Heinz Ostermann ist Buchhändler in Rudow. Er hat dort, im Süden des Bezirks Neukölln, einen Laden in der Krokusstraße. Es ist keine besonders politische Buchhandlung. Sie bietet das übliche Sortiment an, auch Kinderbücher und Krimis. Ostermann sagt, er sei auch nicht Mitglied in irgendeiner Partei: „Ich würde mich einfach als engagierten Demokraten bezeichnen.“ Aber in Rudow genügt das bereits, um in Gefahr zu geraten. Die Scheiben seines Ladens wurden eingeworfen. Und zweimal wurde sein Auto angezündet, vor einem Jahr und dann erneut vor ein paar Wochen.
An diesem Donnerstag beginnt die Leipziger Buchmesse. Es wird dann wieder viel geredet werden über Demokratie und Aufklärung, über die freie Gesellschaft und die freie Rede. Aber was das eigentlich bedeutet – und was es bedeutet, wenn das bedroht wird –, das kann man vielleicht in Rudow viel besser sehen als in Leipzig.
Ostermann gehört zu den Gründern der „Initiative Neuköllner Buchläden“. Im Jahr 2016 hatte die AfD im Bezirk bei den Wahlen 13,9 Prozent der Stimmen gewonnen, und diese Buchhändler hatten das Gefühl, das gehe sie etwas an, da seien sie gefordert, dem könnten sie nicht tatenlos zusehen. Sie spürten eine Verantwortung. „Wir denken, dass Buchhandlungen als Orte des öffentlichen Diskurses dienen sollten“, sagt Ostermann: „Und gute Bücher haben immer etwas mit Erkenntnisgewinn zu tun, mit einer Einsicht in Dinge, die man bisher nicht so hatte. Da geht es schon um ein gesellschaftliches Selbstverständnis.“
Die Initiative veranstaltet also Lesungen, Diskussionen. Mehr nicht. Aber in Rudow ist das schon viel. Und die Rechten im Ort, die haben die Ansage verstanden, dieses zivilgesellschaftliche „Wir geben nicht auf!“ – und darum schlagen sie zu.
Wir leben in der Ära der Digitalisierung. Das gedruckte Wort weicht zurück. Und dennoch kann eine Buchhandlung immer noch zum Ort der gesellschaftlichen Auseinandersetzung werden. Offenbar können Buchhandlungen heute manchmal die Rolle spielen, die die Kirchen in der DDR hatten: symbolischer Hort von Freiheit, Widerstand, Kultur. Das ist ein Kompliment für Heinz Ostermann und seine Kollegen – allerdings eines, auf das der Mann lieber verzichtet hätte. Ein Held der Freiheit wollte er nicht werden. Die Umstände machen ihn dazu.
Denn auch wenn die Steineschmeißer und Autoanzünder und Parolenbrüller selber keine Bücher lesen – wer weiß –, verstehen sie offenbar noch die Provokation, die eine Buchhandlung für ihr angsterfülltes Weltbild bedeutet. Und wie die Feuerwehrleute in Ray Bradburys Fahrenheit 451 wollen sie die Gefahr auslöschen, die sie in der Freiheit der Gedanken wittern.
In dem ganzen Trubel einer Buchmesse, auf der es um Zahlen geht – Besucher, mehr als im vergangenen Jahr?, Absatz, erneut weniger? –, lohnt sich das Innehalten und der Gedanke: Worum geht es hier eigentlich?
Denn dass die Bedrohung unserer liberalen Gesellschaft zunimmt, daran kann ja kein Zweifel bestehen. Und die Einschläge kommen näher. Der Schriftsteller Uwe Tellkamp hat in Dresden gerade das ganze Pegida-Programm heruntergebetet: Die Aufnahme von Flüchtlingen als Rechtsbruch. Die Presse links und gleichgeschaltet. Es brauche Mut, die eigentlichen Wahrheiten auszusprechen. Kaum ein Flüchtling sei wirklich verfolgt, lauter Wirtschaftsmigranten. Thilo Sarrazin hingegen sei wirklich ein Verfolgter. Und das Geld für Einwanderer sollte man besser in die Rentenversicherung stecken. Ausserdem werde der gesamte Osten vom Westen für braun erklärt, und solche Kränkungen seien der eigentliche Grund für den Rassismus. Und natürlich: Der Islam ist gefährlich für unser Land.
Tellkamp, dessen Bestsellererfolg zehn Jahre zurückliegt, ist in Wahrheit eine verkrachte Existenz, und man müsste sich über sein rechtes Geraune nicht erregen. Es sind die Reaktionen, die Sorge machen. Solche wie diese des Deutschlandfunks beispielsweise: „Anstatt intellektuell und klug den Spielball aufzunehmen und eine grundlegende Debatte zu entfachen, deren Ausbleiben seit Jahren aufgeklärte Bürger vermissen und aus den großen Volksparteien in die Arme der Populisten treibt, wird der Autor sanktioniert. In die Ecke gestellt und geschmäht, als Rechter, der etwas gesagt hat, was man offenbar nicht sagen darf.“ Ja, so findet der stete Tropfen des rechten Gifts seinen Weg. Und dennoch bleibt uns nichts als die Hoffnung, dass, um mit Brecht zu reden, „das weiche Wasser in Bewegung / Mit der Zeit den harten Stein besiegt.“
Wie soll sich die aufgeklärte Vernunft dagegen wappnen? Auf der Frankfurter Messe führte die Gegenwart rechter Verlage im vergangenen Jahr zum Eklat. Bücher können eben nicht nur ein schützenswertes Kulturgut sein – sondern auch Instrument der Propaganda. Der Autor Per Leo hat für den Freitag den Konflikt aufgeschrieben, der sich daraus für die Verteidiger der freien Rede, des freien Denkens ergibt.
Sein Fazit: Wer die Rechten wirklich ärgern will, ignoriert sie. Es gibt keine schlimmere Strafe, als sie allein in ihrer braunen Soße schmoren zu lassen. Klüger aber ist es, sagt Leo, sie ernst zu nehmen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Welche Gelegenheit könnte dafür besser sein, als eine Buchmesse? Denn schließlich lässt sich ein Gegner, den man verstanden hat, besser bekämpfen als einer, den man nur verachtet.
Kommentare 12
Wer von Schröders Hartz IV Kriegserklärung und dessen GroKo Vollstreckern sozial weggespült und entsorgt wurde, heute in einer Betonplattensiedlung sein Dasein fristet, fern von einem Job die eigenen Kinder in Verarmung weiß, welcher nicht mehr zu entrinnen, nun noch im Hausflur und der Nachbarschaft arabische Jugendliche gewahr wird, deren Tagwerk ebenfalls nicht aus Arbeit besteht, die aber die "Sicherheitslage" in seinem erbärmlichen Lebensumfeld phonetisch und körperlich bestimmen, mit denen er eine unfreiwillige Elendspartnerschaft lebt, der wird wohl zwischen Buchdeckeln keinerlei Erbauung mehr finden. Buchmesen wird er ebenfalls nicht besuchen, das beschämende Restgeld nicht in eine Buchhandlung tragen.
Das geschriebene Wort in Deutschland kommt doch ziemlich lasch daher. Wo ist der Zorn, den schon die "Ilias" preiste? Soziales Elend, grassierende Kinderarmut, Agenda- und Reformopfer, grausige Zustände in der Altenpflege, wenig davon scheint die Granden der deutschen Literatur und ihre Kumpels in den Feuilletons zu kratzen. Bejubelte Bestseller in Deutschland beschäftigen sich lieber mit Eulenspiegel. Der sozialen Unterschicht unserer Tage eine vernehmliche Stimme geben und dafür das Wort in seiner ganzen Größe und Wucht einsetzen, so etwas sollte die Tagesordnung deutscher Schriftsteller bestimmen.
US Literaten machten es einst vor. Upton Sinclair hat mit "The Jungle" dem Kapitalismus und seiner tödlichen Geldgier eine entlarvende Anklage vor die Füße geworfen. Man kann noch Steinbecks "Früchte des Zorns" und McCarthys "Verlorene" anführen. Es bedarf wohl solch gewaltiger Wortmeldungen und Formate um den Blick auf das große soziale Abrutschen zu richten, das Elend nicht durch Politikerphrasen vernebeln zu lassen und die Fliehkräfte in unserer Gesellschaft zu sezieren. Vielleicht kommt er noch, der durchschlagende und aufrüttelnde Gesellschaftsroman der Unterschicht, welcher Menschen aufweckt und bewegt, sogar auf Barrikaden treibt. Papier soll angeblich geduldig sein. Viele Menschen sind es hierzulande offenbar immer weniger.
Was ist das Harte an unserer Kultur und unserer Sprache?
Ist es Seehofer mit seinem Satz; der Islam gehört nicht zu Deutschland?
Damit ist doch schon alles gesagt, wo die Reise hingeht, mit dem neuen Heimatmuseum in der Politik.
Und welche politische Richtung kann da dagegenhalten, denn wir haben ja nur konservative Parteien in unterschidelicher progressiver Haltung zu Ihren eigenen konservativen Traditionen, die Sie zelebrieren. Also gehen alle Parteien in die gleiche Richtung.
Vielleicht finden wir im Museum bessere Lösungen, wenn wir uns alle anschauen welche Vergangenheit wir nicht haben wollen, weil Zukunft ist ein Tabu als Lösungsansatz für eine bessere mitmenschlichere Welt.
Oh menschlicher Verstand, du Geist der nur auf der stelle treten will und Angst vor der eigenen Entfaltung hat, bevorzugst dann eine geistige Körpergestalt die dich selber in die Enge treibt, da das traditionelle im Konservativen als Gravitation, mit bitte weiter so, stärker anhaftet, als etwa ein loslassen hin zu einer Identitätsweiterentwicklung.
Eine Weiterentwicklung geht nur, wenn keine angestaute Arbeit mehr zu verrichten ist, aber du Geist und Inspiration für Bewegungen liebst das erfüllen wollen von angestauter Arbeit, weil man sich dadurch nicht weiterentwickeln muss. Wir meinen, so wird die selbe in uns liegende Angst vor Erneuerung besiegt und an Mauerbildenden Grenzen für unseren gewohnten Rückschritt als Schutz verschoben.
Angst schützt nicht vor geistigen versagen. Und dann kommt der Tag an dem dies weh tut.
Doch das ist dann eine andere Geschichte, als erlebte neue Zukunft.
Vorschlag Richard Brox ,,Kein Dach über dem Leben''rororo-Biographie eines Obdachlosen 9,99EURO
Danke.
Lieber Jakob Augstein,
gehört es nicht zur journalistischen Sorgfaltspflicht, Aussagen möglichst unabhängig belegen zu können?
Worauf gründet Ihre Feststellung, dass der Schriftsteller Uwe Tellkamp "in Wahrheit eine verkrachte Existenz" ist? Seine Einkommenverhältnisse, vermuteter Misserfolg, persönliche Schwäche? Ich glaube, Sie tun in Ihrem Beitrag haargenau das, was man dem vermeintlichen politischen Gegner immer nachsagt und Sie tun damit niemandem einen Gefallen: unsachlich polemisieren.
Das hilft nicht weiter und spielt nur jenen in die Hände, die Sie eigentlich mit Worten zu bekämpfen versuchen. Ich hätte nie von Ihnen gedacht, sich so weit nach unten zu begeben, schade ... ich bin enttäuscht. Unsachliche Argumentation ist eigentlich das Ding der anderen...
Die Freiheit des Wortes ist Anfang und Ende jeglicher Freiheit!
"US Literaten machten es einst vor. Upton Sinclair hat mit "The Jungle" dem Kapitalismus und seiner tödlichen Geldgier eine entlarvende Anklage vor die Füße geworfen. Man kann noch Steinbecks "Früchte des Zorns" und McCarthys "Verlorene" anführen."
seit ewigkeiten träume ich von einem maulvoll spuke in buchform. von einem rohen etwas irgendwo zwischen "der dschungel" und "die einsamkeit des langstreckenläufers" (silitoe) für die gegenwart.
es ist gerade schön, drei geschätzte autoren und zwei frühe lieblingsbücher in einem kommentar vereint wiederzufinden :)
So ist es!
Sieht man den aus purer Kommerzgier angefachten verbrecherischen Umgang mit Tieren und Lebensmitteln unsere Tage, müsste der geschätzte Upton Sinclair den Nobelpreis für Literatur und Frieden noch posthum verliehen bekommen. Wenn man aber bedenkt, wer diesen alles hat, vielleicht besser nicht, er wäre in schlechter Gesellschaft. Ein Buch der Kraft wie "Der Dschungel" in und aus unserer Zeit, was wäre es wunderbar.
Was, wirklich? M. Stark wird wissen, warum er dem armen Tellkamp mit Beschützerinstinkt beispringt. Aus anderen seiner Kommentare lässt sich schließen, dass er es tut, weil er den selben Ansichten anhängt.
Wirklich erklärt haben möchte ich aber mal von Dir oder ihm (lieber von Dir), warum Tellkamps Äußerungen unter „Freiheit der Rede“ fallen, also auch seine Polemik gegen andere Ansichten, die Äußerungen von Augstein aber nicht, sondern warum die bloß ein Angriff auf diese Freiheit sein sollen.
Findest Du das nicht auch lächerlich zu schreien, ich darf ja nicht sagen, was ich will, bloß weil jemand sich erlaubt, diese Meinungen für Scheiße zu halten? Das IST die übliche pegida-eske Demagogie.
u.a. spricht JA an, was un-umgänglich ist:
jemand ernstlich kritisch angehen heißt:
ihm be-achtung schenken.
und: hilft ignorieren/nicht-beachten im politischen kampf?
es ist wohl eine frage des richtigen zeit-punkts.
erfolg beruht auf gutem timing .
wer zu spät kommt, den bestraft....
Mit diesem Artikel beweist der Elfenbeintürmler Augstein, daß er sich selbt nicht an seine hochnäsigen Ratschläge hält, Rechte zu ignorieren.
Ignoranz ist übrigens die höchste Form der Dummheit.
Ich stimme der Kritik an dem argumentativen Fehlgriff Augsteins von der “verkrachten Existenz“ zu. Stark hat dazu die richtigen Worten gefunden.