Der Chef

Porträt Philip Grassmann hat 2008 den neuen „Freitag“ mitgegründet und seither geleitet. Nun geht er. Ein Abschiedsgruß
Ausgabe 11/2017

Heute sprengen wir den Rahmen. In normalen Zeitungen erscheinen Texte wie dieser nicht. Aber der Freitag ist keine normale Zeitung. Zum Glück. Das ist Philip Grassmann zu verdanken. Im Folgenden ist nur von Philip die Rede. Alles andere wäre Unsinn. Ich kenne Philip seit 35 Jahren. In den vergangenen acht Jahren war er der Chefredakteur des Freitags. Ganz gleich, was jeweils im Impressum stand. Jetzt hört er auf. Das ist Mist. Aber unvermeidlich. Hamburg ruft, das Abaton-Kino, ein Familienbetrieb, da wird er gebraucht. Es ist das beinahe einzige Argument, das wenigstens ich als Grund dafür gelten lassen kann, dass Philip uns den Rücken kehrt.

Seien wir ehrlich: Der Freitag war das unmögliche Projekt. Und dabei kommen Philip und ich doch aus Hamburg. Das ist keine Stadt, in der man, wie bei Alice im Wunderland, bereits vor dem Frühstück an sechs unmögliche Dinge denkt. Aber trotzdem haben wir uns gemeinsam auf das Unmögliche eingelassen: im Jahr 2008 eine neue Zeitung zu gründen. Denn darauf lief es ja hinaus. Obwohl der Freitag als Ost-West-Wochenzeitung eine schöne und würdige Geschichte hatte. Aber auch die schönste Geschichte ist einmal zu Ende erzählt. Und die des Freitags brauchte damals dringend einen Neuanfang.

2008, das war eine Zeit der Krisen von historischem Ausmaß, Finanzkrise, Medienkrise – wenn es einen ungünstigen Zeitpunkt gab, den neuen Freitag zu starten, dann war es das Jahr 2008. Philip hat dennoch mitgemacht. Er wusste wohl, dass es ohne ihn nicht gehen würde. Allein hätte ich den Mut nicht gehabt. Und weil Philip ein Journalist ist, ein richtiger Journalist, wusste er auch, wie notwendig dieser neue Freitag war: Was fehlte, war kluger, professioneller, linker Journalismus.

Uns hat der Zufall zusammengeführt und die Neigung zusammengehalten: dieselbe Stadt, dieselbe Schule, dasselbe Studium, dann dieselbe Ausbildung. Er hat sein Handwerk bei Springer gelernt. Zu einer Zeit, als da noch Leute Losungen wie diese ausgegeben haben: „Raus auf die Straße, ran an den Mann!“ Heute würde sich die entsprechende Aufforderung wohl auf die Frage beschränken, ob alle Social-Media-Kanäle bereits ausreichend gepflegt worden seien. Früher waren die Dinge nicht besser. Sie waren anders.

Den Journalismus, den wir gelernt haben, kann man nicht an der Universität studieren, sondern nur auf der Straße – oder in endlosen Sitzungen des Bezirksparlaments. Wir waren beide Bezirksreporter in Berlin-Schöneberg, Philip für die Berliner Morgenpost, ich für die Berliner Zeitung. Verpollerung der Crellestrasse, Sachsendammdeckel, das waren so unsere Themen. Von der Welt ist Philip zur Süddeutschen Zeitung (SZ) gekommen. Da haben wir gemeinsam die Berlin-Seite gemacht. Das war 1999. Mission Impossible schon damals: den Bayern die neue Hauptstadt erklären. Die ganze Lust, der ganze Wahnsinn, die schiere Begeisterung, in (beinahe) vollkommener Freiheit den schönsten Beruf der Welt auszuüben. Eine Freiheit, die wir schon damals nicht für selbstverständlich hielten. Immerhin durften wir in der größten seriösen Tageszeitung des Landes Artikel über Tennis in der DDR veröffentlichen, Überschrift: „Vorhand immer, Rückhand nimmer“.

Mit der Erfahrung kam dann die Ernüchterung. Das ist ein normaler Prozess. Nicht normal war, dass wir dieser Ernüchterung nicht mit den üblichen journalistischen Mitteln begegnet sind – Alkohol, Romane schreiben, eine Kombination aus beidem –, sondern durch die Neugründung einer Wochenzeitung. Unsere gemeinsame Analyse der damaligen Gegenwart beschrieb ich 2009 in einem Interview mit der SZ so: „Bei vielen Zeitungen sehe ich die Tendenz zur Normierung, zur Mehrheitsmeinung. Sehr viele Medien berichten über die gleichen Dinge auf ähnliche Weise. Es gibt zwar sicher immer gute Gründe, warum bestimmte Themen überall auftauchen, doch die Unterschiede zwischen den Medien verschwimmen und verschwinden zunehmend. Diesen gleichen Prozess kann man auch in der Politik beobachten. Man kann das für eine Verarmung halten.“

Wir lagen damit alles andere als falsch: Noch Ende 2014 schrieb Frank-Walter Steinmeier in der FAZ: „Wenn ich morgens manchmal durch den Pressespiegel meines Hauses blättere, habe ich das Gefühl: Der Meinungskorridor war schon mal breiter. Es gibt eine erstaunliche Homogenität in deutschen Redaktionen, wenn sie Informationen gewichten und einordnen. Der Konformitätsdruck in den Köpfen der Journalisten scheint mir ziemlich hoch.“ Steinmeier hat sich mit diesem Text keine Freunde gemacht – wir uns mit dem Freitag auch nicht. Außer bei unseren Lesern. Der neue Freitag war als Zumutung gedacht – und wurde auch so empfunden. Der Umgang mit den Unzufriedenen gehört zu den wichtigsten Aufgaben des Chefredakteurs, nach innen und nach außen. Dieser Chefredakteur war in seiner Freundlichkeit ebenso unerschütterlich wie in seinen Standpunkten.

Einer wie Philip kehrt jetzt dem Journalismus den Rücken und macht Kino. Einerseits ist das normal. Schon viele Menschen waren Journalisten, bevor sie einen anständigen Beruf ergriffen haben. Andererseits ist das besorgniserregend: In einer Zeit, da der widerständige, unabhängige Journalismus für die Demokratie überlebenswichtig ist, kommen dem Beruf die guten Leute abhanden. Aber was machen wir Übrigbleibenden? Wir machen weiter. Was sonst. Journalisten sollten ehrlich sein. Und nicht sentimental. Niemand ist unersetzlich. Kein Stuhl bleibt lange leer. Philip geht. Das ist ein Verlust. Christian Füller kommt. Das ist ein Gewinn. Und nächste Woche erscheint wieder eine Zeitung. Das ist die gnadenlose Schönheit unseres Berufs.

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