Jagd auf die Ausgestoßenen

Dokumentarfilm In The Killing Season suchen Rachel Mills und Josh Zeman nach dem Long Island Serial Killer und stoßen hierbei auf eine Vielzahl ungeklärter Morde an Sexarbeiterinnen

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Jagd auf die Ausgestoßenen

Foto: A&E/ Youtube Screenshot

Es gibt eine Unzahl an Fernsehformaten, die sich mit wahrem Verbrechen befassen - die meisten sind reißerisch, schlecht produziert, belanglos (die schlimmsten von ihnen sind alles auf einmal). Als ich erstmals von The Killing Season hörte, war ich daher nicht besonders angetan. Und das, obwohl mit Joshua Zeman ein Produzent an Bord war, den ich seit seinen Dokumentarfilmen Cropsey und Killer Legends schätze.
Zeman und seiner Partnerin Rachel Mills ist mit The Killing Season jedoch eine respektable Ausnahmeerscheinung in dem Genre gelungen.

In der achtteiligen Dokumentarreihe auf A&E erforschen Mills und Zeman ungeklärte Serienmorde an Frauen in den USA. Der Aufhänger der Reihe sind die Morde des Long Island Serial Killer: Ende 2010 entdeckte ein Polizist bei einem Spaziergang mit einem Polizeihund in der Nähe von Gilgo Beach auf Long Island (New York) menschliche Knochen. Bei der anschließenden großflächigen Suche entdeckte die Polizei insgesamt neun weitere Skelette. Die Untersuchungen ergaben, dass es sich um die sterblichen Überreste sieben junger Frauen, eines Mannes sowie eines etwa 16 bis 24 Monate alten Mädchens handelten. Von den zehn Opfern konnten bisher nur fünf identifiziert werden: Fünf Frauen im Alter zwischen 20 bis 27, die auf der Internet-Kleinanzeigen-Plattform Craigslist ihre Dienste als Prostituierte oder Escorts anboten.

Zeman und Mills widmen ihre Aufmerksamkeit zunächst diesen Morden. Lobenswert ist, dass hierbei auf jegliche geschmacklose und blödsinnige Nachstellung mit Schauspielern verzichtet wurde, wie sie in anderen Formaten verbreitet ist. Die beiden Dokumentarfilmer suchen Tatorte auf, sprechen mit den Familienangehörigen der identifizierten Opfer und kontaktieren die Ermittlungsbehörden. Die übliche Prozedur in diesem Genre, insofern haben sie das Rad nicht neu erfunden. Doch was sollte es hier auch an Alternativen geben? Das Besondere an The Killing Season ist die Darstellung der Thematik: Zeman ist ein großartiger Erzähler mit einem Auge für das Detail. Er beherrscht sein Handwerk und versteht es, einen Spannungsbogen aufzubauen, der nie abflacht. Weder wird durch schnelle Schnitte künstliche Spannung, noch durch Langsamkeit billiger Pathos erzeugt. Der Stil ist erzählerisch, doch hierbei weder schrill noch sensationalistisch. Positiv ist die Offenheit, mit welcher Zeman und Mills die moralische Fragwürdigkeit der dokumentarischen Aufarbeitung von Mordfällen diskutieren.
Eingebetteter Medieninhalt

Vorbildlich ist auch, dass Zeman und Mills sich nicht als professionelle Profiler oder Ermittler aufspielen, die der Polizei noch etwas beibringen können. Bei ihren Nachforschungen treffen sie auf eine Vielzahl von Privatpersonen, die sich auf Websites wie Websleuths treffen, um in ihrer Freizeit Kriminalfälle zu erforschen. Dies ist zugleich eines der verstörendendsten Elemente der Sendung: Nur zu gut kann man sich vorstellen, wie aus solchen Foren Gerüchte an die Öffentlichkeit dringen, die in Hexenjagden umschlagen. Doch zeigen Zeman und Mill auch einige Fälle, in denen diese Amateure den zuständigen Behörden wertvolle Hinweise gaben. Kurios wird es für deutsche Zuschauer, wenn die beiden Dokumentarfilmer mit dem Deutschen Peter Brendt sprechen. Brendt (*1964) war Navigator bei der deutschen Marine, lebt nun mit seiner Ehefrau in Kansas City und schreibt politische Thriller, die in Deutschland beim Ullstein Verlag erscheinen. Aus irgendwelchen Gründen wenden sich Zeman und Mills an Brendt, wenn es um die Erstellung von Täterprofilen geht. Zweifellos trägt Brendt mit seinen Theorien, die er mit einem starken deutschen Akzent in gutem Englisch vorträgt, zur Atmosphäre bei. Jedoch fragt man sich beim Schauen der Sendung, was man von Brendts Aussagen halten soll. Auch Zeman fragt an zumindest einer Stelle ganz offen, ob nicht Brendts Fantasie mit diesem durchgegangen sei. Wer dies als Kritikpunkt ansieht, hat die Sendung allerdings nicht verstanden: Wie bereits in dem Dokumentarfilm Killer Legends geht es in The Killing Season auch darum zu zeigen, wie die Unwissenheit letztlich zur Bildung von Legenden beiträgt.

Achtenswert ist, dass Zeman und Mills viel Zeit aufbringen, um die Lebensverhältnisse der Opfer darzustellen. Denkwürdig ist hierbei ein Zitat aus der Sendung, welches von dem us-amerikanischen Journalisten und Sachbuchautoren Robert Kolker stammt: „The internet has become an option for people whose options are dwindling in America. You got a situation now where you could work at Dunkin’ Donuts or Wal-Mart for three weeks or one night [as a sex worker] on Craigslist and make the same amount of money“. Die Statistiken des FBI ergeben, dass Serienmörder und Gewalttäter in den USA es vorwiegend auf Sexarbeiterinnen abgesehen haben. Jahr für Jahr verschwinden hunderte Frauen an den us-amerikanischen interstate highways. Mills und Zeman reden daher auch viel mit Sexarbeiterinnen, die von ihren Erfahrungen mit Gewalt in dem Beruf erzählen. Hierbei spekulieren sie, ob es vielleicht einen Zusammenhang zwischen dem Long Island Serial Killer und anderen Fällen, wie zum Beispiel dem sogenannten Eastbound Strangler gibt. 2006 waren die Leichen von vier Frauen in einem Abwasserkanal in Atlantic City gefunden worden. Den Namen Eastbound Strangler bekam der bislang unbekannte Täter, weil die Leichen mit ihren Köpfen Richtung Osten lagen und man glaubt, dass die Opfer erwürgt wurden. Auch in diesem Zusammenhang trifft man die wildesten Verschwörungstheorien im Internet: Manche glauben, der Täter sei Muslim, weil die Opfer nach Osten und damit gen Mekka schauten. Doch bleiben Zeman und Mills in ihrer Darstellung bei den gesicherten Fakten und etwaige Spekulationen halten sich in einem erträglichen Maß.

The Killing Season ist eine spannende Dokumentarreihe, die frischen Wind in ein abgegrastes Genre bringt. Kritik an der gesellschaftlichen Ausgrenzung Prostituierter trifft auf handwerklich einwandfreie Produktion und erzählerische Spannung.

The Killing Season ist eine Produktion von A&E.
In Deutschland kann die Sendung hier gesehen werden: http://www.ae-tv.de/sendungen/the-killing-season/staffel-1/sendung.html

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jan Rebuschat

Geboren 1982, zweifacher Familienvater. Volljurist, seit 2011 journalistisch tätig.

Jan Rebuschat

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