Allein zu Haus

Asyl für Snowden Angela Merkel mauert. Dabei wäre es an der Zeit, die Konfrontation mit den USA zu wagen. Davon hätten wir alle etwas
Ausgabe 45/2013
Idealist Christian Ströbele nach seinem Besuch in Moskau
Idealist Christian Ströbele nach seinem Besuch in Moskau

Foto: Reiner Zensen/ imago

Angela Merkel hat es abgelehnt, Edward Snowden, dem Deserteur des amerikanischen Digitalkrieges, politisches Asyl zu gewähren. Aber der Fall ist noch nicht ausgestanden. Der Bundestag kann die Pläne der Kanzlerin noch durchkreuzen. Wenn es zur Abstimmung kommt, werden die Abgeordneten von SPD, Linken und Grünen zeigen müssen, wem sie sich verpflichtet fühlen: einer von der Kanzlerin ausgerufenen Staatsraison oder dem eigenen Gewissen und den höheren Interessen des deutschen Volkes. Denn um nichts weniger geht es hier.

Wer mag, kann das Thema für einen Testfall des politischen Idealismus halten. Der ist in unserer Welt wenig hilfreich. Politischer Idealismus hat keine Konjunktur. Wo wären die Idealisten? Und, wer kommt einem da in den Sinn? Tatsächlich nur Claudia Roth und Christian Ströbele. Beide sind nicht selten Gegenstand des Spotts. Sie werden als Politnarren vorgeführt. Na und? Einer dieser Narren hat uns gerade gezeigt, was politischer Idealismus, Beharrlichkeit (und eine helfende Hand des russischen Geheimdienstes) vermögen: Ströbeles Besuch bei Edward Snowden war ja ein Narrenstück erster Güte, und es trägt, wie es sich gehört, zur allgemeinen Entlarvung bei. Viele große Begriffe stehen plötzlich auf dem Spiel – Moral, Interessen, Sicherheit.

Wir haben ein Recht auf Antworten. Und der windelweiche Versuch der Kanzlerin, sich die Sache formaljuristisch vom Hals zu halten, fliegt jetzt auf. Allein dafür muss man Ströbele danken. Mit der kalten Waffe des Verwaltungsdeutsch hatte Merkel sich im Sommer die Causa Snowden vom Hals halten wollen: „Das Bundesinnenministerium und das Auswärtige Amt sind nach ihrer Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen für politisches Asyl oder eine Aufenthaltsgewährung aus anderen Gründen nicht vorlagen.“ Das genügte nun nicht mehr. Zorn und Unverständnis, auch in der CDU, angesichts der rücksichtslosen, beinahe selbstbeschädigenden Übergriffe der US-Geheimdienste sind zu groß geworden.

Im Spiegel haben sich lauter Prominente, Politiker und Künstler dafür ausgesprochen, Snowden Asyl in Deutschland zu gewähren. Diese Leute sind nicht Angela Merkels Wähler, nicht die Mehrheit der Bevölkerung, ja, vermutlich sind sie nicht einmal Repräsentanten einer Mehrheitsmeinung. Denn der Mehrheit ist dieses ganze Thema immer noch ziemlich gleichgültig. Aber jene Leute sprechen für einen genügend großen und einflussreichen Teil der deutschen Öffentlichkeit, der nicht länger zu ignorieren ist.

Merkel legte also nach und ließ ihren Sprecher auf die deutschen Interessen verweisen: „Das transatlantische Bündnis bleibt für uns Deutsche von überragender Bedeutung“, sagte Steffen Seibert. Die Botschaft war klar: Legt euch nicht mit dem Schulhof-Bully an.

Angst – so lautet in Wahrheit das beherrschende Motiv dieser Politik. „Was ist dann?“, fragt bibbernd die FAZ und meint jene schier undenkbare Situation, dass sich Deutschland gegen die USA stellt. Antwort: „Amerika würde Deutschland erst einmal alleinlassen.“ Das ist die große Sorge, die sich gerade breitmacht: Amerika wendet sich ab. Niemand kümmert sich. Deutschland, allein zu Haus. Das ist erbärmlich – aber es geht in der Politik nicht um Haltungsnoten. Es ist darüber hinaus jedoch auch falsch. Die Vorstellung, die USA würden auf ihren deutschen Verbündeten künftig verzichten, ist genauso naiv, wie die Hoffnung, sie ließen sich durch vertragliche Bindungen (No-spy-Abkommen) zu Selbstbeschränkung verpflichten.

Angela Merkel wird heute weniger Tapferkeit gegenüber dem Freund abverlangt als seinerzeit ihrem Vorgänger Gerhard Schröder. Als der den tief verwundeten Amerikanern die Gefolgschaft im Irak-Krieg verweigerte, da schulterte er eine größere Last, als Merkel es mit der Aufnahme des Exilanten Snowden täte.

Legalismus bietet hier keinen Ausweg. Stellvertretend für viele hat der parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Michael Grosse-Brömer, jetzt gesagt: „Snowden ist nicht politisch verfolgt, sondern strafrechtlich. Man muss ihm zugutehalten, dass er eine wichtige Diskussion angestoßen hat. Aber er hat dies unter bewusster Missachtung der strafrechtlichen Tatbestände seines Landes getan.“

Ja, so ist das bei Dissidenten, sie missachten bewusst die Gesetze ihres Landes, weil sie sie als falsch erkannt haben. Oder findet sich noch jemand, der die massenweise und de facto vollkommen unkontrollierte Abschöpfung deutscher Kommunikationsdaten für richtig hält? Wer sich gegen ein Asyl für Snowden wendet, heißt damit automatisch die Überwachung der deutschen Bundeskanzlerin durch einen ausländischen Dienst gut. Ist er sich dessen bewusst, der Herr Grosse-Brömer? Wir haben Kopelew und Solschenizyn aufgenommen. Wir müssen Snowden aufnehmen.

Auf die Frage „Snowden? Asyl: ja oder nein?“ hat die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles geantwortet: „So einfach ist es nicht.“ Das ist die Stimme der Sozialdemokraten in der Großen Koalition. Aber Nahles irrt, es ist genau so einfach. Snowden hat einen Anspruch auf Schutz – das ist der idealistische Teil der Antwort. Und die US-Geheimdienste verdienen einen Warnschuss vor den Bug. Das ist der interessengeleitete Teil der Antwort.

Der digitale Freitag

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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