Fatale Eskalation

Terrorismus Nach den Anschlägen von Brüssel übt sich die Politik wieder mal in harscher Kriegsrhetorik. Das ist fahrlässig und falsch
Ausgabe 12/2016
Wird der Ausnahmezustand zum Normalzustand?
Wird der Ausnahmezustand zum Normalzustand?

Foto: Hatim Kaghat/AFP/Getty Images

„Wir sind im Krieg“, hat der französische Premierminister Manuel Valls nach den Bomben von Brüssel gesagt. In diesem einen Wort liegt unsere ganze Misere. Wenn wir die Auseinandersetzung mit dem Terror als Krieg betrachten, dann haben wir ihn bereits verloren. Denn dies wäre ein Krieg, den wir nie gewinnen können – und je länger wir ihn führen, desto mehr Schaden nehmen wir selbst.

Es hat ja längst begonnen. Nach den Anschlägen vom 13. November hat Frankreich den Ausnahmezustand verhängt. Er wurde seitdem schon zwei Mal verlängert. Jetzt gilt er mindestens bis Ende Mai. Wie wird Belgien reagieren, nachdem in Brüssel nun weit mehr als zwei Dutzend Menschen getötet wurden? Wie würden die Deutschen reagieren? Der Westen hat sich die Logik des Krieges aufzwingen lassen.

Frankreich ist seit dem vergangenen Herbst ein Polizeistaat. Anders kann man es nicht nennen. Die Polizei kann Durchsuchungen vornehmen, wie sie will, sie kann festnehmen und festhalten, wen sie will. Alles ohne Gericht. Und was die allgemeine Überwachung angeht machen wir uns alle ohnehin schon lange keine Illusionen mehr. Aber die Gegenwehr ist verhalten. Es protestiert nicht die deutsche Regierung, es protestieren nicht die europäischen In-stitutionen, auch der Protest der französischen Bevölkerung bleibt übersichtlich.

Das ist das Facebook-Zeitalter. Wer es wagt, im Angesicht der Toten auf den Rechtsstaat zu pochen, setzt sich dem Getwitter der Maßlosen aus. Das kürzeste Argument gewinnt. Und das kürzeste ist immer das brutalste. Krieg – dabei ist der Assoziationsraum dieses Begriffes ein Irrgarten. Es ist nicht die Panzerschlacht von Kursk, die hier gefochten wird. Metall auf Metall. Härte gegen Härte. Der Westen verliert den rechten Weg, wenn er die Auseinandersetzung mit dem Terror als Krieg begreift. Terror ist ein gesellschaftspolitisches Phänomen und eine polizeiliche Herausforderung. Die Mittel und die Rhetorik des Krieges helfen im Kampf gegen den Terror wenig. Das ist die Erfahrung, die der Westen seit 2001 gemacht hat – er lernt nur nichts daraus.

„Die Attentäter haben in Brüssel zugeschlagen. Nicht weil die EU hier ihren Sitz hat. Sondern weil es nirgends in Europa so leicht ist, ein Attentat zu planen und durchzuführen.“ Peter Müller, Brüsseler Korrespondent von Spiegel Online, schrieb das. Es wäre demnach die besondere belgische Lage, die besondere polizeiliche Probleme mit sich bringt. Mit den Mitteln des Krieges sind sie nicht zu lösen. Ebenso wenig wie die sozialen Probleme der französischen Banlieues, aus denen die Anschläge von Paris entsprangen, so zu lösen sind.

Der französische Philosoph Alain Badiou nennt den Islamismus einen Faschismus. Badiou verneint einen inhärenten Zusammenhang mit der islamischen Religion. An einen solchen Zusammenhang klammern sich ja die Islamverächter im Westen mit großer Entschlossenheit. Ist das die Sehnsucht nach dem eschatologischen Endkampf der Kulturen? Als sozialpsychologisches Phänomen bliebe der Terror immerhin lösbar. Badiou schreibt: „Dieser Faschismus ist die Kehrseite einer enttäuschten Sehnsucht.“ Es sind der Neid und der Hass der Ausgeschlossenen, die sich hier manifestieren. Damit ist der gewalttätige Islamismus nur ein Element im Kosmos des globalen Kapitalismus. Badiou nennt ihn sein „verstecktes Phantom“.

Die zweifelhaften Angebote des Westens

Diese Erklärung ist eine Zumutung für Publikum und Politik. Der Westen muss sich dann fragen, warum er den jungen Männern (und Frauen) kein Angebot machen kann, das besser ist, als sich selbst in die Luft zu sprengen. Hier, bei der Motivation des Täters, müsste jede sinnvolle Anti-Terror-Politik beginnen.

Damit verschiebt sich das Handlungsfeld weg von Bombenflügen über Syrien und weihevoll-scheppernder Kriegsrhetorik daheim. Der Kampf gegen den Terror wird dann zum langwierigen, mühevollen Werkeln an einem feinen Gewebe, dessen Fäden die Integration westlicher Gesellschaften sind, die kluge Diplomatie im Nahen Osten, die gerechtere Weltwirtschaftsordnung, der Verzicht auf Waffenlieferungen in Krisengebiete, der respektvolle Umgang mit der anderen Kultur und Religion. Alles nicht besonders reizvoll für unsere ungeduldige Gegenwart. Stattdessen nehmen Politik und Öffentlichkeit bereitwillig den Weg der Eskalation.

Nach den Anschlägen von Paris wurde in deutschen Zeitungen auf das Beispiel Israels als Vorbild dafür verwiesen, wie eine Gesellschaft mit der dauernden Bedrohung des Terrors leben könne: Metalldetektoren vor Schulen und Kaufhäusern, überall gegenwärtige schwer bewaffnete Sicherheitskräfte, strenge Kontrollen, ständige Überwachung auf dem technologisch neuesten Stand. Das Handelsblatt zitierte damals mit ehrfürchtigem Schaudern einen „Anti-Terror-Spezialisten“, der den Angriff im Konzertsaal Bataclan so kommentierte: „Bei uns wären die Attentäter aus dem Publikum heraus nach 60 Sekunden neutralisiert worden.“ Ja, das mag sein. Denn der Krieg erzeugt eine kriegerische Gesellschaft. Aber damit wird der Ausnahmezustand zum Normalzustand. Es liegt eine besondere Paradoxie darin, diese Wendung als Zeichen der Stärke und Unbeugsamkeit westlicher Werte zu verstehen – und nicht als Kapitulation vor dem Terror, die sie in Wahrheit ist.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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