Das unbekannte Wesen

Hegelplatz 1 Wenn Jakob Augstein heute Teenager wäre, hätte er keinen Bock auf seine Eltern
Ausgabe 33/2018
Diese Teenager! Einziger Trost: die Kinder der anderen
Diese Teenager! Einziger Trost: die Kinder der anderen

Foto: Jaime Reina/AFP/Getty Images

Bekanntlich war der Sommer sehr groß. Aber jetzt neigen sich die Ferien dem Ende zu. Es war eine Hundehitze. Schönes Wort übrigens, das mit einem astronomischen Missverständnis und einer kalendarischen Verschiebung zu tun hat. Aber dazu nächstes Jahr mehr.

In diesem Jahr noch kurz was zum Thema „Reisen mit Teenagern“. Der Teenager ist das unbekannte Wesen, das aus dem niedlichen Schatz wurde, der Ihnen gestern noch alles geglaubt hat. Ganz egal, was: „Ich bin der stärkste Mann der Welt“ oder „Die SPD wird eines Tages wieder den Bundeskanzler stellen.“ Heute hagelt es Spott, wenn Sie vom vergangenen Frühling reden und „neulich“ sagen. Weil alles, was länger als ein halbes Jahr her ist, für den Teenager ins Paläolithikum gehört.

„Herr Doktor, seitdem mein Kind pubertiert, habe ich so Ohrgeräusche.“

„Was genau hören Sie?“

„Viel Gemecker, und laute Musik.“

„Vergeht leider erst in fünf bis zehn Jahren wieder. Sie haben Teenietus.“

Dieser Witz ist nicht so müde wie Sie nach den Ferien mit Heranwachsenden. Einziger Trost sind die Kinder der anderen. Die verbringen noch mehr Zeit am Handy, helfen noch weniger in der Küche und sind überhaupt hässlicher.

Aber man soll es sich mit der Beschimpfung der Jugend nicht zu einfach machen. Ich erinnere an die Worte, die Adolf Fick in seinem 1870 in Würzburg gehaltenen Vortrag „Die Welt als Vorstellung“ sprach: „Man hat geradezu der studirenden Jugend den Vorwurf gemacht, sie ergebe sich, angesteckt von dem angeblich auf die materiellen Güter ausschliesslich gerichteten Sinne der Gegenwart, banausischem Brotstudiren unbekümmert um höhere rein ideale Interessen. Ich glaube wir dürfen uns von diesem Vorwurfe freisprechen und die Schuld der Missachtung in welche überall, besonders aber in den naturwissenschaftlichen Kreisen die Philosophie gefallen ist, lediglich dem Entwickelungsgang beimessen, welchen diese Wissenschaft selbst in Deutschland genommen hat.“

Der allgemeine Entwickelungsgang ist eben das Problem. Wenn ich heute Teenager wäre, ich hätte auch keinen Bock auf meine Eltern. Alle verstehen immer alles und erdrücken einen mit Liebe – es sei denn, man ist das Kind von Sibylle Berg. Die hat, wenn ich mich nicht irre, mal geschrieben, wie schrecklich es ist, als eidgenössisch geprüfte Feministin Mutter eines Sohnes zu sein, der plötzlich zum Mann wird. Großes Mitleid an dieser Stelle. Rufen wir also mit Hölderlin dem Sommer und den Eltern hinterher: „Ach! wär ich nie in eure Schulen gegangen. Die Wissenschaft, der ich in den Schacht hinunter folgte, von der ich, jugendlich töricht, die Bestätigung meiner reinen Freude erwartete, die hat mir alles verdorben.“

Hegelplatz 1. Unter dieser Adresse können Sie den Freitag in Berlin erreichen – und ab sofort wir Sie. An dieser Stelle schreiben wöchentlich Michael Angele und Jakob Augstein im Wechsel. Worüber? Lesen Sie selbst

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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