Ein Vierteljahrhundert. Ein rundes Jubiläum. Ein Grund zum Feiern. Dabei ist uns, wenn wir uns umblicken, zum Feiern nicht zumute. Krise türmt sich auf Krise. Finanzkrise, Eurokrise, Ukrainekrise, Flüchtlingskrise. Die Krise ist der Normalfall geworden. Die Anspannung steigt. In Deutschland brennen die Flüchtlingsheime. Es heißt, die Einwanderer sollen „deutsche Werte“ lernen. Gleichzeitig wird bekannt: die Fußballweltmeisterschaft von 2006, das berühmte Sommermärchen, wurde wahrscheinlich gekauft, und VW, der größte deutsche Industriekonzern, hat gewerbsmäßigen Betrug betrieben. Deutsche Werte? Auf offener Straße wird in Berlin ein Journalist mit den Worten „Du linke Drecksau“ niedergeschlagen. Weimar
n. Weimar, denkt man. Fängt es so an? Woran würden wir es merken? Eine linke Zeitung zu machen, unter diesen Umständen, das ist eine Wanderung auf dem schmalen Grat zwischen Faktizität und Geltung. Wir sehen den Kapitalismus zur gleichen Zeit im Zustand seines Versagens und seiner Unbesiegbarkeit. Es ist eine Tatsache, dass die Benachteiligten dieser Republik in 2008 und 2009 nicht aufgestanden sind, als der drohende Bankrott der Banken die Regierung zwang, viele Milliarden Euro in Bewegung zu setzen, um die der Staat und die Bürger vorher betrogen worden waren. Und es ist eine Tatsache, dass diese Menschen sich erst jetzt in Bewegung setzen, da noch Schwächere an ihre Türen klopfen.Placeholder infobox-1Es ist auch eine Tatsache, dass die Grünen die Bundestagswahl verloren haben, weil sie für eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent ab einem Haushaltseinkommen von 80.000 Euro einstanden, für eine Abgabe von 1,5 Prozent auf Vermögen ab einer Million Euro sowie für eine Verdoppelung des Aufkommens aus der Erbschaftssteuer. Allesamt Pläne, die nur die obersten fünf Prozent etwas gekostet hätten. Die aber dennoch der Mehrheit Angst machten. Die Wähler hatten die neoliberale Lektion gelernt: Das Geld ist in der Hand der Reichen am besten aufgehoben. Die zeitgenössische Linke kämpft gegen einen unsichtbaren und doch allgegenwärtigen Feind. Das ist ja das Gefährliche am Neoliberalismus: seine Unsichtbarkeit. Jobs, Schulen, Behörden, Krankenhäuser, Universitäten, alles wird dem Gesetz der Ökonomisierung unterworfen. Überall definiert man staatliche, gesellschaftliche, individuelle Aufgaben als Probleme, die man einer optimalen Lösung zuführen muss. Es zählen nur Werte, die sich messen lassen. Governance ersetzt Politik.Die Medien haben uns vor dieser Entwicklung nicht geschützt. Sie waren Teil davon. Heribert Prantl hat in der Süddeutschen Zeitung geschrieben: „Die Verbetriebswirtschaftlichung des Gemeinwesens wurde auch vom Journalismus jahrelang wie ein Dogma verkündet.“ Und das betrifft auch seine eigene Zeitung. Nachricht und PropagandaEs ist eine ideologische Entscheidung, die die Journalisten fällen, wenn sie Effizienz zur wahren Gerechtigkeit erklären. Der Politikwissenschaftler Thomas Meyer hat festgestellt: „Tatsache ist, dass all die wichtigen Themen, die mit der sozialen Frage von Ungleichheit, von Unterklassen, also die sozialen, nahezu verachtet werden. Das merkt man an der Art, wie die Berichterstattung über diese Felder intoniert wird: abschätzig, ironisch, am liebsten gar nicht. Es herrscht das Dogma, linke Themen sind out, und wer sich da noch dranhängt, tickt nicht richtig. Das führt natürlich dazu, dass die unteren Schichten unserer Gesellschaft sich im öffentlichen Diskurs nicht mehr wiederfinden.“Placeholder infobox-2In der Rette-sich-wer-kann-Gesellschaft breitet sich das große Misstrauen aus. Auch der Journalismus ist davon längst erfasst. 44 Prozent der Deutschen meinen, die Medien würden „von ganz oben gesteuert“ und verbreiteten deshalb „geschönte und unzutreffende Meldungen“, hat jüngst eine Umfrage ergeben. Die Leute irren. Es gibt keine Manipulation von oben. Die Journalisten übernehmen das selbst. Die Grenzen zwischen Nachricht und Propaganda sind schmal, nicht nur in Russland, auch bei uns. Die Tagesschau zeigte in ihrer Berichterstattung Bilder eines „von Separatisten abgeschossenen ukrainischen Hubschraubers“, die in Wahrheit von einem syrischen Hubschrauber stammten – mithin aus einem anderen Krieg. Dann berichtete ein Moskau-Korrespondent der ARD noch, dass zwei Ukrainer durch „Kugeln der neuen Machthaber“ getötet worden seien. Tatsächlich hatte ein ukrainisches Bataillon die Schüsse abgefeuert. Schließlich rügte selbst der ARD-Programmbeirat die Berichterstattung als einseitig. Chefredakteur Kai Gniffke räumte im Oktober 2014 ein, die Redaktion sei „möglicherweise zu leicht dem Nachrichtenmainstream gefolgt“. Alternativen und PolitikDer Freitag stellt sich bewusst außerhalb dieses Mainstreams. Darin liegt seine Existenzberechtigung aber auch seine Ohnmacht. Das ist das Paradox linker Gegenöffentlichkeit. Wir können den Strom in seinem Lauf nicht ändern. Aber wir haben einen anderen Blick. Wir nehmen für uns in Anspruch, Denkort der Alternativen zu sein. Damit arbeiten wir an der Rückeroberung des politischen Raumes. Denn der Satz von den Alternativen, die es angeblich nicht gibt, ist das Ende von Politik. Den Vorwurf des Populismus muss man sich dann hin und wieder gefallen lassen. Der Philosoph Ernesto Laclau hat geschrieben, Populismus sei „die Stimme derer, die aus dem System exkludiert sind“. Ein gefährlicher Satz, wenn man nach Dresden blickt, wo die rechten Horden marschieren und ins Internet, wo die Saat von Hass und Brutalität blüht. Um so dringlicher, dass wir einen positiven Populismus von Links entwickeln, der demokratische und soziale Rechte vor Eliten und Oligarchen schützen will. Wenn es linkspopulistisch ist, Statistiken über die Vermögensverteilung zu zeigen und offen zu sagen, welchen Anteil die obersten ein Prozent davon besitzen, dann soll der Freitag ruhig linkspopulistisch sein. Und wenn es linkspopulistisch ist, Statistiken des IWF oder der OECD zu referieren, die von der zunehmenden Ungleichheit reden, dann soll der Freitag abermals ruhig linkspopulistisch sein. Ansonsten gelten für uns auch für die nächsten fünfundzwanzig Jahre der Satz und die Hoffnung des früheren Freitag-Herausgebers Günter Gaus: „Man sollte nicht denken, dass man gesellschaftliche Fragen für alle Zeiten beantworten kann.“
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.