Die FAZ, Sarrazin und Lügen zu Weihnachten

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Die FAZ hat Thilo Sarrazin noch einmal das Wort erteilt. Die erste Seite des FAZ Feuilletons am Weihnachtstag durfte der Mann vollschreiben, der Deutschland in diesem Jahr gespalten hat.

Warum tut die FAZ das? Helfen muss man dem Mann nicht. Sein Buch hat sich ausreichend verkauft. Er hat im Fernsehen bekannt gegeben, dass er nun Millionär sei. Bitte sehr. Aber man kann annehmen, dass ihm das nicht genügt. Dass es ihm um etwas anderes geht als um das Geld. Um Anerkennung. Die bekommt er auf dem Bahnhof, im Taxi, in der Bäckerei. Das schreibt er selber. All die Menschen, die ihm auf die Schulter klopfen, das Glas auf ihn heben, ihm einen ausgeben wollen. Das ist die Anerkennung des Volkes. Thilo Sarrazin möchte aber nicht nur die Anerkennung des Volkes, sondern die der Menschen, die man die Eliten nennt. Die bleibt ihm versagt. Denn so weit hält der zivilisatorische Konsens in diesem Land bislang, dass die Eliten einem Rassisten und Kulturchauvinisten die Anerkennung versagen. Die FAZ will diesen Konsens durchbrechen. Ihre Entscheidung am Weihnachtstag die Aufmacherseite des Feuilleton einem Rassisten zu übergeben, ist eine Provokation.

Die Zeitung geht dabei weit unter ihr eigenes Niveau. Die FAZ lässt Sarrazin den Satz schreiben: "Die von mir genannten Statistiken und Fakten hat keiner bestritten."
Sarrazin baut mit diesem Satz eine Täuschungskulisse auf. Er bedient sich der Argumentationstechnik des Demagogen: "Statistiken und Fakten", die niemand bestritten habe. Beim Leser soll dadurch der Eindruck erweckt werden, dass Sarrazin unbestrittene Wahrheiten verkündet habe. Das stimmt einfach nicht. Es ist eine Lüge. Und zwar eine offensichtliche, die den Leser fassungslos macht. Es ist nicht nur so, dass keineswegs keiner Sarrazins Thesen bestritten hat - sondern es ist vielmehr so, dass die Experten geradezu kohortenweise über Sarrazins Kurzschlüsse hergefallen sind. Es sind nämlich nicht die Daten falsch, die er nutzt. Sondern die Schlüsse, die er daraus zieht.

Am 3. September zum Beispiel veröffentlichte die FAZ selbst eine Meldung, in der der Biologenverband sich entsetzt über Sarrazin und seine Rassenthesen äußerte. Zitat: "Mit Begriffen wie "Halbwissen", "Verfälschung" und "politische Instrumentalisierung biologischer Fakten" reagierte gestern der Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin auf Sarrazins Gen-Thesen. Die Experten stellen klar: Jede Volksgruppe hat nach dem Stand des Wissens "grundsätzlich das gleiche genetische Potential für Intelligenzleistungen". Dass es messbare Unterschiede in Intelligenzleistungen gibt, liege nur daran, dass die Intelligenztests kulturell beeinflusst seien. "Jede Volksgruppe, die einen Intelligenztest auf der Basis ihrer eigenen Kultur entwickeln würde, würde feststellen, dass die anderen Kulturen durchschnittlich schlechtere Leistungen zeigen als die Mitglieder des eigenen Kulturkreises." Die Unterschiede innerhalb der Gruppe übertreffen den Biologen zufolge die Unterschiede zwischen den Gruppen bei weitem. Gleiches gilt für das Genom schlechthin. Die Abweichungen innerhalb von Ethnien seien fünfmal so hoch wie zwischen ihnen. "Evolutionsbiologisch ist der Mensch eine der genetisch homogensten Arten auf der Erde."

Ein anderes Beispiel sind Sarrazins Äußerungen zum Verschwinden der Deutschen. Er schreibt: "Beim gegenwärtigen demografischen Trend wird Deutschland in 100 Jahren noch 25 Millionen, in 200 Jahren noch acht Millionen und in 300 Jahren noch drei Millionen Einwohner haben." Dazu äußerte der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg, dass die Zahl der Deutschen im Jahr 2100 bei 46,1 Millionen liegen werde. Es spielt an dieser Stelle keine Rolle, wer Recht hat, das ist ein Streit der Experten. Eine Rolle spielt, dass Sarrazin lügt wenn er so tut, als handele er mit Fakten während er in Wahrheit mit Thesen, besser: mit Manipulationen, handelt – und dass die FAZ ihn lügen lässt.

Der Journalist Jan Fleischhauer hat im Spiegel eine Geschichte über Sarrazin und seinen furchtbaren Erfolg geschrieben, die diesem Schrifttäter näher kommt als alles, was man bisher lesen konnte. Man liest diese Geschichte und begreift: Sarrazin ist ein böser Mann. Vom Ehrgeiz zerrissen und von der Sucht nach Anerkennung. In seinem FAZ Text schreibt Sarrazin über sich selbst: "Zornig war ich nur kurze Zeit. Dazu war das Verhalten jener Kr itiker in Politik und Medien, die verurteilen, ohne gelesen zu haben, zu lächerlich. Stattdessen machte sich Verachtung in mir breit. Diese Verachtung sitzt mittlerweile tief." Das ist ein Satz, den man glauben kann und der schaudern macht. Sarrazins scharfer Verstand in Verbindung mit dieser kalten Verachtung und seinem kurzschlüssigen Ausländerhass machen den Mann zu einem gefährlichen Demagogen.

Er bedient sich der Argumentationstechniken, die man von Rechtsradikalen kennt oder von Scientologen. Er lügt einfach. Und wenn er widerlegt wird, leugnet er auch das. Die Lüge ist das Wesen der Demagogie. Wir sind an die Lüge nicht gut gewöhnt. Es ist nicht einfach, in der Öffentlichkeit mit der Lüge umzugehen. Der Lügner hat es leicht. Er behauptet. Der einzige Weg, mit einem gewohnheitsmäßigen Lügner umzugehen, ist ihm das Wort zu entziehen. Aber die FAZ hat zu Weihnachten einem Lügner das Wort erteilt.

(Redigierte Fassung vom 26.12. / 21:00)

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Foto: xtranews.de / Flickr

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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