Der Wulff und die bösen Medien

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Ihre Freitag-Redaktion

Liebe Leser,

ich habe einen Leserbrief bekommen, in dem unter anderem dieses zu lesen war:

ZITAT ANFANG

"Herr Diekmann übt die Metamorphose
Diekmanns Umgang mit der Mailbox zeigt längst kindische Züge. Schon beim Guttenberg-Skandal war zu bestaunen, wie Bild das Niveau des politischen Diskurses senkte und die Politik zur Casting-Show machte. Auch jetzt wieder versucht er, den Bohlen zu geben. Diesmal im Gewande des Retters der Pressefreiheit.
Und was machen die anderen Medien? Sie spielen mit. Und nicht nur das. Manche feiern ihn sogar. Und bescheinigen ihm die Metamorphose. Jakob Augstein im Freitag: „Vielleicht ist das übrigens die wichtigste Lehre aus diesem Skandal: Die Bild-Zeitung erweitert ihr Repertoire. Sie kann jetzt auch seriös, wenn sie will.“ Man fasst sich an den Kopf und staunt über so viel politische Naivität."

Anmerkung WL: Gestern Abend bei Jauch behauptet der stellvertretende Chefredakteur von Bild, Nikolaus Blome, ganz ungeschminkt, Wulff habe die Unwahrheit gesagt, als er sagte, er habe nur um eine Verschiebung des Artikel gebeten. Wie gut das Zusammenspiel mit dem Spiegel klappt zeigt sich darin, dass der Spiegel heute genau diese Passage zitiert: „Ich bin auf dem Weg zum Emir…deswegen sehr eingespannt…Ich habe alles offengelegt, Informationen gegeben, mit der Zusicherung, dass die nicht verwandt werden. Die werden jetzt indirekt verwandt, das heißt, ich werde auch Strafantrag stellen gegenüber Journalisten morgen, und die Anwälte sind beauftragt…“

ZITAT ENDE

Das geht ja Hand in Hand mit vielen Kommentaren hier in der Com, es deckt sich auch mit der Haltung der Nachdenkseiten und wir haben auch in der Redaktion Kollegen, die das so sehen. Mich wundert das. Ebenso wie mich die Kritik an den Medien überhaupt wundert in diesem Zusammenhang.

"Wundern" ist ernst gemeint. Ich frage mich, wie es zu so unterschiedlichen Sichtweisen kommt. Ich bin verunsichert: eigentlich dachte ich, die Sache sei klar. Wenn Wulff ein Schuft ist, muss die Presse ihn jagen und das Publikum wird es ihr danken - soweit das Publikum nicht aus politischen Gründen auf seiner Seite ist. Ich dachte also, kritische Medien und kritische Öffentlichkeit müssten einer Meinung sein.

Warum stellt sich die linke Öffentlichkeit nicht eindeutiger gegen diesen Präsidenten? Ist der Abscheu gegen die Bild-Zeitung so groß, dass man sich lieber von Bild distanziert, als ihr Recht zu geben, wenn sie Recht hat? Warum glaubt man überhaupt, nicht gegen Wulff sein zu könenn und gleichzeitig die eigene Kritik an der Bild Zeitung aufrecht erhalten zu können?Was ist das für eine Haltung, dass man die Kritik am Bundespräsidenten schon darum verdammt, weil nach ihm nur ein anderer Präsident im gleichen System käme - aber kein Wechsel des Systems?

Am Ende kann sich einer wie Wulff über solche Linke freuen, weil sie ihm den Rücken von Kritik von dieser Seite freihalten. Zwar aus Gründen, die ihm nicht passen mögen - aber das muss ihn ja nicht kümmern.

Woher kommt dieser Glaubwürdigkeitsverlust der Medien? Warum genügt es dem Leser nicht, dass die Fakten stimmen, die er liest? Warum ist die Quelle der Fakten wichtiger als die Fakten selber?

to be continued ...

Fortsetzung, begonnen um 20:10

Vielen Dank für die Antworten!

Ich finde das Thema aus egoistischen und allgemeinen Gründen sehr spannend. Es ist mein Beruf, um den es geht. Und es geht um die Gesellschaft, in der ich lebe.Es gibt ein paar für mich zentrale Sätze in diesem thread:

"Die Art des Ekels vor dieser Politik und dieser Art Medienmacht, die so geschmiert, rauf und runter, im Zusammenspiel funktioniert, erklärt doch viel und erklärt auch das Misstrauen einer breiterern Öffentlichkeit."

"Gegenfrage: Seit wann und von wem wird Medien denn Glaubwürdigkeit unterstellt? Von Journalisten vielleicht - aber doch nicht vom Leser!"

"Die Kampagne gegen Wulff ist keine Kampagne von unten. Es handelt sich um eine Kampagne von oben, um einen Hickhack zwischen "denen da oben"."

"Und so nimmt diese ganze „Berichterstattung“ die Form einer absurden Hetzkampagne an und man bekommt selbst das Gefühl von der Bildzeitung vor den Karren gespannt zu werden."

"Es scheint mir ganz deutlich, dass Springer und BILD sich in einer Entwickung, die ganz deutlich zu spüren ist, an die Spitze setzen wollen, Flaggschiff einer Meinungsindustrie in der postdemokratischen Zeit sein wollen."

Das ist sehr beunruhigend. Ich glaube nicht, dass solche Ansichten Minderheitenmeinungen aus der Freitag Community sind. Im Gegenteil, ich könnte mir vorstellen, dass sehr, sehr viele Menschen das so sehen - auch wenn sie gar nicht "links" sind. Das Gefühl, dass Medien und Politik in Wahrheit eine Einheit bilden, dass Journalisten alles andere als "Fremde" sind, wie es in meinem Lieblingszitat von Gay Talese heisst.

Gut. Das ist eine Argumentation, die ich kenne. Ich habe sie ja selber oft benutzt. Die Idee, den Freitag zu machen, diese Community zu machen, rührte unter anderem von dieser Überlegung her. Mich nervt der Mainstream ja selber - habe ich geglaubt. Plötzlich finde ich mich aber in einer wesentlichen Frage mittten im Mainstream (cooles Zitat für die Kollegen aus den links-links-links-Blogs, die auf der Dahn-Welle reiten :) )

Mich erstaunt nur gerade, dass man sie in diesem Fall mir selbst entgegenhält - oder der Sichtweise, die ich teile. Das ist überraschend für mich und tatsächlich nicht frei von Ironie.

Mein Problem ist nur, als Journalist: Was hätte der Freitag mit dem Fall machen sollen? Weniger? Mehr? Anders? Ich sehe keinen anderen Weg als den, den wir eingeschlagen haben: Mehrere Berichte und Anaylsen von verschiedenen Autoren, die so unterschiedlich sind wie beispielsweise Tom Strohschneider, Klaus Raab und ich und ein waches Gefühl für die eigene Rolle und Verstrickung ...

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich denke hier laut. Das ist jetzt so eine Art Meta-Selbstgespräch. Das seinen Grund wirklich in der Verwunderung darüber hat, dass aus der Affäre Wulff unversehens eine Medien-Affäre zu werden droht.

Gibt es einen unabhängigen Bericht?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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