der Freitag: Herr Holm, wer Berlin länger kennt, hat erlebt, wie die Stadt ihr Gesicht verändert hat. Alles, was runtergekommen war, ist nun gestrichen. Ist doch eigentlich schön, oder?
Andrej Holm: Ja, ist ganz schön, aber es gibt da einen gedanklichen Kurzschluss: Wir denken, es wird teurer, weil es schön wird. Doch es ist genau umgekehrt: Es wird schön, damit es teuer werden kann. Kein Eigentümer würde ohne staatliche Finanzierung irgendein Haus sanieren, wenn er damit nicht höhere Erträge und Gewinne erzielen kann. Das ist der Mechanismus des Kapitalismus: Geld wird investiert, um sich zu vermehren, die Veränderung der Stadt ist nicht das Ziel, sondern ein Mittel zum Zweck.
Geht das überhaupt anders?
Stadtentwicklung ist eine ständige Veränderung und Preissteigerungen sind kein Naturgesetz. Berlin zum Beispiel hat mit der Einwanderung aus süd- und osteuropäischen Ländern in den 1960er Jahren sein Gesicht massiv verändert, ganz ohne dass es dadurch zu Mietsteigerungen gekommen ist.
Zur Person
Andrej Holm, geboren 1970, ist Soziologe, Schwerpunkt: Stadt- und Wohnungspolitik. Er war kurzzeitig Staatssekretär des rot-rot-grünen Berliner Senats und berät nun die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus
Nennen wir mal ein Beispiel für einen Gentrifizierungskonflikt. Anfang März in Kreuzberg: Nachts kommen schwarz gekleidete Männer und zerdeppern bei einem Restaurant mit Eispickeln die Scheiben. Die Besitzerin, eine lesbische Frau aus New York, dachte, sie könnte in Berlin unbehelligt leben und wundert sich. Was ist da schiefgelaufen?
Vielleicht haben die Zeitungen zu häufig darüber geschrieben, dass neue Kneipen, Galerien und Bioläden die eigentlichen Urheber von Gentrifizierung sind. Aber das ist nur die Oberfläche der Veränderung. Eigentlich müssten wir darüber reden, wie neue Investitionsmodelle aussehen und warum die Deutsche Wohnen als größtes deutsches Wohnungsunternehmen mit einem sehr institutionellen Anlageansatz immer mehr Wohnungen in Berlin erwerben kann. Gentrification hat im Kern wenig mit Lebensstilen zu tun. Sie ist Folge von politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen.
Sie kritisieren, dass Wohnraum genauso zum Wirtschaftsobjekt wird wie gefrorener Orangensaft.
Wohnen ist nicht einfach ein typisches Marktgut, wie es uns die neoliberalen Wirtschaftswissenschaften erklären wollen. Es geht nicht nur um Angebot und Nachfrage, sondern um eine Spekulation mit künftigen Ertragserwartungen. Die Mieten steigen nicht, weil es mehr Konkurrenz um Wohnraum gibt, sondern weil Eigentümer höhere Mieten aufrufen. Zudem haben sich Grundstücke und Wohnungen als Finanzanlage etabliert. Das erzählen uns die Sparkassen und die Deutsche Bank, die wollen, dass wir in Immobilien anlegen. Und das machen die internationalen Investoren, die Wohnungen an der Börse handeln.
Gibt es denn ein Recht darauf, dass die Dinge so bleiben, wie sie waren? Wenn wir von den Kiezprojekten sprechen – da sammeln sich oft Leute, die wollen, dass ihr Viertel so bleibt, wie sie es kennen. Ein legitimes Interesse?
Ich glaube, dass das ein Missverständnis ist. Ganz viele Menschen engagieren sich seit Jahren mit, die Viertel so zu gestalten, dass sie gern in ihnen leben. Kritisiert werden ja nur die Veränderungen, die an den eigenen Bedürfnissen vorbeigehen. Wir können die Frage auch umkehren: Gibt es ein Recht, mit den Lebens- und Existenzbedingungen von anderen sehr viel Geld zu verdienen? Gibt es ein Recht, die Innenstadt zur Verwertungsmasse zu machen? Wir könnten auch denjenigen sagen, die Betongold schürfen, geht dorthin, wo ihr niemanden stört. Baut dort eure Neubauwohnungen, wo die Reichen dann einziehen können.
Was passiert mit einer Stadt, wenn Leute keinen Wohnraum mehr finden?
Im Moment haben wir in Berlin die Situation, dass es in den Innenstadtbezirken mit einer armen Bevölkerung und extrem steigenden Mieten viele Haushalte gibt, die sogar zu arm sind, verdrängt zu werden. Die finden nicht mal in Spandau oder Marzahn eine neue Wohnung, die sie sich leisten können. Kompensatorische Überbelegungen sind die Folge und auch Untervermietungen. Bei einem Großteil dieser skandalisierten Airbnb-Untervermietungen geht es nicht um professionelle Ferienvermietungen, sondern um Leute, die mindestens dreimal im Monat ein zusätzliches Einkommen brauchen, um ihre Miete zu bezahlen. Dann schlafen die in einer Laube und vermieten unter.
Also keine Umzüge mehr?
Wir beobachten gerade weniger eine Verdrängung durch Umzüge aus den Stadtteilen als vielmehr eine Verdrängung aus dem Lebensstandard. Je mehr die Menschen an Miete aufwenden müssen, desto weniger bleibt ihnen für alles andere. Wir haben also Familien, die es sich nicht mehr leisten können, die Schulbücher für ihre Kinder zu kaufen, ins Kino zu gehen oder in Urlaub zu fahren.
Wie wirksam ist Protest? Wie gut funktioniert es, sich zu wehren?
Wir haben in Berlin seit Jahren eine Reihe von fragmentierten Auseinandersetzungen von Hausgemeinschaften, die sich gegen Modernisierung und Verdrängung zur Wehr setzen. Die Erfahrung zeigt, dass sie dann eine Chance auf Erfolg haben, wenn es ihnen gelingt, von dem Einzelfall in eine politische Sphäre zu wechseln und zu sagen: Das ist ja nicht nur unser Problem, dass die Mieten steigen, dass unsere Wohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt werden, dass unser Haus für einen Neubau abgerissen werden soll. Und immer dann, wenn es diesen politischen Überschuss gab, war es auch möglich, über gesetzliche Regelungen oder Zugeständnisse der Politik partielle Erfolge zu erzielen.
Ohne Protest geht es nicht ...
Wir sind in Berlin momentan in einer Situation, in der es gar keine Alternative gibt. Wir kennen alle diese riesige Differenz zwischen den Mietspiegelmieten und den Neuvermietungsmieten. Da wird oft fast das Doppelte verlangt. Das führt dazu, dass den Menschen, die in ihrer Wohnsituation bedroht sind, keine andere Möglichkeit bleibt, als zu protestieren. Insofern ist das auch nicht eine schöngeistige Betrachtung nach dem Motto: Lohnt sich der Protest überhaupt? Das kann man in vielen anderen lebensstilbetonten Bewegungen machen. Im Falle der Wohnung ist das eine Existenzfrage. Und das wird häufig übersehen, wenn sich Mittelschichtsangehörige über Städte unterhalten.
Was raten Sie denn konkret?
Den Wohnungsmarkt verändern kann man eigentlich nur, wenn die Möglichkeiten, mit Mietsteigerungen und Spekulation Geld zu verdienen, eingeschränkt werden. Eine höhere Grunderwerbssteuer würde etwa den massiven Spekulationshandel mit Wohngrundstücken erschweren. Ansonsten braucht die Stadt vor allem leistbare Wohnungen für Einkommen im unteren Bereich. Einfach nur Neubau wird da nicht reichen.
Kann man in einer Stadt den Neoliberalismus zurückdrängen?
Klar, dem scheinbar Alternativlosen kann immer etwas entgegengesetzt werden. Und damit haben wir in Berlin Erfahrung. Berlin ist nicht nur die Stadt des Mauerfalls, hier wurde in den 1980er Jahren auch die moderne Stadtplanung zurückgewiesen. Eine Stadtplanung, die alles abreißen und durch Neubauten ersetzen wollte. Es gab 130 besetzte Häuser in Westberlin – und dann wurde die behutsame Stadterneuerung eingeführt.
Haben Sie weitere Beispiele?
Wir können Großstädte im krisengebeutelten Spanien nehmen, die inzwischen von kommunalen Wahlplattformen regiert werden. In Barcelona ist eine Ex-Hausbesetzerin Bürgermeisterin, mit einem tollen Programm, bezahlbare Wohnungen zu bauen, Zwangsräumungen zu verhindern, die Immobilienwirtschaft einzuschränken.
Was kann man noch tun?
Städte brauchen eine umfassende Strategie, wie das Recht auf Wohnen gegen private Gewinninteressen durchgesetzt werden kann. Sie sollten sich ein Programm der Sozialisierung des Wohnens auf die Fahne schreiben. Wenn in den Zeitungen stehen würde: „Berlin wird sozialistisch“, hätte das zwar nichts mit der Realität zu tun, aber es würde bei der stimmungsabhängigen Immobilienindustrie den ein oder anderen Zweifel provozieren. Preise im Immobilienmarkt sind ja nicht real. Die sind davon abhängig, dass jemand glaubt, dass man hier viel Geld verdienen kann. Und wenn wir zeigen, dass es Protestbewegungen gibt, die das verhindern wollen, eine Verwaltung, die dem Steine in den Weg legt, und eine starke politische Führung – das würde einen Unterschied machen. Wir haben ja tolle Instrumente in der Verwaltung. Zum Beispiel eine Enteignungsbehörde ...
Die heißt wirklich so?
Das ist ein normales Stadtentwicklungsinstrument. Die enteignen etwa, wenn Straßen oder Flughäfen gebaut werden. Das Instrument selber ist aber auch für andere kommunale Zwecke nutzbar.
Kommentare 32
Ja, ist ganz schön, aber es gibt da einen gedanklichen Kurzschluss: Wir denken, es wird teurer, weil es schön wird. Doch es ist genau umgekehrt: Es wird schön, damit es teuer werden kann. Kein Eigentümer würde ohne staatliche Finanzierung irgendein Haus sanieren, wenn er damit nicht höhere Erträge und Gewinne erzielen kann. Das ist der Mechanismus des Kapitalismus: Geld wird investiert, um sich zu vermehren, die Veränderung der Stadt ist nicht das Ziel, sondern ein Mittel zum Zweck.
Das ist reine Ideologie, die vielleicht auf instutionelle Wohnungsanbieter bedingt zutreffen mag. Auf private Einzelvermieter, über die in dem Interview nicht gesprochen wird, trifft es allenfalls zu einem kleinen Teil zu. Die privaten Einzelvermieter stellen jedoch den größten Teil der Wohnungsvermieter. Bei privater Einzelvermietung werden nach Abzug der Erhaltungskosten (von denen insbes. das Kleinhandwerk lebt) und je nachdem welche Finanzierungskosten zu bedienen sind, Netto-Renditen um 5% erzielt, woran nicht viel auszusetzen ist, zumal wenn man bedenkt, dass der private Einzelvermieter mit der Vermietung oft viel Arbeit hat, für die er nichts erhält, z.B. bei der Abrechnung der Betriebskosten und/oder dem Ärger mit den Handwerkern. Würde man private Einzelvermietung verbieten, sähe es in den Städten bald so ungefähr aus, wie es vor 1989 in Halle oder Leipzig aussah. Das kann niemand wollen.
Bezweifeln Sie ernsthaft, dass die Voraussetzung für private Investitionen die Aussicht auf höhere Renditen ist? Immer wieder herrlich, wenn die Freunde des Kapitalismus dessen Funktionsweise nicht verstanden haben.
Noch ein Satz zu Ihren 5% Rendite: Im Durchschnitt war der See einen Meter tief, und trotzdem ist die Kuh ertrunken.
Das immer vorausgesetzt, dass diese Zahl auch stimmt...
Spannendes Interview mit einigen interessanten Einbicken!!
Empfehle hierzu auch die aktuelle Ausgabe von Alternativlos (hier anhören) über Stadtentwicklung und Gentrifizierung mit Holm als Gast.
Holm verweist dort auch auf den Umstand, dass der sog. "freie Wohnungsmarkt" jährlich mit ca. 17 Milliarden € Subjektförderung finanziert wird. Also durch Wohngeld, KDU (Hartz4) u.ä. Mietpreise möglich sind, die der "freie Markt" gar nicht hergeben würde. Dies wird zwar als soziale Förderung für ärmere Haushalte verkauft, ist de facto aber eine Wirtschaftsförderung für die Eigentümer (hinzu kommen noch 6-8 Milliarden € an Abschreibungsmöglichkeiten).
Aber hört es euch selbst an, wenn Interesse besteht.
Wäre schön mehr über das Modell Barcelona zu erfahren.
Bezweifeln Sie ernsthaft, dass die Voraussetzung für private Investitionen die Aussicht auf höhere Renditen ist? Immer wieder herrlich, wenn die Freunde des Kapitalismus dessen Funktionsweise nicht verstanden haben.
Richtig ist, dass die Herrschaften, welche aus ideologischen Gründen den Kapitalismus in toto verteufeln, dazu neigen, die Kinder mit den Bädern auszuschütten.
Wer es Grundstücks- und Wohnungseigentümern vermasseln will, mit ihren Immobilien etwas zu erwirtschaften, außer ordentlich Arbeit damit zu haben, wird erleben, dass die Städte bald so aussehen, wie sie zu DDR-Zeiten z.B. in Halle oder Leipzig aussahen, mit ganzen Straßenzügen von schwarzen Bruchbuden und mit Brettern vernagelten Fenstern, in denen die Menschen irgendwie hausten, wobei mir heute noch rätselhaft ist, wie. Ich habe mit eigenen Augen in Leipzig Wohnungen gesehen, in denen die Holzfußböden herausgerissen und vermutlich verheizt worden waren und die Menschen auf dem Sand hausten, der sich unter den herausgerissenen Holzfußböden befand. Und das war nicht das Schlimmste, was ich sah, Ihnen aber ersparen möchte. Wenn man bedenkt, wie rasant in gerade mal 45 Jahren die Bausubstanz in der DDR heruntergewirtschaftet wurde, allein, weil die Menschen entweder einteignet wurden oder ihr Grundstückseigentum aufgaben, weil sie bei nahezu Null Einnahmen gleichwohl die Lasten zu tragen hatten, der ist von Enteignungsgedanken ein für allemal kuriert. Dessen ungeachtet bestreite ich nicht, dass Unternehmen der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft, wie etwa die Deutsche Annington bzw. Vonovia SE, ein großes Ärgernis sind, weil es ihnen ausschließlich um die Rendite geht und um sonst gar nichts.
Die Enteignungsbehörde benötigt zum Handeln eine solide Rechtsgrundlage - und vor allem viel Geld, denn entschädigungslose Enteignung ist nicht vorgesehen. Da kann man mit weniger Verwaltungsaufwand auch gleich für die öffentliche Hand einen ganz normalen Erwerb tätigen. Wird übrigens auch so gemacht. Deshalb kommt die Enteignungsbehörde nur sehr selten zum Einsatz. Kurzum: Teurer Spaß. Was effektiv hilft sind Wohnungsbaugenossenschaften. Deren steuerliche Gemeinnützigkeits-Privilegien hat Kohl seinerzeit als erste Amtshandlung abgeschafft. Müßte man sich neu erkämpfen. Wäre eine schöne Aufgabe für Bundeskanzler Martin Schulz. Kommt auf sein Chancenkonto...
Ich bin Hausbesitzer und stimme dem Artikel dennoch komplet zu.
Der Staat hat als Gewaltmonopol auch die Verpflichung arme Bevölkerungsteile gegen die Agression reicherer zu schützen. Das nennt man i.A. Gesellschaftsvertrag. Wenn der nicht eingehalten wird, holen sich die Armen ihren Teil irgendwann mit Gewalt, versuchen es zumindest, oder erwidern die durch das Geldsystem anonymisierte kapitalistische Agression mit Zerstörung. Mit anderen Worten, der Staat ist für den sozialen Frieden verantwortlich. Das neoliberale Regime allerdings schützt nur die Eigentümer und das Kapital. Dass Eigentum verpflichtet, schreiben sie indirekt selber , aber dass diese Verpflichtung auch etwas koste, zumal im Kapitalismus, will heute anscheinend kein Eigentümer mehr wahr haben....
Nun sind aber die Kleineingentümer sicher nicht das eigentliche Problem, denn die sind meist ja verantwortungsvoller als anonyme Imobilienverwaltungen oder -fonds, die nur auf die Rendite für ihre Anleger schauen. Was den kleinen Eigentümern also vorzuwerfen ist, wenn man über die überhaupt in diesem Zusammenhang sprechen will, ist ihr Opportunismus, wenn sie sich an Preis- und Markttendenzen, die durch die großen angeschoben werden, anhängen. Das ist Mitnahmementalität, die das besagte Verantwortungsdefizit von einer anderen Seite illustriert. Würden die kleinen dagegenhalten, verantwortlich handeln, könnten die Spekulanten längst nicht so erfolgreich den Markt bestimmen.
Die aus dem Thema erwachsende konkrete Frage ist indes: Wer soll das Grundrecht auf Wohnen garantieren, wenn der Staat es nicht macht und entsprechend die Eigentümer dafür zur Kasse bitte , weil die ja nun mal das Eignetum haben, also den Profit erwirtschaften? Sollen die Armen ihren Wohnraum selber finanzieren .... oder auf die Müllkippe ziehen?
Aus der Frage ersehen Sie , dass der Kapitalismus zwei Seiten hat, die sich relativ zueinander verhalten. Diese Relation, bzw die Seiter der Pflichten wird aber in hierarchischen Gesellschaftssystemen gerne ausgeblendet. Man fordert zB. den Freien Markt, will aber nicht dafür verantwortlich sein wenn Menschen an diesem scheitern , also zu Opfern werden und dabei umkommen. Wenn man dann den Eigentümer selber in die Pflicht nehmen wollte , aber wehr der sich mit Händen und Füßen und bildet sich ein, er würde nun selber zum Opfer des Systems. Das aber ist purer Wahnsinn.... und wirklich Ideologie (im Gegesatz zu kritischem Denken - wie weiter oben) ... und das nicht nur weil realwirtschaftlich die Kundschaft des Vermietungssmarktes eben nun mal hauptsächlich sogenannte Arme sind.
Auf Schulze brauchen Sie dabei nicht zu hoffen, würde ich mal sagen.
Ich würde mich eher fragen warum Genossenschaften neue Häuser (am Stadtrand wo es billig ist ??) bauen sollte , damit die ärmere Bevölkerung zu Gunsten reicher Investoren aus der Innenstadt ausgesiedelt werden kann? Macht für mich keinen Sinn.
Genossenschaften bauen dort, wo ihre Mitglieder Wohnraum nachfragen. Auch im Stadtinnern. In München, in Hamburg und in Berlin und auch anderswo. Leider nicht genug. Wer einmal in der Genossenschaft untergekommen ist, muss niemals zugunsten reicher Investoren mehr umziehen (lebenslanges Nutzungsrecht). Die Wohnungen sind auch nach hundert Jahren noch gepflegt und intakt. Klingt wie Sozialismus, war von Beginn an auch so gemeint. Und funktioniert weltweit. Nur in D haben sich Genossenschaften von der NS-Zeit nie mehr richtig erholt.
Ich verurteile die Methoden, mit denen Herr Holm als Staatssekretär verhindert wurde. Nach diesem Interview bin ich aber sehr froh, dass der Berliner Bevölkerung dieser Staatssekretär erspart blieb.
Staatssekretär in einer Landesregierung zu sein bedeutet doch wohl, pragmatische Politik für die Menschen zu machen. Eine Politik, die etwas ändert, fängt erst einmal mit einer Analyse an. Vor ca. 15 Jahren war der Berliner Mietwohnungsmarkt entspannt und Mieter konnten mit ihrem Vermieter erfolgreich über Mietsenkungen verhandeln. Und keiner glaubt hoffentlich, der Kapitalist war vor 15 Jahren weniger gierig als heute. Was hat sich also verändert:
- Die Landflucht nimmt dramatische Zustände an. In Summe hat Deutschland ausreichend Wohnungen, die sind nur an der falschen Stelle.
- Die Einkommensspreizung ist deutlich größer geworden. Eine in Absolutzahlen nicht ganz so kleine Gruppe der Bevölkerung (von ausländischen Anlegern ganz zu schweigen) weiß nicht wohin mit ihrem Geld.
- Die Anlageklasse sichere Staatsanleihen bringt dank der EZB- Politik kaum noch Gewinn.
Alle drei Faktoren können von einer Kommune kaum beeinflusst werden. Sie kann maximal die Folgen abmildern.
Eines der ganz klassischen Instrumente der Kommune zur Dämpfung des Wohnungsmarktes sind Wohnungen in öffentlicher Hand. Es gehört zur ehrlichen Analyse dazu, dass der Verkauf von öffentlichen Wohnungen an Privatinvestoren in den letzten 20 Jahren – von angeblich linken Parteien mit befürwortet und durchgeführt – erst die „Deutsche Wohnen“ und Co. groß gemacht haben. Diese Privatisierungen sind erst einmal nicht rückgängig zu machen. Als Lehre sollten sie aber verinnerlicht werden.
Die Vorschläge von Herrn Holm lesen sich teilweise so, als ob er von der Revolution träumt. Aber Herr Holm, manche Aussagen im Parteilehrjahr waren richtig; ohne revolutionäre Situation hat eine Revolution keine Chance. Die revolutionäre Situation ist nicht zu erkennen, also was machen wir jetzt in der Wohnungspolitik. Vielleicht sollte man sich wieder an einige alte Rezepte erinnern; z.B.:
- Vergabe öffentlicher Grundstücke nur in Erbpacht und konsequente Nutzung des kommunalen Vorkaufsrechts;
- Revitalisierung der Baugenossenschaften;
- Sozialer Wohnungsbau durch die Kommune
Der Vorschlag mit der Erhöhung der Grunderwerbssteuer ist geradezu lächerlich und wird nur bewirken, dass Schwellenhaushalte nicht bauen können.
? was nun? Bauen sie nun in der Innenstadt oder haben sie sich nie wieder richtig erholt, die Genossenschaften? In welchem Zustand sind sie also? Gibt's die noch?
Wenn sie denn bauen , was ja positiv wäre , dann hätten sie sich ja gewissermaßen erholt , oder? Obwohl ich mich doch frage wo die denn in den Innenstädten bauen. Wenn ich richtig informiert bin, schließen sich da die letzten Baulücken zunehmend und die Grundstückspreise sind entsprechend ... daher die Vermutung Stadtrand, wenn überhaupt.
Und was ist in der "NS-zeit" mit den Genossenschaften passiert?
Was viele Hausbesitzer davon abhält, Wohnungen fest zu vermieten und sie lieber als Ferienwohnungen anzubieten, sind die immer weitreichenderen Mieterschutzgesetze.
Sobald ein Vermieter den Mietvertrag unterschrieben hat, muss er damit rechnen, sich mit säumigen Zahlungen, Anwälten, exzessiven Hobbyheimwerkern, (unerlaubte) Haltung von Haustieren, chronischen Nichtlüftern (die dann auch noch Mietpreisminderung wegen selbstverursachter Schimmelbildung einfordern), Messies und ähnlichen Unerfreulichkeiten herumzuschlagen, ohne dass er nennenswerte reale Einflussmöglichkeiten besitzt.
Einen unliebsam gewordenen Mieter wieder loszuwerden ist ein sehr nervenaufreibendes Unterfangen.
Die Wohnungsnot ist eben auch der Preis für das Verhalten derer, die mit dem Eigentum anderer wenig rücksichtsvoll umgehen.
Mieterschutzgesetze, die es dem Vermieter fast unmöglich machen, unerwünschten Handlungen der Mieter Einhalt zu gebieten erweisen sich somit als Bumerang, der die Wohnungssuchenden trifft.
gute ergänzung, danke für den tipp!
!
Wie so oft, sind die beiden Extreme fatal.
"Einen unliebsam gewordenen Mieter wieder loszuwerden ist ein sehr nervenaufreibendes Unterfangen.
Die Wohnungsnot ist eben auch der Preis für das Verhalten derer, die mit dem Eigentum anderer wenig rücksichtsvoll umgehen.
Mieterschutzgesetze, die es dem Vermieter fast unmöglich machen, unerwünschten Handlungen der Mieter Einhalt zu gebieten erweisen sich somit als Bumerang, der die Wohnungssuchenden trifft."
Völlig korrekt. Ich kenne selbst etliche Beispiele von schwer frustierten Vermietern, die wohlmeinend waren und spätestens nach der zweiten schlechten Erfahrung pauschal an bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht mehr vermieten, weil sie rechtlich, nervlich, finanziell und sozial draufzahlen.
Dass das konstant ausgeblendet wird, ist für mich ein weiterer Beleg einer ganzlinken Doppelmoral, die allen alles entschuldigt, außer man hat so etwas Schreckliches wie ein Haus oder Auto.
Dann ist man gleich Bonze und unterstützt das System, ist also mindestens mitschuldig ...
Dass das konstant ausgeblendet wird, ist für mich ein weiterer Beleg einer ganzlinken Doppelmoral, die allen alles entschuldigt, außer man hat so etwas Schreckliches wie ein Haus oder Auto.
Es sorgt auch hier der Unwille, sich in die Situation anderer auf nicht ressentimentgeleitetete Weise einzufühlen, für einen Tunnelblick, der Ungerechtigkeiten stets auf die Skrupellosigkeit des Gegenübers zurückführt. Dass dieses womöglich auch Zwängen unterworfen ist, die es sich nicht selbst ausgesucht hat, wird ignoriert.
Vielleicht ist das ein Hindernis dafür, dass Linke mehr Menschen für ihre gesellschaftlichen Vorstellungen einnehmen können.
"Es sorgt auch hier der Unwille, sich in die Situation anderer auf nicht ressentimentgeleitetete Weise einzufühlen, für einen Tunnelblick, der Ungerechtigkeiten stets auf die Skrupellosigkeit des Gegenübers zurückführt."
Dann zeigen Sie mir doch mal exemplarisch, wie das gehen soll. Es ist immer einfach einen Grund für das Verhalten anderer zu finden, die "mit dem Eigentum anderer wenig rücksichtsvoll umgehen", aber wenn es dann der Mietnomade im eigenen Haus ist, der bestimmt auch eine schwere Kindheit hatte, sieht die Sache zumeist anders aus.
Und Gründe, durchaus auch triftige, dafür zu finden, dass jemand ist, wie er eben aktuell ist, entschuldigt noch kein Fehlverhalten. Nahezu alle Menschen mit antisozialen Zügen sind selbst Opfer im Leben geworden. Und was heißt das jetzt?
Wer die Klaviatur gut beherrscht und genau weiß, wo er drei Finger heben (keine Kohle) und andere sadistisch erpressen kann, alle seine Rechte kennt und die anderer notorisch missachtet, wie wollen Sie den überzeugen oder bekehren?
Warum früh aufstehen und einen Job annehmen, wenn man den Bogen raus hat auch für lau zu wohnen und mit Kleinkriminalität durchzukommen?
Der unliebsame Mieter war ja Ihr Beispiel. Was würden Sie tun?
Zumal die Asis unter den Vermietern ihre eigenen Tricks haben und ihre Anwälte haben. (Und ich vermute, auch da ist früher was schief gelaufen.) Aber wir wollen ja die Gutwilligen unterstützen. Also - ernst gemeinte Frage - wie würden Sie es tun?
oben, an Sie
sich als opfer darstellen,
keinen spielraum gegen zwänge zu haben,
gründe für gesetzes-verletzungen zu haben,
kurz: verantwortungs-losigkeit als ent-schuldigung
für sich vor-zuschieben:
eine regression in vor-bürgerliche verhältnisse,
wo die außen-leitende peitsche
die unentwickelte selbst-beherrschung ergänzte?
ist die selbst-kontrollierte person
ein auslauf-modell?
„ist die selbst-kontrollierte person
ein auslauf-modell?“
Ich glaube nicht.
Wie erlebst Du Deinen Alltag? Zwar ist die Zahl der Hardcore-Spinner und Kern-Enthemmten größer geworden (oder man nimmt sie verstärkt wahr), aber die Mehrheit der Menschen ist doch vertrauenswürdig und nicht selten sehr nett.
Sicher werden Tugenden bald wieder ihr Comeback erleben. Der Druck auf Asis muss erhöht werden, gleichzeitig muss es ernsthafte und wohlmeinende Angebote zum Ausstieg geben. Der in meinen Augen wichtigste Punkt ist die zu kreierende soziale Rolle. Verheerend ist, dass wir zur Zeit in vielen Fällen die Botschaft aussenden: Keiner will dich, keiner braucht dich. Da würde ich auch sagen: Dann leckt mich doch. Es trifft viele Harzer, Migranten (auch der vierten Generation), ostdeutsche Wendeverlierer und Rentner, die die Angst umtreibt anderen zur Last zu fallen (ein Armutszeugnis unserer Gesellschaft!).
Da helfen dann auch keine Wohnungen plus Taschengeld, wenn man Menschen das Gefühl gibt, sie seien prinzipiell überflüssig. Ist die Handreichung aber da und ernst gemeint, sind Wohnungen und ordentlich Kohle (unter Berücksichtigung der Gerechtigkeitsempfindungen des Mainstream) natürlich bedeutend. Darum halte ich eine Wertediskussion für unausweichlich, sonst besteht die Gefahr, dass wir ein neues Spießertum erleben.
na,
hab ich Dich wieder auf das terrain des neo-lib-themas
gelockt:
wo nutzlose, überflüssige nicht-leister
einer elitären global-erfolgreichen leistungs-creme
gegenüberstehen,
die sich geschaffenen reichtum selbst-zurechnen?
(mein engel auf der schulter sagt:"slap your wrist, old marxist!")
Dann zeigen Sie mir doch mal exemplarisch, wie das gehen soll. Es...
Oh, möglicherweise haben Sie mich falsch verstanden. Mein Satz "Es sorgt auch hier der Unwille, ..." meinte nicht Sie, sondern die von Ihnen konstatierte ganzlinke Doppelmoral.
Ich hatte Ihnen quasi beigepflichtet und gehe auch jetzt völlig mit Ihnen konform.
ist die selbst-kontrollierte person
ein auslauf-modell?
Sicher nicht, aber sie sieht sich einer Welt gegenüber, die Kontrolle unwahrscheinlicher macht, weil Sicherheit, als altbacken verlacht, gegen Flexibilität und Mobilität, die neue Heilsbringer, eingetauscht werden.
Kann sein, aber ich bin ja ausdrücklich kein Freund des Neoliberalismus. Was ich kritisiere, ist die Reduktion von allem auf den Neoliberalismus. Und ich frage, wie es kommen kann, dass der Neoliberalismus auf einmal so erfolgreich sein kann. Ich will lediglich eine Kombination von äußeren und inneren Ansätzen, weil die inneren zu oft vergessen werden.
"Oh, möglicherweise haben Sie mich falsch verstanden."
Ja, hatte ich dann wohl. Ist damit geklärt. Danke.
Aua, muss heißen:
...weil Sicherheit, als altbacken verlacht, gegen Flexibilität und Mobilität, die neuen Heilsbringer, getauscht wird.
wie der neo-lib sich durchsetzen konnte?
vergleichbar dem schwimm-lehrer,
der die novizen ins wasser-becken stößt
und sagt: schwimmt!
Wien zeigt, dass es auch anders geht. Sozialer Wohnungsbauquote ist hoch und offensichtlich ausreichend.
Holland hat gegen Leerstandsspekulation ein probates Mittel. Wer Leerstand meldet kann 3 Monate später zum Mietspielgel durch Öffnung duch das Wohungsamt beziehen.
Es gibt viele Möglichkeiten die endlich organisiert werden müssen.
Sie sollten Ihren Fragen mal ernsthaft nachgehen. Vielleicht nicht hier im Forum, sondern durch Lektüre. Zu Ihrer Innenstadtfrage beispielhaft: Der derzeit teuerste und begehrteste Baugrund in Hamburg ist die Hafen-City. Sie können dort neugebaute Genossenschaftswohnungen in großer Zahl bewundern. In Berlin empfehle ich beispielhaft einen Blick auf die BBWg 1892: https://www.1892.de/siedlungen.html. Ohne die historischen Benachteiligungen wären die Wohnungsbaugenossenschaften heute in den Städten vermutlich marktbeherrschend. Ansonsten ist hier im Freitag ein schöner Artikel aktuell nachzulesen: https://www.freitag.de/autoren/bennyk/wucher-beim-wohnen.
Wie gesagt - Lesen bildet!
"Lesen bildet!"
da stimme ich vorbehaltlos zu. Was das Thema Genossenschaftswohnungen angeht bin ich wirklich nicht sehr gebildet. Ich wohne schon seit 25 Jahren nicht mehr in Deutschland und vorher hat mich das Them nicht wirklich interessiert. Danke für die Links also.
ansonsten sind wir, denke ich, nicht sehr weit auseinander. Villeicht haben Sie ja auch meinen anderen Kommentar weiter oben gelesen