Wir verlangen nicht zu viel, wenn wir gerne einen anständigen Bundespräsidenten hätten. Jenseits aller überkomplizierten Meta-Debatten über Gesellschaft und Werte und Politik ist die Sache am Ende nicht so schwierig: Ein Präsident soll sich an das Gesetz halten und ein bisschen Stress abkönnen. Das ist die durchaus überschaubare Mindestanforderung an das Amt. Wenn er darüberhinaus hin und wieder ein kluge Rede hält, um so besser. Aber es geht auch ohne. Wenn Wulff nur der Mann gewesen wäre, als der er uns lange Zeit erschien, harmlos bis zur Unkenntlichkeit , dann wäre ihm eine langweilige, aber keine gescheiterte Amtszeit beschieden gewesen. Aber Wulff war vom Schlage Guttenbergs: einer, auf den man nicht bauen kann.
Wulff hat verlauten lassen, er wolle im Amt bleiben. Das ist zur Abwechslung mal die volle Wahrheit. Seine persönliche Würde als Politiker hat er verspielt. Jetzt hält ihn nur noch die Würde des Amtes aufrecht. Ein deutscher Berlusconi. Wulff will sich im Schloss Bellevue verschanzen, solange es nur geht. Und es kann lange gehen – wenn man einmal allen Anstand hat fahren lassen. Leicht wird es nicht sein, ihn vom Hof zu jagen. Wer soll das tun? Angela Merkel? Ein Verfassungsorgan fordert das andere zum Rücktritt auf? Das wäre dann wirklich die Staatskrise, von der Sigmar Gabriel zwischen den Jahren geredet hat.
Einen weiteren Rücktritt eines deutschen Staatsoberhauptes in so kurzer Zeit könne Deutschland sich nicht leisten, hatte der SPD-Chef gewarnt. Das ist Unsinn. Gabriel glaubt doch selber nicht, dass Köhlers Abgang im Frühjahr 2010 sowohl die Mechanik der Politik und der Medien als auch die moralischen Ansprüche der Öffentlichkeit außer Kraft gesetzt hat. Ihm ist schlicht ein schwacher Christian Wulff lieber als ein starker Norbert Lammert – denn der wäre ein Kandidat für die Spitzenvakanz. Gabriel konnte freilich nicht damit rechnen, dass Wulff ein solcher Tölpel ist. Hat er im Ernst auf dem Anrufbeantworter des Bild-Chefredakteurs düstere Drohungen hinterlassen? Er hat. Bisher war Lübke die Witzfigur im obersten Staatsamt.
Die spinnen, die Wulffs
Christian Wulff hat also Kai Diekmann auf die Mailbox gesprochen, wenn die Bild-Zeitung die Kredit-Geschichte bringe, dann sei für ihn und für seine Frau der Rubikon überschritten. Was um Gottes Willen hat seine Frau damit zu tun? Spielt er in der Metapher wirklich das ewige Rom? Wollte Wulff der Bild-Zeitung drohen? Womit bloß? Der Rubikon? Man hätte ihn niemals von der Hannoveraner Leine hätte lassen sollen. Die spinnen, die Wulffs.
Wulff hat in Kuweit über Pressefreiheit geredet und gleichzeitig versucht, die Presse in Berlin zum Schweigen zu bringen. Er hat es bei der Bild-Zeitung versucht und auch bei der Welt am Sonntag. Für einen solchen Präsidenten lässt sich so leicht kein Fürsprecher mehr finden. Jedem, der sich für Wulff aus dem Fenster lehnt, kann es gehen wie Norbert Lammert und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Eben sind sie dem Präsidenten noch beigesprungen, da erwischt diesen schon der nächste Skandal. Man glaubt dem Bundestagspräsidenten und der Justizministerin gerne, dass sie ehrenhafte Motive hatten: Sie wollten das Amt schützen, als sie Wulff gegen seine Kritiker verteidigten. Aber das Amt musste nicht vor den Kritikern geschützt werden, sondern vor Wulff selbst.
Tatsächlich war es verblüffend, in einem Springer-Blatt, der Welt am Sonntag, diesen Satz zu lesen: „Bundespräsidenten verdienen mindestens doppelt so viel wie Ministerpräsidenten. Auf einen solchen Gedanken wäre man früher im Zusammenhang mit der Kandidatur für das Schloss Bellevue oder auch die Villa Hammerschmidt im Leben nicht gekommen.“ Wie ist es möglich, dass man im Hause Springer so hart gegen einen Bundespräsidenten der CDU vorgeht? Man kann sich den Springer-Konzern gut als Kreml des deutschen Journalismus vorstellen, oder – vielleicht passender – als dessen Vatikan: eine mächtige, straffe Institution, die uns ihre wahren Pläne nicht enthüllt und in der man an Zufälle nicht glauben mag. Wo die Fakten fehlen, breitet sich die Fabel aus: Wulff habe sich zu positiv über den Islam oder zu kritisch über die Banken geäußert. Oder, noch besser, Friede Springer habe den Daumen über Wulffs Ehefrau gesenkt.
Erweitertes Repertoire der Bild
Vielleicht schwebte Norbert Lammert eine dieser irren Ideen vor, als er versuchte, den Präsidenten aus der Schusslinie zu nehmen, indem er stattdessen die Medien selbst dorthin rücken wollte. Und zwar wegen „ihrer offensichtlich nicht nur an Aufklärung interessierten Berichterstattung“. Tatsächlich kommen einem neben Aufklärung noch ein paar andere Sachen in den Sinn, an denen die Presse interessiert sein könnte: Auflage, Ruhm und Einfluss zum Beispiel. Und?
Entscheidend ist, dass die Medien ihre Kontrollfunktion ausüben. Nicht warum sie das tun. Die Bild-Zeitung mag sonst Springers Sturmgeschütz der Demagogie sein, aber hier hat sie die Arbeit geleistet, die man von der investigativen Presse erwartet. Vielleicht ist das übrigens die wichtigste Lehre aus diesem Skandal: Die Bild-Zeitung erweitert ihr Repertoire. Sie kann jetzt auch seriös, wenn sie will. Es steht ihr frei, jederzeit vom populistischen ins politische Fach zu wechseln, vom boulevardesken ins investigative. Das macht die Zeitung noch gefährlicher.
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