Der letzte Schmerzensmann

Härtekult Wie Finanzminister Wolfgang Schäuble lächelte, als er seinen Pressesprecher demütigte. Es war das sardonische Lächeln dessen, den der Schmerz zum Tyrannen macht

Am vergangenen Montag ist Wolfgang Schäuble erneut in das Präsidium der CDU gewählt worden. 85,6 Prozent der Stimmen erhielt er auf dem Bundesparteitag in Karlsruhe. Hat er gelächelt, als er die Wahl annahm? Mit jenem sonderbaren Lächeln, das man von ihm schon kennt. Er trug es auch neulich im Gesicht, als er seinen Pressesprecher Michael Offer bloßstellte („Jetzt holen wir den Offer noch her. Das machen wir noch. Soviel Zeit muss sein“). Das ist das sardonische Lächeln, das sich gegen den eigenen Schmerz auflehnt, das also kein echtes Lächeln ist und an dem, wie das Lexikon weiß, die Seele unbeteiligt ist.

Der Schmerz spielt eine große Rolle im Leben des Wolfgang Schäuble. Jetzt, zum Ende seiner politischen Laufbahn – und es kann kein Zweifel daran bestehen, dass dieses Ende nahe ist – übernimmt der Schmerz die Herrschaft und wir alle müssen zusehen.

Schäuble sitzt seit zwanzig Jahren im Rollstuhl. Zu den Komplikationen der Querschnittslähmung gehören Blasenstörungen, Mastdarmlähmung, Störungen der Temperaturregelung und der Blutdruckregulation sowie Thrombosen. Das sind die möglichen Begleiterscheinungen. Schäuble lässt uns an den tatsächlichen teilhaben: Im März, so war zu lesen, wurde ihm ein Gerät eingesetzt, das die Darmfunktionen regulieren soll. Die Narbe heilte schlecht. Es sollen sich Fisteln gebildet haben und Dekubitalgeschwüre. Schäubles Bruder Thomas hielt die Öffentlichkeit auf dem Laufenden: „Das über halbjährige Wundsein hat ihn zermürbt.“

Schäuble zeigt uns ein anderes Leid als jenes, in dem wir vor fünf Jahren Johannes Paul auf das Ende hinsterben sahen. Der Papst war ein Sinnbild für die Würde des Lebens im Angesichts des Todes. Der Minister ist ein Beweis für Nietzsches Wort: „Physische Schmerzen erziehen zum Tyrannen.“ Auf der Pressekonferenz, bei der er die Fassung verlor, sah man Schäuble in den Windungen des Schmerzes vor- und zurückwippen, als er den armen Offer entleibte und dabei dieses schreckliche Lächeln zeigte.

Nietzsche hat den Schmerz als den „letzten Befreier des Geistes“ gerühmt: „Jener lange, langsame Schmerz, der sich Zeit nimmt, in dem wir gleichsam wie mit grünem Holz verbrannt werden, zwingt uns Philosophen, in unsere letzte Tiefe zu steigen.“ Wie kommt Schäuble, der Politiker ist und nicht Philosoph, aus dem Schmerz heraus? Als giftig grinsender Greis, der mit derselben Härte gegen sich und andere lebt.

Im Amt wurde er krankgeschossen. Die Politik ist also die Ursache seines Schmerzes. Jetzt lässt er sie nicht los und klammert am Amt. Aber die Politik bringt keine Erlösung, weil in ihr kein Platz (mehr) für den Schmerz ist und auch keiner für den Körper. Wieso waren wir von Schäubles Pressekonferenz überrascht? Wie konnten wir denken, dass sich die körperliche Erfahrung des Schmerzes nicht in die Seele des Ministers einschreiben würde? Wiederum, weil in der Politik kein Platz für den Körper ist. Das unterscheidet die Politik von der Religion und von der Philosophie. Der Papst und der Philosoph können eine Erlösung finden, die der Politiker nicht finden kann. Noch einmal Nietzsche: „Es steht uns Philosophen nicht frei, zwischen Seele und Leib zu trennen, wie das Volk trennt, es steht uns noch weniger frei, zwischen Seele und Geist zu trennen. Wir sind keine denkenden Frösche, keine Objektivier- und ­Regis­trier-Apparate mit kaltgestellten Eingeweiden.“ Haben wir Schäuble für einen Frosch gehalten?

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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