„Es gibt keinen gerechten Krieg“

Syrien Jakob Augstein im Gespräch mit Jürgen Todenhöfer über die Ursachen des Konflikts und die Chancen für eine Friedenskonferenz
Ausgabe 47/2016
„Als Journalist sollte man besser nicht in der Fankurve sitzen“
„Als Journalist sollte man besser nicht in der Fankurve sitzen“

Foto: Marc Beckmann für der Freitag

Jakob Augstein: Herr Todenhöfer, sind Sie Pazifist?

Jürgen Todenhöfer: Ich bin im Zweifelsfall immer für Frieden. Es gibt keine gerechten Kriege und es gibt keine sinnvollen Kriege. Und ich weiß, wovon ich spreche. Ich habe viele Konflikte hautnah miterlebt, in Afghanistan, im Irak, in Syrien. Eines habe ich mir auferlegt: Immer, wenn ich in Kriegsgebiete reise, gehe ich in Krankenhäuser. Ich kann nur jeden, der in diesen Kriegen einen Sinn sieht, dazu auffordern, einmal in ein solches Krankenhaus zu gehen. Und zu sehen, wie junge Soldaten sterben. Frauen, Kinder und alte Leute sterben zu sehen. Wenn man dieses Leiden sieht, dann klingen die Sätze aus der Politik und aus der Publizistik völlig hohl.

Wie erklären Sie sich denn, dass jemand, der wie Sie gegen Krieg anschreibt, so viel Irritationen auslöst?

Darüber zerbreche ich mir nicht den Kopf. Ich denke darüber nach, was richtig ist, und dann handele ich danach. Vielleicht passen meine Antworten dem ein oder anderen nicht. Goethe hat mal gesagt, was nicht umstritten ist, ist auch nicht interessant. Mich stört nicht, dass ich kritisiert werde. Aber man sollte auch nicht verschweigen: Die meisten Medien lagen in den vergangenen Jahren mit ihren Analysen ziemlich daneben.

Wie meinen Sie das?

Die haben etwa prognostiziert, Baschar al-Assad stehe kurz vor dem Fall. Sie haben Warnungen als Verschwörungstheorie abgekanzelt, dass in Syrien Terrorismus entsteht. Wenn solche Experten mich angreifen, ist mir das egal. Die haben immer unrecht gehabt. Viele von denen haben uns stattdessen in diese Kriege hineingeschrieben.

Zur Person

Jürgen Todenhöfer ist Publizist. Er hat viele Krisenregionen bereist und darüber Bücher geschrieben. Bis 2008 war er viele Jahre lang Vorstandsmitglied im Burda-Verlag. Der CDU-Bundestagsfraktion gehörte er von 1972 bis 1990 an

Wirklich? Was wäre denn das Motiv dafür?

Die erfolgreichste Überlebensstrategie ist die Anpassung an die Herde. Deswegen ist bei den Menschen der Herdentrieb so weit verbreitet. Das Leben ist viel einfacher, wenn man die Meinung der Mächtigen vertritt. Hierzulande ist das die Meinung der Amerikaner. Die Bundesregierung macht das genauso wie die Medien. Alle folgen dem Mainstream. Die Journalisten haben sich von der Haupttribüne dieses Spiels, das sich zwischen Ost und West abspielt, in die Fankurve gesetzt. Sie betreiben Fankurven-Journalismus.

Ist für Sie Assad der Gute? Oder Wladimir Putin?

Als Journalist sollte man auf der Haupttribüne sitzen bleiben und sich überlegen: Ich bin für Demokratie, für Frieden, für Menschenrechte. Wer verhält sich nach diesen Maßstäben richtig? Wenn es die USA sind, sollte man sagen: Das haben die gut gemacht. Wenn es Russland ist, dann sollte man sagen: Da hat nun mal Putin recht.

Kann man unparteiischer Journalist sein und gleichzeitig Friedensaktivist?

Ja, das kann man. Ich bin im Zweifelsfall für Verhandlungen statt Krieg. Ich glaube, dass es in den meisten Situationen auch Verhandlungsmöglichkeiten gibt. Wenn ich selber die Chance habe, irgendwo mitzuhelfen, tue ich das. Ich habe mit Wissen der Bundesregierung und des Weißen Hauses vor zweieinhalb Jahren Assad besucht. Wir haben über drei Stunden miteinander gesprochen. Ich habe dann ein Papier mit seinen Lösungsvorschlägen für den Syrien-Konflikt mitgebracht. Ich habe das Dokument dem deutschen US-Botschafter übergeben, und er hat es direkt an das Weiße Haus weitergeleitet. Assad hat darin Zugeständnisse gemacht, die die USA heute so nicht mehr bekommen würden. Aber die US-Antwort lautete: Mit dem sprechen wir nicht.

Man hat Ihnen zu große Nähe zu Assad vorgeworfen, sowie unsaubere Recherchen im Zusammenhang mit einem Interview eines Al-Nusra-Kommandeurs …

Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich antworte auch nicht auf jeden Vorwurf. Aber dieses Interview war selbstverständlich nicht gefälscht. Das lässt sich in allen Details belegen.

Wissen wir denn genug über den Syrien-Krieg?

Nein, tun wir nicht. Man muss diesen Konflikt in verschiedenen Phasen sehen. Syrien ist eine Diktatur. Aber am Anfang, zu Beginn von Assads Amtszeit, gab es durchaus interessante, teilweise sogar demokratische Ansätze. Aber das wurde nicht sehr lange durchgehalten. Dann gab es im Zuge des Arabischen Frühlings die Demonstrationen. Das war ein legitimer Protest gegen eine Regierung, mit der vor allem die Sunniten in den Armutsgürteln rund um die großen Städte nicht einverstanden waren. Es gab aber auch Mächte, die ein Interesse hatten, Assad zu stürzen. Zum Beispiel Katar oder Saudi-Arabien, denen säkulare Staaten wie Ägypten, Libyen, Tunesien oder eben Syrien missfielen. Die Regierung Tunesiens oder Ägyptens ließ sich relativ schnell stürzen. Aber Syrien war durch Demonstrationen nicht zu kippen. Auch deshalb nicht, weil dieser Diktator einen viel stärkeren Rückhalt in der Bevölkerung hat, als wir glauben. Der liegt laut Umfragen bei 40 Prozent. Und zwar stabil.

Warum dann der Krieg?

Als man merkte, dass Assad nicht durch Proteste zu stürzen ist, wurden Waffen geliefert, wiederum aus Katar und Saudi-Arabien. Das war der Beginn der zweiten Phase: die vom Ausland finanziell und mit Waffen unterstützten, Rebellion. Derzeit erleben wir die dritte Phase: Die Mächte, die bisher im Verborgenen die Fäden gezogen haben, treten in den Vordergrund: Iran, die Russen, die Libanesen, dazu die USA, die Franzosen.

Kann man da die Guten noch von den Bösen unterscheiden?

Beide Seiten haben in Syrien Kriegsverbrechen begangen. Ein syrischer Soldat, der mehrere Familienmitglieder verloren hat, führt keinen „anständigen“ Krieg mehr. Und der Rebell, der Freunde und Familienmitglieder hat sterben sehen, tut das ebenso wenig. Ich glaube, die Frage muss man anders stellen. Gibt es ein Recht auf Widerstand, das selbst dann weiter gilt, wenn die Lage immer schlimmer wird? Meine Antwort lautet: Ab einem bestimmten Zeitpunkt ist eine Revolution nicht mehr legitim. Diese syrische hat ihre Legitimität verloren.

Aber wir können doch nicht zugucken, wie Assad seine Leute massakriert. Auf brutale Art und Weise, indem er Fassbomben auf Wohngebiete abwerfen lässt und dadurch Zivilisten niedermetzelt.

Natürlich sind Fassbomben grauenvolle Bomben. Aber finden Sie, dass die gesteuerten Bomben, die mehrere Kurven fliegen, bevor sie ganz bestimmte Ziele treffen – finden Sie die besser? Meinen Sie, dass es sympathische Bomben gibt, weil sie intelligenter sind? Ich finde alle Bomben schlimm.

Wir hängen ganz fest an der Vorstellung, dass es noch unterstützenswerte Rebellen gibt.

Bei den Rebellen gibt es nur einige lokale Gruppen, mit denen man nach einer Friedenslösung einen Staat aufbauen könnte. Die meisten Rebellengruppen sind radikalislamistisch. In Aleppo ist nicht eine sympathische Gruppe von Demokratie-Freunden am Werke, das sind knallharte Extremisten.

Trotzdem unterstützen wir die aber weiter. Also geht es um andere Dinge?

Die Bekämpfung des Terrors spielt eine Rolle, sicher. Der „Islamische Staat“ ist dem Westen zu stark geworden. Ich bezweifle aber, dass man ihn wirklich total ausschalten will. Es geht doch vor allem um die Vorherrschaft im Mittleren Osten und um Öl. Und es geht darum, Russland und China daran zu hindern, die Region zu kontrollieren.

Der Kampf gegen den Terror ist bestenfalls zweitrangig?

Seine Bekämpfung ist jedenfalls nicht der Grund, warum die Amerikaner nach den Anschlägen vom 11. September in Afghanistan einmarschiert sind. Die Terroristen kamen ja überwiegend aus Ägypten und Saudi-Arabien. Es war kein einziger Afghane dabei. Afghanistan wurde angegriffen, weil sich Osama bin Laden dort versteckt hatte. Aber wer weiß wirklich, welche Rolle bin Laden gespielt hat ...

Oh, jetzt aber bitte keine 9/11-Verschwörungstheorien.

Keine Sorge. Ich habe mich stes gegen Theorien gewandt, dass die Amerikaner dahinterstecken. Das halte ich für völlig abwegig. Das waren die Terroristen. Aber wer weiß, wer Mohammed Atta in Hamburg die Anweisungen dazu gegeben hat? Wir wissen nur sehr wenig. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich in den Höhlen des Hindukusch so ein Anschlag organisieren lässt.

Kann Assad noch zurücktreten?

Das kommt darauf an, wie die Bedingungen sind. Er hat sie ja klar benannt: Im Falle eines stabilen Friedens wäre er bereit, zu gehen. Und er wünscht sich Deutschland als Vermittler.

Wirklich? Es geht in Syrien doch um einen „regime change“.

Ja, stimmt. In Libyen hat das ja sehr gut funktioniert. Gaddafi ist weg, dafür haben wir fünfzig neue Gaddafis. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Wie jemand die Politik des regime change noch unterstützen kann, ist mir schleierhaft.

Aber in den Medien wird immer gefordert: Assad muss weg.

Das entscheiden nicht wir Deutschen, sondern die Syrer.

Es gibt doch keine Öffentlichkeit mehr, die man fragen könnte.

Ein erster Schritt wäre eine Friedenskonferenz für den gesamten Mittleren Osten, vergleichbar mit der KSZE-Konferenz in den 70ern und 80ern des vergangenen Jahrhunderts, die den Konflikt zwischen dem Sowjet-Block und dem Westen entschärft hat. Es wird keinen Frieden geben, ohne dass man den Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Iran löst. Es wäre auch gut, wenn sich der neue US-Präsident Trump mit Putin besser verstünde als Obama. Ich habe nie verstanden, warum Obama dieses Feindbild so hochgespielt hat. Für mich ist Putin ein Konkurrent des Westens, aber kein Feind.

Glauben Sie, dass persönliche Sympathien zwischen Politikern heute noch eine Rolle spielen? So wie bei Kohl und Gorbatschow?

Wenn zwei Politiker sich gut verstehen, ist das immer eine Hilfe. Es hat viel geholfen, dass Kohl gut mit Gorbatschow konnte. Aber das Wichtigste ist: Es muss eine Friedenskonferenz geben. Und die Entscheidung, wie es in Syrien weitergeht, müssen die Syrer treffen.

Das kommt mir ziemlich unrealistisch vor. Wird es nicht eher so sein, dass dieser Staat zerfällt?

Ich glaube, dass die Syrer, die eine Teilung wollen, in der Minderheit sind gegenüber denjenigen, die sagen: Wir müssen wieder zusammen finden. Aber diese Entscheidung dürfen nicht die USA oder Russland oder die EU treffen. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: Die Amerikaner und die Russen müssen raus aus der Region. Die haben im Mittleren Osten nichts zu suchen und haben den Völkern dort nur Unglück gebracht.

Info

Der nächste Radio Eins und Freitag Salon findet am 12. Dezember statt. Gast ist Sahra Wagenknecht

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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