Der Freitag: Warum wurde in Nordrhein-Westfalen nichts aus Rot-Rot-Grün?
Kerstin Kaiser: Die Linkspartei ist dort eine Neugründung. Sie hat sich nicht durch Arbeit in der Kommunalpolitik die Akzeptanz der Wähler erarbeiten können. Die Regierungsbeteiligung wäre also mit einigen Unwägbarkeiten verbunden gewesen.
Waren einige Genossen nicht ganz erleichtert, dass es in NRW nicht zu einer Regierungsbeteiligung kam?
Ja, das kann schon sein. Es ist ja auch nicht verwerflich, wenn man die eigenen Kräfte vorsichtig einschätzt. Ich jedenfalls hätte es begrüßt, wenn wir über eine solche Koalition mehr Einfluss auf den Bundesrat bekommen hätten.
Rechnerisch gäbe es in neun von sechzehn Bundesländern eine rot-rote oder rot-rot-grüne Mehrheit. Umgesetzt wird sie aber nur in zwei, sagen wir mal, Pilotprojekten. Ist es für die Linken 20 Jahre nach der Wende noch zu früh?
Nein. Die Linken vertreten in wichtigen Fragen schon lange echte Mehrheitspositionen: Afghanistan, gesetzlicher Mindestlohn, soziale Gestaltung des Gesundheitssystems – da finden wir ja viel mehr Zuspruch als wir Stimmen gewinnen. Wir haben die Pflicht, Partner zu finden, mit denen wir daraus praktische Politik machen können.
Ist die SPD oder die Linkspartei das größere Hindernis?
Beide müssen die Voraussetzungen schaffen. Natürlich muss die SPD wieder zu sich selber, noch besser zu einer wirklich demokratischen und sozialen Politik finden. Die Sozialdemokraten haben in der Zeit an der Regierung zwischen 1998 und 2009 sehr viele ihrer Grundwerte aufgegeben. Sie müssen sie und ihre Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Dann gibt es einige Gemeinsamkeiten, selbst wenn unser langfristiges gesellschaftspolitisches Ziel ein anderes, weiterführendes ist. Andererseits fehlt uns Linken die Regierungserfahrung. Wir müssen darum Vertrauen gewinnen. Im Osten haben wir das in den vergangenen Jahren durch unsere Arbeit erreicht und dadurch, dass wir uns glaubwürdig mit der DDR-Geschichte auseinandergesetzt haben. Im Westen müssen wir das jetzt nachholen. Wir müssen den Leuten klarmachen, dass wir nicht die Diktatur des Proletariats anstreben, beziehungs- weise das, was sie als Schreckbild davon im Kopf haben, sondern die Verbindung aus Demokratie und sozialer Gerechtigkeit.
Gerade im Westen gibt es viele Linke, die ihre Partei vor allem als Bewegung sehen und sich vor Koalitionsdisziplin fürchten. In NRW hatten einige Genossen angekündigt, sich von Fall zu Fall dieser Disziplin widersetzen zu wollen und Grüne und SPD hatten das als einen der Gründe für das Scheitern der Verhandlungen genannt. Wie löst man diesen Konflikt?
Ich halte das Argument für vorgeschoben. Der Konflikt ist kleiner als Sie ihn machen. Wir dürfen unseren Bewegungscharakter nicht verlieren. Das Modell der Kaderpartei ist passé! Dahin dürfen wir nicht zurück. Wir brauchen eine offene Partei, die aktuelle Themen aufnehmen und verarbeiten kann. Aber wir brauchen auch Entscheidungen und Handlungsfähigkeit. Und wir schulden einem Partner und dem Wähler Zuverlässigkeit.
Das sieht aber die Landessprecherin der Linken in NRW, Katharina Schwabedissen, anders. Sie hat gesagt, es gebe keine Option für eine Regierungsbeteiligung, es sei denn man übernimmt die Regierung im Verlauf dieses Prozesses. Und sie hat auch gesagt, Regierungsbeteiligungen verändern die Partei, und zwar in die falsche Richtung.
Ja, Regierungsbeteiligung verändert eine Partei. Weil sie nicht immer nur mutig fordern kann, sondern sich mit der Realisierbarkeit ihrer Forderungen herumschlagen muss. Was hilft mir ein Antrag im Landtag, der dann aus den verschiedenen Gründen nicht realisierbar ist? Ja, Regierungsbeteiligung verändert eine Partei. Aber nicht automatisch in die falsche Richtung. Der Druck ist groß, aber ihn zu überwinden – das ist die Aufgabe. Kennen Sie Egon Olsen?
Nein.
Da sieht man mal wieder die Unterschiede in der Sozialisierung! Egon Olsen ist Chef der Olsen- Bande, aus der dänischen TV-Serie. Und Egon Olsen sagt immer: Ich habe einen Plan. Der funktioniert natürlich am Ende nicht und er landet im Gefängnis. Und zwar weil sein Plan nicht flexibel genug war. Also: Man muss einen Plan haben, aber dann muss man in der Politik einen Schritt nach dem anderen gehen und wenn ich um den ersten Schritt kämpfe, kann ich nicht die nächsten fünf auch schon im Auge haben.
Eine unterschiedliche Geschichte hat zu unterschiedlichen Einstellungen geführt. Im Osten sagen die Menschen, Demokratie allein reicht nicht, wir brauchen eine Partei, die die sozialen Grundrechte stärkt. Im Westen befand sich die Mehrheit der Gesellschaft lange Jahre in sozialer Sicherheit. Aber die Sicherheit ist jetzt hin und mit der Linkspartei bietet sich den Menschen zum ersten Mal eine Alternative zur herkömmlichen Politik, nämlich Sozialismus plus Demokratie.
Am 11. Juni findet die erste Sitzung der Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg“ statt. Das ist im Jahr 2010 ziemlich spät, oder?
Vielleicht ging es nicht früher. Mich überraschen eher die Akteure als das Datum: Bei Grünen oder der FDP kann ich es verstehen, die sind jetzt neu im Landtag. Die CDU aber ist doch nun lange im Landtag und hätte genug Gelegenheit gehabt, die Vergangenheit aufzuarbeiten.
Vielleicht haben die nicht damit gerechnet, dass bei Ihnen immer noch so viele Akten-Leichen auftauchen.
Wir haben doch selber nicht damit gerechnet, dass wir Abgeordnetenkollegen in der Fraktion vorfinden, die über ihre Stasi-Ver-gangenheit bislang geschwiegen haben. Aber das ist nicht der Ausgangspunkt. Die Debatte begann Anfang 2009 mit der Frage, ob Brandenburg mit den Opfern der SED-Diktatur angemessen umgegangen ist. Innenminister Schönbohm war damals der Meinung, es gebe keine Versäumnisse. Die SPD sah das anders und dann ist die CDU plötzlich umgeschwenkt. Wir haben dann im Parlament gemeinsam beschlossen, wenn es solche Defizite gibt und eine Beauftragte dem abhelfen kann, dann wählen wir sie mit. Aber die bisherige Debatte lässt leider befürchten, dass es nicht nur um Aufklärung und Geschichtsbetrachtung geht, sondern darum, ein Urteil zu fällen, zu verurteilen. Nicht nur die DDR – das hat die Linke ja in den vergangenen 20 Jahren oft genug selber getan.
Sind Sie da nicht zu selbstgerecht?
Wir haben uns mit dieser Vergangenheit wirklich sehr gründlich befasst, aber offenbar wurde das nicht immer ausreichend öffentlich wahrgenommen. Vielleicht haben wir auch zu oft einen innerparteilichen Monolog gehalten. Die Auseinandersetzung und der Dialog mit denen, die damals in klarer Opposition standen, die ist uns nicht wirklich gelungen. Eine ganze Reihe von Leuten, die ich sehr schätze und die in der DDR verfolgt waren, haben den Eindruck gewonnen, dass für uns die Vergangenheit mit dem antistalinistischen Bekenntnis erledigt war, dass sie aber mit ihren gegenwärtigen Problemen und Erinnerungen in dieser Gesellschaft schon wieder allein sind.
Nein, nicht wütend, aber sehr enttäuscht und fassungslos, dass Leute, die ich für klug, erfahren und auch für glaubwürdig gehalten habe, tatsächlich glauben konnten, mit dieser Art der Verdrängung durchzukommen. Sie haben nicht gesehen, dass sie ihre eigene Partei in die Klemme bringen, und dass sie die Chance auf Regierungsverantwortung gefährden, für die sie selber so viele Jahre gearbeitet haben. Das ist mir bis heute ein Rätsel.
Kerstin Kaiser singt politische Lieder und sitzt der Linksfraktion im Brandenburger Landtag vor. Von 1979 bis 1984 arbeitete sie als IM für das Ministerium für Staatssicherheit was sie von sich aus veröffentlichte und heute als Fehler bezeichnet
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