Wagenburg Deutschland

Interview Der Präsident des Verfassungsschutzes stellt Strafanzeige wegen Geheimnisverrats. Welche Rolle spielen Geheimdienste und Whistleblower in der heutigen Demokratie?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Wagenburg Deutschland

Foto: Jan Rebuschat

Prof. Ludwig, bei 3sat Kulturzeit sagte der frühere Bundesminister des Innern Gerhart Baum, dass es nie eine Situation gegeben habe, in der die Kontrolle der Geheimdienste wichtiger sei als heute. Stimmen Sie dem zu?
Ja, dem würde ich zustimmen. Die Kontrolle der Geheimdienste ist dringend notwendig, weil sie aktuell überhaupt gar nicht funktioniert - und noch nie und nirgendwo funktioniert hat.

Aber es gibt ja bereits eine parlamentarische Kontrolle und die G10-Kommission?
Ja, aber wenn Sie sich anschauen, wie viele Leute in dem parlamentarischen Kontrollgremium und der G10-Kommission sitzen, dann sind das knapp ein Dutzend Leute - das ist einfach viel zu wenig für diese wichtige Arbeit. Wie sollen so wenig Menschen die Arbeit von tausenden von Geheimdienstmitarbeitern in den verschiedenen Behörden und Ämtern kontrollieren? Das geht doch rein praktisch schon gar nicht. Vor allem, wenn man bedenkt, dass diese Leute dies nicht hauptberuflich machen, sondern neben dieser Kontrolle noch einer anderen Arbeit nachgehen!


http://40.media.tumblr.com/63ad55de781895f332a954ab1339b0c4/tumblr_nrzj7zMoYA1rhj3jqo1_250.jpgAlso gibt es strukturelle Defizite in der Kontrolle der
Geheimdienste?

Um es ganz nüchtern zu sagen: Unsere Kontrollstrukturen sind auf letztlich Null Kontrolle ausgerichtet.

Aber wie wollen Sie diese Kontrolle überhaupt ermöglichen? Es geht schließlich um Dienste, die ihrem Namen nach schon geheim vorgehen sollen.
Es geht nicht darum, dass Geheimdienste keine Geheimnisse mehr haben dürfen: Diese müssen sie bis zu einem gewissen Grad natürlich haben! Auch Edward Snowden hat ja selbst klargestellt, dass er kein grundsätzlicher Gegner der NSA ist. Es ist durchaus wichtig und richtig, zum Beispiel bestimmte Personen geheim im Auge zu behalten, die eine Gefahr für unsere Demokratie darstellen und Böses im Schilde führen.

Also geht es nicht um die Ablehnung von Geheimdiensten als Institution.
Nein. Aber wir brauchen ein Modell, welches auf beiden Seiten Akzeptanz schafft: Wir respektieren, dass Geheimdienste bestimmte Aktivitäten im Geheimen tun, aber im Ausgleich für diesen Vertrauensvorschuss müssen funktionierende Kontrollinstrumente geschaffen werden. Wir sind schließlich nicht in Nordkorea oder Russland. Es geht nur darum zu verhindern, dass die Geheimdienste ein von jeglicher staatlichen Kontrolle losgelöstes Eigenleben führen.

Wie könnten solche Modelle aussehen?
Wir brauchen eine unabhängige Kontrollkommission, die genug sachliche Mittel hat und über die notwendigen Rechte verfügt, um auch wirkliche Kontrolle ausüben zu können. Zudem müssen die Mitglieder dieser Kommission auf demokratischem Wege gewählt werden und Verantwortung tragen können. Und im Zweifel auch Rede und Antwort stehen können, jedenfalls insoweit, als dass sie erklären können, es ist alles im grünen Bereich oder es läuft irgendetwas falsch.

Aber beeinträchtigt das nicht womöglich die Arbeit der Geheimdienste? Schließlich sind Sie auf Geheimnisse angewiesen, um funktionieren zu können.
Natürlich müssen bestimmte Schweigepflichten beachtet werden. Daher ist es auch wichtig, dass die Mitglieder demokratisch bestimmt werden: Damit die Bürger auch darauf vertrauen dürfen, dass ein Schweigen ihrer Vertreter im Einzelfall auch einen Sinn hat. Sie verlangen einen besseren Schutz von Whistleblowern. Braucht die Gesellschaft Whistleblower? Whistleblower sind ganz, ganz wichtige Frühwarnsysteme für Missstände in der Gesellschaft. Und das darf man nicht auf den politischen Sektor einschränken: Gerade im Bereich der freien Wirtschaft spielen Whistleblower eine wichtige Rolle und können unter Umständen einen GAU verhindern. Gerade auf Grund ihrer Bedeutung haben Whistleblower einen besseren Schutz verdient.

Sie sprechen von einem Frühwarnsystem - wofür konkret?
Nun, es kann zum Beispiel um relativ kleine Sachen gehen; nehmen wir finanzielle Fragen, wenn beispielsweise eine Behörde sinnlos Geld aus dem Fenster wirft. Aber es kann auch um Menschenleben gehen, wenn zum Beispiel irgendwelche gesetzlichen Vorgaben durch ein Unternehmen nicht eingehalten werden und die Produktsicherheit darunter leidet. Manchmal geht es auch um Risiken, die ganz schnell zur tödlichen Gefahr werden können

Was ist denn aktuell problematisch am Umgang mit Whistleblowern?
Als Whistleblower sind sie gebrandmarkt und werden ausgegrenzt. Viele verlieren ihren Arbeitsplatz und haben dann Probleme, einen neuen zu finden. Zum Teil wendet sich sogar der Freundeskreis von den Leuten ab. Hierunter leiden natürlich auch die Psyche und die Gesundheit. Sie bezahlen einen sehr hohen Preis dafür, dass sie auf Missstände aufmerksam machen. Es ist der soziale Tod.

Können Sie Beispiele für deutsche Whistleblower nennen, die einen solchen Schutz gebraucht hätten?
Eines der bekannteren Beispiele ist der LKW-Fahrer Miroslaw Strecker, der damals auf den großen Gammelfleisch-Skandal hingewiesen hat. Da sieht man, dass Whistleblower eine wichtige Funktion haben! Aber schauen Sie sich an, was mit dem passiert ist: Ihm wurde gekündigt und er musste sich einen neuen Job suchen! Ein anderes Beispiel ist die Justiziarin Andrea Schulz aus Bremen, die auf illegale Bereicherungen aufmerksam gemacht hat. Sie hat Glück gehabt, ihr wurde gerichtlich Recht gegeben! Aber auch sie erlebte eine unglaublich zermürbende Zeit dafür, dass sie eigentlich nur auf Missstände aufmerksam gemacht hat. Oder nehmen Sie das Beispiel der HypoVereinsbank mit den Cum-Ex-Geschäften - es ist höchst fraglich, ob der Whistleblower in diesem Fall je wieder einen Posten in seiner Branche bekommen wird.

Wie könnte ein besserer Schutz herbeigeführt werden?
Wir bräuchten eine rechtliche Regelung zum Schutz von Whistleblowern. So könnte man beispielsweise verhindern, dass Whistleblower aufgrund der Informationsweitergabe gekündigt werden können. Vergleichbare Regelungen gibt es in England. Wichtig ist es aber auch, dass sich die Mentalität ändern muss: Kritik an dienstlichen Stellen und Vorgesetzten muss positiv bewertet werden! Das dient der Verbesserung der Zustände und ist daher ja auch im Interesse der Stellen. Zudem müssen anonyme Möglichkeiten für Hinweise ermöglicht werden, so dass Whistleblower keine Angst vor Repressalien haben müssen. Sinnvoll sind auch Ombudsmänner, an die man sich wenden kann und einer Schweigepflicht hinsichtlich der Identität der Informanten unterliegen.

Sie sprachen von englischen Regelungen. Wie sehen diese aus?
Diese Regelungen sind ein guter Ansatz, auch wenn sie nicht perfekt sind. Konkret sieht es dort so aus: Auf einer ersten Stufe muss ein Whistleblower erstmal schauen, ob er die in Frage stehende Angelegenheit nicht intern, d.h. mit seinen Vorgesetzten klären kann. Wenn er merkt, dass das nicht geht, dann kann er sich auf einer zweiten Stufe bei den zuständigen Behörden melden. Wenn dies aber auch nicht funktioniert, dann darf der Whistleblower auf einer dritten Stufe an die Medien gehen, ohne dass er Gefahr läuft, hierfür gekündigt zu werden. Das jeweilige Unternehmen kann den Whistleblower zwar zermürben, dass er selber kündigt, muss dafür dann aber eine saftige Abfindungssumme zahlen.

Wie behandelt die deutsche Politik dieses Problem?
Nun, sinnvolle Ansätze finden sich in den Programmen der GRÜNEN und der LINKEN; die SPD hatte so etwas in ihrem früheren Programm, aber leider hat sich das verändert. Wahrscheinlich wegen der großen Koalition. Von der CDU/CSU brauchen wir ja gar nicht erst sprechen, die lehnen so etwas ohnehin ab. Leider ist es so, dass erst etwas Ernstes passieren muss, bis die letzten Parteien aufwachen.

Inwiefern?
Nun, so war es beispielsweise in England: In den 1990er Jahren gab es große Disaster, die viele Menschenleben gekostet haben: Ein Fährunglück und der Zusammenstoß zweier Züge. Außerdem gab es die Pleite einer systemwichtigen Bank. Das waren alles drei Konstellationen, in denen im Vorfeld bekannt war, dass etwas schief laufen könnte, aber niemand den Mund aufgemacht hat.Da haben dann die Parlamentarier reagiert und ein Gesetz auf den Weg gebracht. Dass es auch nur so funktioniert, befürchte ich auch in Deutschland. Die Politik sollte jetzt reagieren und solche Fälle vermeiden.

Gibt es denn irgendwelche Länder, an denen sich Deutschland hierbei ein Vorbild nehmen könnte?
Ein perfektes System gibt es noch nicht, nein. Aber tatsächlich kann sich Deutschland hinsichtlich der Whistleblower-Kultur ein großes Beispiel an den USA nehmen: Jeder, der dort sieht, das irgendetwas nicht rund läuft, soll dies melden. Dafür gibt es Gesetze, die Whistleblower weitgehend schützen.

Das klingt zunächst einmal sehr überraschend, da viele Menschen den Umgang mit Chelsea Manning und Edward Snowden kritisieren.
Ja, aber tatsächlich herrscht in den USA eine ganz andere Mentalität, ein ganz anderer Umgang mit Fehlern, als in Deutschland. In Deutschland wird vieles totgeschwiegen, nach Außen hin wird nichts gesagt. In den USA hingegen ist es schon seit längerem Teil der Kultur, dass man im Sinne der Gemeinschaft nach Außen hin auf Probleme aufmerksam macht. Die US-amerikanischen Unternehmen stehen Mitarbeitern, die intern auf Probleme hinweisen, grundsätzlich positiver gegenüber. Das hängt schon mit den hohen Schadensersatzansprüchen gegenüber Unternehmen zusammen. Es gibt dort auch finanzielle Anreize für Whistleblower, was auch eine Schutzfunktion für die Whistleblower hat, falls sie ihren Job verlieren.

Die Überraschung ergibt sich daraus, dass die Schutzgesetze in zwei Bereichen nicht gelten: Militär und nationale Sicherheit. Daraus erklären sich Mannings und Snowdens jetzige Situation. In allen anderen Bereichen sind die US-amerikanischen Regelungen aber durchaus vorbildlich.

Worauf führen Sie diese Unterschiede zurück?
Global betrachtet liegt Deutschland im hinteren Drittel, was den Schutz von Whistleblowern angeht. In Deutschland herrscht eine Obrigkeitsmentalität vor: Wenn hier jemand auf Missstände aufmerksam macht, fühlen sich die zuständigen Stellen oder Vorgesetzten erst mal angegriffen und strafen diejenigen, die auf Probleme aufmerksam machen, als Unruhestifter ab. Wir leben oft abgeschottet, wie in einer Wagenburg; völlig resistent gegenüber Kritik.

Aktuell hat der Verfassungsschutz Strafanzeige gegen verschiedene Seiten wegen Verrats von Staatsgeheimnissen gestellt. Wie stehen Sie dazu?
Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist eine geheime Behörde, die es natürlich gar nicht mag, wenn eigene Leute Informationen nach Außen tragen. Die Strafanzeige ist insofern nachvollziehbar: Sie entspricht der inneren Logik dieser Behörde und überrascht nicht. Meiner Ansicht nach wird die Anzeige aber ohnehin zu nichts führen: Diese Leute sind Profis und lassen sich in der Regel nicht erwischen.

Andererseits muss man auch sehen, dass unser Rechtssystem zum Glück so gut funktioniert, dass es selbst erkennt, dass solche Informationen auch tatsächlich raus müssen. So gibt es positive Beispiele aus der Justiz, in denen beispielsweise Staatsanwaltschaften von sich aus die Ermittlungen einstellten. Auch die Rechtsprechung erkennt die Bedeutung dieser Informationen, dies sah man glasklar zuletzt beim Cicero-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Regelmäßig hat das Bundesverfassungsgericht die Wichtigkeit des Informantenschutzes betont. Und ausdrücklich klargestellt, dass es nicht angehen kann, nach den Lecks zu suchen.

Weshalb dann überhaupt eine Anzeige?
Ich denke, dass es eine Art Einschüchterungsversuch ist, um potentielle Whistleblower abzuschrecken. In meinen Augen ist das ein Anschlag auf die Pressefreiheit, den man nicht akzeptieren kann.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person: Johannes Ludwig wurde 1949 in Baden-Baden geboren. Er unterrichtet an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, sein Forschungsschwerpunkt ist Investigativer Journalismus. Er ist Mitbegründer des Informationsportals dokzentrum. Ludwig lebt in Berlin.

dokzentrum: www.anstageslicht.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jan Rebuschat

Geboren 1982, zweifacher Familienvater. Volljurist, seit 2011 journalistisch tätig.

Jan Rebuschat

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden