Freiheit als Höchstes

Hegelplatz 1 Darum wäre unser Verleger gern mal in Hegels WG am Frühstückstisch gesessen
Ausgabe 17/2018
Hegels Dialektik musste erst mal da sein, damit Marx und Engels sie vom „Kopf auf die Füße“ stellen konnten
Hegels Dialektik musste erst mal da sein, damit Marx und Engels sie vom „Kopf auf die Füße“ stellen konnten

Foto: Jürgen Ritter/Imago

Ich glaube ja an Bestimmung. Im Ernst, liebe Leserinnen und Leser. Es kann kein Zufall sein, dass ausgerechnet der Freitag ausgerechnet diese Adresse hat: Hegelplatz 1. Es ist übrigens die einzige Hausnummer an diesem Platz, der eigentlich keiner ist. Ich nehme an, die Ostberliner Stadtverwaltung wollte irgendwas mit Hegel im Zentrum haben und hat also diese Ecke hinter der Humboldt-Universität nach dem großen Philosophen benannt. Gut so. Das Schuldverhältnis gegenüber dem bürgerlichen Philosophen war ja eindeutig: Hegels Dialektik musste immerhin erst mal da sein, damit Marx und Engels sie vom „Kopf auf die Füße“ stellen konnten.

Als linke Zeitung bemühen wir uns also, dieser Adresse alle Ehre zu geben. Leicht ist das nicht. Werfen Sie mal einen Blick in die Phänomenologie des Geistes: „Das Selbstbewusstsein, welches sich überhaupt die Realität ist, hat seinen Gegenstand an ihm selbst, aber als einen solchen, welchen es nur erst für sich hat, und der noch nicht seiend ist.“ Herzlichen Glückwunsch. Ich hab mal die Einleitung in die Rechtsphilosophie gelesen und tagelang gar nicht gemerkt, dass ich kein Wort verstanden habe. Man kann beim Lesen unverständlicher Texte wunderbar an alles Mögliche denken. Bis einen das schlechte Gewissen packt.

Ich habe gelesen, dass Hegel, Hölderlin und Schelling zusammen in Tübingen in einer Wohngemeinschaft gelebt haben. Da hätte man gerne mal am Frühstückstisch gesessen.

„Ey, Friedrich, kann ich mal den Madeira haben?“

„Ja.“

„Ja.“

„Ja.“

Ach, wunderbares Tübingen. Überhaupt ist der deutsche Geist des 18. und 19. Jahrhunderts vor allem ein süddeutscher Geist. Die Preußen hatten ihren Kleist. Das ist viel, keine Frage. Aber sonst?

Ich mag Hegel, seit ich weiß, dass er den Gegensatz von Gefühl und Vernunft für künstlich hielt. Er nannte es „töricht zu meinen, als ob im Übergange vom Gefühl zum Recht und der Pflicht an Inhalt und Vortrefflichkeit verloren werde; dieser Übergang bringt erst das Gefühl zu seiner Wahrheit.“ Das war emotionale Intelligenz avant la lettre.

Wenn Sie mit dem Gedanken spielen, sich beim Freitag um eine Stelle zu bewerben, dann machen Sie sich keine Sorgen: Wir machen die Hegel-Lektüre nicht zur Einstellungsvoraussetzung. (Was würde der Betriebsrat dazu sagen?) Aber wir nehmen das schon ernst: die Lehre von der Geschichte als Abfolge von Notwendigkeiten, ein steter Aufstieg zum höchsten Ziel des Menschen – der Freiheit. Das ist ja Hegel. Jedenfalls soweit ich ihn verstanden habe.

Hegelplatz 1. Unter dieser Adresse können Sie den Freitag in Berlin erreichen – und ab sofort wir Sie. An dieser Stelle schreiben wöchentlich Simone Schmollack, Michael Angele und Jakob Augstein im Wechsel. Worüber? Lesen Sie selbst

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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