#FergusonIsEverywhere - auch in Deutschland?

Rassismus Jamie Schearer, Julius Franklin und Tahir Della von der ISD im Gespräch über Racial Profiling und alltägliche Diskriminierung in Deutschland.

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Fotografin: Andrea Linss

Wie kam die ISD auf die Idee der Fotokampagne #FergusonIsEverywhere?
Jamie Schearer: Es geht uns um Solidarisierung mit den Menschen in Ferguson und der Familie von Michael Brown. Gleichzeitig wollen wir verdeutlichen, dass es sich nicht um einen isolierten Einzelfall handelt, sondern es auch in Deutschland Polizeigewalt, Racial Profiling und Fälle gibt, in denen die schwarze Community Aufklärung fordert.

Was erhoffen Sie sich von der Kampagne?
Julius B. Franklin:
Wir erhoffen uns natürlich, dass möglichst viele Menschen daran teilnehmen, um mediale Aufmerksamkeit zu erregen. Wir wollen darauf aufmerksam machen und verdeutlichen, dass es sich hierbei nicht um “bedauerliche Einzelfälle” handelt, sondern um institutionellen Rassismus, von dem Schwarze Menschen nicht nur in den USA, sondern weltweit betroffen sind - auch in Deutschland. Gleichzeitig fordern wir damit das Recht nach Gleichbehandlung durch die Polizei und die Justiz ein. In zahlreichen Fällen wird und wurde nur unzureichend ermittelt.

Sie kritisieren Rassismus weltweit: Welche Staaten haben in Ihren Augen ein besonderes Problem mit Rassismus?
Jamie Schearer:
Das lässt sich nicht so einfach beantworten. Wir wissen meist nur von den Fällen, wenn sie in den Medien aufgegriffen werden oder wenn es intakte Gemeinschaften vor Ort gibt, die sich organisieren und protestieren. Es braucht Menschen, die nachfragen und nachhaken. Jene müssen meist privilegiert genug sein, um das tun zu können. Die Betroffenen sind meistens in einer sehr ungünstigen Position.

Inwiefern gehören Polizeigewalt und Diskriminierung durch staatliche Behörden zum Alltag schwarzer Menschen in Deutschland?
Julius B. Franklin: Sie sind ein fester Bestandteil des Alltags Schwarzer Menschen in Deutschland. Rassistische Polizeipraktiken wie Racial Profiling sind weiterhin ein ernstzunehmendes Problem, dies zeigen auch die beiden Verfahren gegen die Bundespolizei aufgrund diskriminierender Polizeikontrollen, die derzeit in Stuttgart und Köln verhandelt werden. Allerdings findet Diskriminierung auch durch andere staatliche Behörden statt, was beispielsweise durch das Vorgehen und die Maßnahmen gegen die Geflüchteten am Oranienplatz, der Gerhart-Hauptmann-Schule und in der Gürtelstraße in Berlin deutlich wurde und wird.

Welche sind denn die größten Probleme, denen schwarze Menschen im Alltag begegnen? Können Sie Beispiele nennen?
Julius B. Franklin:
Ich glaube, das größte Problem ist derzeit, dass Rassismus nicht als strukturelles Problem wahrgenommen und anerkannt wird. Schwarze Menschen werden nicht nur von der Polizei, sondern gleichermaßen von anderen staatlichen Behörden und Ämtern diskriminiert. Dies durchzieht alle Lebensbereiche Schwarzer Menschen in Deutschland. Da es sich dabei um staatliche Behörden handelt, ist es für Individuen unglaublich schwer, teilweise unmöglich dagegen vorzugehen. Das schränkt die Lebensqualität Schwarzer Menschen enorm ein.Es muss ein Umdenken stattfinden und nur dann können auch Maßnahmen ergriffen werden, um institutionalisiertem Rassismus entgegenzuwirken.

Wann haben Sie das letzte Mal Rassismus an eigener Haut verspürt?
Julius B. Franklin: Es handelt sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem, weshalb wir auch täglich damit konfrontiert werden. Sei dies nun in zwischenmenschlichen Interaktionen, durch die Medien, im Bildungs- oder Arbeitsbereich, im Gesundheitswesen oder durch staatliche Behörden.


Der wohl umstrittenste Fall der letzten Jahre dürfte der Tod Oury Jallohs gewesen sein. Anfang September 2014 bestätigte der BGH das Urteil des LG Magdeburg. Wie stehen Sie dazu?
Tahir Della:
Seit fast zehn Jahren kümmern sich die ISD und andere Organisationen der Community die Aufklärung der Umstände um den Tod von Oury Jalloh. Wir tun dies vor allem, weil sich der Rechtsstaat entweder weigert oder nicht gewillt ist, eine lückenlose Aufklärung zu erwirken und die Verantwortlichen Polizeibeamten zur Rechenschaft zu ziehen. Natürlich wirft dies die Frage auf, ob die lokalen Polizeibeamten verantwortlich für den Tod von Oury Jalloh sind oder zumindest mehr Schuld daran haben, als bisher bekannt geworden ist. Oury Jalloh war unrechtmäßig in Haft und starb in staatlicher Aufsicht. Nur wenn derartige Fälle konsequent aufgeklärt werden, können Schwarze Menschen in diesem Land wieder Vertrauen in staatliche Behörden fassen.

Gibt es andere Fälle in Deutschland, welche mit dem Schicksal Oury Jallohs vergleichbar sind?
Tahir Della:
Oury Jallohs Fall reiht sich in eine Vielzahl von Fällen ein: Namen wie Ndeye Mareame Sarr, Dominique Koumadio, Slieman Hamade oder Christy Schwundeck haben sich ins kollektive Gedächtnis der Schwarzen Gemeinschaft eingebrannt und stehen für rassistische Polizeiarbeit. Alle diese Fälle sind bis zum heutigen Tag ungesühnt. Die Polizei hat dabei die Opfer entweder zu Tätern gemacht oder zumindest ihnen die Verantwortung zugeschoben, mit ihren Handeln zu ihrem Tod beigetragen zu haben.

Welche Möglichkeiten sehen Sie denn, um Rassismus in staatlichen Stellen bekämpfen zu können?
Julius B. Franklin: Zunächst ist es wichtig, dass rassistische Vorfälle und Handlungen auch als solche wahrgenommen und erkannt werden. Dies wird meist überhaupt nicht in Betracht gezogen und als Motiv grundsätzlich ausgeschlossen. Sollte es doch einmal der Fall sein, dass Rassismus auch als solcher benannt wird, werden diese Fälle als Einzelfälle behandelt und haben kaum Konsequenzen. Es ist daher absolut notwendig, dass rassistisch motivierte Taten rechtlich verfolgt werden. Dazu sind unabhängige Ermittlungs- und Beobachtungsstellen nötig. Aber auch innerhalb staatlicher Behörden muss ein Bewusstsein geschaffen werden, was beispielsweise durch Schulungen erreicht werden könnte.


Hat sich Ihrer Ansicht nach die Situation schwarzer Menschen in Deutschland in den letzten Jahrzehnten verbessert oder eher verschlechtert?
Tahir Della:
In einigen Bereichen sind in den letzten 10 bis 15 Jahren Veränderungen zu erkennen, die auf einen Perspektivenwechsel hindeuten. So haben die Schwarze Community und kritische weiße Deutsche, Themen wie den Deutschen Kolonialismus, Rassismus in der Kinder und Jugendliteratur, die Auswirkungen einer rassistischen Flüchtlingspolitik, Ausgrenzungspraktiken an deutschen Theatern und ähnliches, in die politische Diskussion eingebracht.
Gleichzeitig ist allerdings ein Bestehen auf der Beibehaltung der weißen Dominanz erkennbar, welche weitere Schritte zu einer rassismuskritischen Gesellschaft sehr erschweren, wenn nicht unmöglich machen.


Was meinen Sie mit dem Festhalten an weißer Dominanz?
Tahir Della: Konkret ist damit das Festhalten an der Deutungshoheit gemeint: Weiße Menschen bestehen immer noch darauf, dass sie diejenigen sind, die Rassismus definieren und von denen abhängt, ab wann Rassismus entgegengewirkt werden müsse und wann dies “unnötig” sei.

Vielen Dank für das Gespräch!

Initiative Schwarze Menschen in Deutschland

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jan Rebuschat

Geboren 1982, zweifacher Familienvater. Volljurist, seit 2011 journalistisch tätig.

Jan Rebuschat

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