Diese Ausgabe ist die letzte Ausgabe des Freitag im alten Gewand. Nächste Woche kommen wir in neuen Kleidern. Seit einigen Monaten stricken wir daran. Nun sind sie fertig und wir freuen uns darauf, sie unseren Lesern zu präsentieren. Sie sollen uns so gut passen wie einst die alten. Die haben uns gut gedient. Aber es ist jetzt Zeit, sie in den Schrank zu hängen. Die neuen sind ein bisschen bequemer, und sie bieten uns mehr Freiheit für die Ellbogen, sie sind ein bisschen bunter und genauso unverwechselbar. Weiter sollte man diese Metapher jetzt nicht quälen: Der Freitag wird im neuen Layout erscheinen und mit erweitertem Umfang. Wir haben hart daran gearbeitet. Wir haben uns gut vorbereitet auf diesen Moment, den wir den Lesern seit einigen Wochen ankündigen. Vorlauf und Ankündigung tun wahrhaftig Not: Eine sprunghafte Umstellung ist für eine Zeitung ein kritischer Moment. Zeitungen sind, wie alles Lebendige, jedem Sprung abgeneigt. Aber das Beharren birgt Risiken, manchmal endgültige. Es gab für den Freitag keine Wahl: Er muss wachsen, um zu überleben. Und er muss sich ändern um sich treu zu bleiben.
Es gibt ein wunderbares Gespräch zwischen Alexander Kluge und Günter Gaus, der einmal der Herausgeber des Freitag war, am Anfang dieser Zeitung, vor fast zwanzig Jahren. "Was nennen Sie links?", fragt Kluge. Und Gaus antwortet: "Ich nenne links, dass man gesellschaftliche Fragen für vorrangig hält. Dass man die gesellschaftlichen Antworten, die gegeben werden, jedes Mal sehr skeptisch überprüft, ob sie wirklich mehr als eine Tagesantwort sein können. Seit der Kommunismus aus der Welt geschafft worden ist - jedenfalls in Europa -, pflegen sich Tagesantworten zuweilen als letzte Antworten der Geschichte auszugeben. Der Freitag ist in dem Sinne links, dass er sagt: Wir wollen doch erst einmal sehen, ob das, was wir derzeit tun, wirklich das Richtige und das letzte Wort der Geschichte sein kann. ..."
"Eine linke Position wäre also skeptisch empfindend?"
"Ja."
"Geduldig?"
"Ja."
"Langfristig angelegt, über die Generationen hinweg?"
"Ja, aber in einem Punkt sollten sich linke Positionen von denen unterscheiden, die es gegeben hat und wohl auch noch gibt, und von denen ich finde, dass sie zu Recht zurückgedrängt worden sind: Man sollte nicht denken, dass man gesellschaftliche Fragen für alle Zeiten beantworten kann."
Ich weiß nicht, wieviele Menschen das Wort "links" so definieren, wie Günter Gaus das getan hat. Aber bei einem so vieldeutigen Wort wie diesem, das jeder für sich oder gegen einen anderen verwendet, wie es ihm gerade in den Kram passt, sollte man schon die gerade vorliegende Definition kennen, bevor man sich bekennt. Diese Worte seines Gründungsherausgebers sollte der Freitag immer beherzigen.
Der Freitag nannte sich bisher "Die Ost-West Wochenzeitung". Er wies damit auf die Umstände seiner Gründung hin, der Verschmelzung von Sonntag (Ost) und Deutscher Volkszeitung (West), und auf das besondere Interesse, das er dem deutschen und dem europäischen Einigungsprozess zukommen lassen wollte. Dieses Interesse verfolgt der Freitag weiterhin. Ost-West-Themen bewegen die Redaktion aus Überzeugung und aus Tradition. Aber sollten Ost-West-Themen im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen? Bilden sie den Kern unserer Identität? Steht die soziale Frage uns nicht näher? Überwölbt sie nicht Fragen der Himmelsrichtung und der politischen Kultur? Ob einer arbeitslos ist in Gelsenkirchen oder in Eisenhüttenstadt - die Arbeitslosigkeit ist sein Problem, nicht die regionale Zuordnung! Und es ist fraglich, ob eine Zeitung ihre nach außen getragene Identität überhaupt an Themen binden sollte, die sich im Zeitlauf stetig verändern.
Die Bundesrepublik braucht ein Blatt wie den Freitag heute dringender denn je. Politik und Medien drängeln sich in der Mitte und schließen Augen und Ohren vor den Fragen, die sich an den Rändern auftun. An den Rändern der Gesellschaft. Und an den Rändern des Denkens. Der Historiker Wolfgang Ruppert, der auch einer unserer Autoren ist, hat neulich in einem Brief an den Freitag geschrieben: "Das Projekt der linken, demokratischen Aufklärung ist ohne Alternative. Es braucht eine Wochenzeitung, die Sensibilität für die Wahrnehmung der widersprüchlichen Welt und Sinn für Sprache verbindet."
Wir beherzigen das. Und wir dehnen das auf das Internet aus. Darum nennen wir uns "Das Meinungsmedium". Weil der Freitag seine Identität in seiner Haltung findet und in seiner Bereitschaft zum Gespräch, zur Auseinandersetzung. Unser Geschäft war nie die Nachricht. Sondern die Bedeutung der Nachricht. Im Papier bleiben wir bei dieser Linie. Und wir werden uns anstrengen, sie auch im Netz konsequent zu verfolgen. Das ist kein kleines Projekt: Das Netz zu entschleunigen, es gehaltvoller zu machen. Aber ohne das Netz wird es bald keine Öffentlichkeit mehr geben. Also müssen wir heute daran arbeiten, aus Usern Leser zu machen. Damit der Mainstream nicht über alle Ufer tritt. "Das Meinungsmedium" fordert seine Leser zum Gespräch auf, zur Diskussion. Wir liefern den Stoff. Das ist unsere Arbeit als Journalisten. Aber die Leser können, sollen daran mitweben. Es entsteht dann ein neuer Text, ein neues Gewebe, das Redaktion und Leser miteinander verbindet. Das gemeinsame Gewand des neuen Freitag.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.