linke Regierung. Nun erlebt Deutschland plötzlich eine neues „Sommermärchen“, aus allen „Qualitätsmedien“ tönt es „Refugees welcome“ und Merkel ist die Heilige Angela der Flüchtlinge.
Die Frage liegt, wie im obigen Interview, auf der Zunge, was wohl die Menschen in Griechenland vom Heiligenbild Merkels und vom „freundlichen und mitfühlenden“ Deutschland halten mögen?
Wer erinnert sich noch an das brutale Diktat über Griechenland anlässlich des dritten „Rettungspaketes“, das allein auf deutsche Veranlassung zustande kam und das nur wenige Wochen zurück liegt? Warum kümmert Merkel das elende Schicksal von Millionen griechischer Bürger nicht? Warum kümmert Merkel die zusammengebrochene Gesundheitsversorgung in Griechenland nicht, die gestiegen Säuglingssterblichkeit, die gestiegene Selbstmordrate, die aberwitzige Jugendarbeitslosigkeit? Weil Griechenland für das innenpolitische Kalkül Merkels eine andere Rolle spielt als die Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan?
Hat man von Merkel oder der Bunderegierung je grundsätzliche Kritik an der Kriegspolitik der USA gehört, die wesentlich ursächlich für die Anheizung der Bürgerkriege im Irak, in Syrien, Afghanistan und in Libyen und somit dafür verantwortlich ist, dass so viele Menschen sich gezwungen sehen ihre Heimat zu verlassen? Hat man je von Merkel und ihrer Apologeten in den „Qualitätsmedien“ grundsätzliche Kritik an der Anheizung des Konfliktes mit Russland durch die USA gehört? Sollte dieser eskalieren und die ganze Ukraine in Brand setzen, könnte Deutschland und Europa mit einer Flüchtlingswelle konfrontiert werden, gegen die das aktuelle Geschehen harmlos erscheint.
Darüber hinausgehend, welches Kalkül steckt hinter der ganzen Berichterstattung der „Qualitätsmedien“? Der Verdacht, dass unter der Flagge der Flüchtlingswelle ganz andere Themenbereiche, wie etwa neue Kürzungen im öffentlichen und sozialen Bereich vorbereitet werden (die schwarze Null bleibt und so müssen sich alle halt einschränken, wird ja keiner was dagegen haben ohne sich des Vorwurfs der Fremdenfeindlichkeit aussetzen zu wollen), erscheint vielleicht kurioser als sie ist. Indizien liefern die Aussagen von Unternehmerverbände und deren marktradikalen Apologeten (hier), die behaupten, der Mindestlohn behindere die Integration der Flüchtlinge in den deutschen Arbeitsmarkt. Quelle Nachdenkseiten