Grüber

Verschwinden Die Berliner Schaubühne erinnert an den Regisseur

Man kann sagen, dass es zur Eigenart des Theaters gehört, die Zeit außer Kraft zu setzen und sich das Vergangene gegenwärtig zu machen. Dann gehört es aber auch zu seiner Eigenart, dass es in der Zeit einfach verschwindet. Von der Kunst Klaus Michael Grübers, der am 23. Juni starb, wird nicht viel bleiben. Erzählungen. Ein paar Bilder, Dokumente und Filmaufnahmen. Aber nicht das Eigentliche. Das muss der Erinnerung überantwortet werden und damit dem Vergessen. Wenn man bedenkt, um welch enormes Werk es sich da handelt, verschlägt es einem die Sprache und man möchte sich beschweren, dass so einem überhaupt das Sterben erlaubt ist. L´homme de Passage, Christoph Rüters Dokumentarfilm über Grüber von 1999, gibt eine Ahnung, zeigt einen Schatten davon. Die Berliner Schaubühne, an die Grüber seit seiner ersten Inszenierung, den Geschichten aus dem Wienerwald aus dem Jahr 1972, über 25 Jahre lang immer wieder zurückgekehrt war, zeigte den Film am vergangenen Sonntag und ein paar der wunderbaren Schauspieler, die mit Grüber zusammenarbeiteten, zeigten sich danach mit ihren Erinnerungen.

Edith Clever, Udo Samel, Imogen Kogge, Jutta Lampe und Peter Fitz trafen sich noch einmal mit ihrem Publikum von damals. Da kam also noch eimal die Schaubühne der siebziger Jahre zusammen. Und das gab ein sonderbares Bild, erst vor dem Theater, dann im Saal, dann auf der Bühne. Lauter weißhaarige kantige und kluge Köpfe. Eine Gesellschaft, wie man sie sonst selten trifft. Eitel sind diese Schauspieler natürlich. Ungeheuer eitel. Wenn sie von ihrer Arbeit mit Grüber erzählen, können sie nicht sitzenbleiben, stehen auf, treten an den Rand der Bühne, aufs Publikum zu und inszenieren sich selbst. Nicht immer gut, kann man sagen.

Jutta Lampe erzählt, wie sie die Ophelia gespielt hat, immer noch bebend, kann man sagen, an diesem schönen Sonntag: "Oh, welch edler Geist ist da zerstört", sagte sie also und kam nicht weiter, zehnmal, weil Grüber, der zu ihren Füßen saß und zuhörte, nur ein Wort sagte: "Nein". Und sie musste es immer wieder aufs Neue versuchen: "Oh, welch edler Geist ist da zerstört", und einmal dann sagte Grüber nichts und sie machte einfach weiter. Sie greift sich dabei jetzt ans Herz, Jutta Lampe, und ist von der Ophelia ganz ergriffen und von sich selbst.

Grüber hatte sie ja alle lehren wollen, weniger zu tun, sich zurückzunehmen und zurückzuweichen und damit die Aufmerksamkeit der Leute zu erzwingen. Das zeigte der Film. Grüber der unöffentliche Mensch, der Schweiger. Der, so zeigte es der Film, das Leisesein lehrte und selbst bei den Proben nicht viel sprach. "Ein dialogisches Schweigen", nennt Peter Fitz das. Edith Clever, die im Alter offenbar schöner wird und die, kann man denken, an diesem Sonntag in der Schaubühne auf dem Podium die Klügste ist, sagt, Grüber habe eigentlich das Theater selbst zum Verschwinden bringen wollen. Es weghaben wollen. Es abschaffen wollen: "Damit hatte ich Schwierigkeiten." Amphitryon, Danton - da habe er das Wesentliche an die Seite rücken wollen. Oder bei den Bakchen: "Ich fand es bis weit nach der Premiere schrecklich, was ich da tat, und bin weinend auf die Bühne gegangen. Diese Auseinandersetzung mit ihm war schrecklich."

Und auch diesen Schrecken zeigt Rüters Film. Den Schrecken der Schöpfung. Grüber, der Schöpfer, das waldschratige Gesicht vom Alkohol zerfressen, vom Irresein, der neben seinen Schaupielern heulend kniet, zuckt und sich windet, verrenkt in der Qual, weil er ja im öden und leeren Bühnenraum nur der Regisseur ist und nicht Gott - allerdings, wer weiß schon, wie die Schöpfung Gott angestrengt hat, den am siebten Tage Ruhenden und wie der da ausgesehen hat. Die Schöpfung des Regisseurs freilich muss ihm immer wieder zerfließen, und naturgemäß muss der Regisseur immer wieder neu ansetzen. Der Film zeigt, wie Klaus Michael Grüber am Ende in Paris wieder mit Schauspielschülern gearbeitet hat. Um zum Anfang zurückzukehren.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

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