Haben böse Menschen Humor?

Freitag-Salon Ein Gespräch mit Henryk M. Broder und Matthias Matussek über den deutschen Beitrag zum Welthumor und die Frage, warum die Bibel nicht lustig ist

Ein guter Witz ist schwer zu erklären, die Grenze der Komik kaum zu ziehen und die Frage nach dem Humor von bösen Menschen praktisch nicht zu beantworten. Henryk M. Broder, Matthias Matussek und Jakob Augstein haben es trotzdem versucht.

Jakob Augstein

:

Henryk Broder:

Ja, eindeutig. Das ist der deutsche Beitrag zum Welthumor. Unübertroffen. Man fragt sich, wie konnte den überhaupt jemand jemals ernst nehmen? Ein pupsendes, von Blähungen ge­plagtes, magenkrankes Würstchen.

Matthias Matussek:

Ich glaube, in Zeiten von Larry King hätte er keine fünf Minuten überlebt. In der Großaufnahme hätte jeder gesehen, dass der irre ist. Er hat seine Inszenierung selbst kontrolliert in den großen Sälen voller abkommandierter Parteisoldaten.

Augstein:

Die Phase, wo man über Hitler keine Witze machen durfte, ist offensichtlich vorbei, oder?

Broder:

Es wurden immer Witze über Hitler gemacht, schon zu Kriegszeiten. Die Deutschen taten sich da naturgemäß etwas schwerer, Sein oder Nichtsein ist hierzulande erst mit Verspätung gezeigt worden. Aber Deutschland reagiert ja immer etwas verspätet.

Matussek:

Der Witz ist ja, dass gerade in Diktaturen der Witz ein Ventil ist. In der Unterdrückung hat der Witz Hochkultur. Berühmt sind die Szenen mit dem Kabarettisten Werner Finck. Der sah einen Parteisoldaten in der ersten Reihe, der mitschrieb. Und Finck fragte ihn: „Sind Sie mitgekommen, oder soll ich mitkommen?“ Großartig.

Augstein:

Also, Lubitsch hat damals Ärger bekommen mit dem Film, weil einige Sachen auch für das amerikanische Publikum zu stark waren. Zum Beispiel wenn ein deutscher Offizier mit Blick auf den Auftritt eines polnischen Theaterschauspielers sagt: „Was der mit Shakespeare gemacht hat, das machen wir jetzt mit Polen.“ Darf ein Amerikaner mit einem Nazi über einen Polen lachen?

Broder:

Man muss die Wirklichkeit mit einem komödiantischen Stück übertreffen. In Berlin wurde im vergangenen Jahr die Mel-Brooks-Komödie

Augstein:

Was ist geschafft?

Broder:

Ein ironisch-leichtfüßiger Umgang mit dem Dritten Reich. Man hat Hitler endlich dort ein­geordnet, wo er hingehört. In den komischen Müll, in die Reste­deponie des deutschen Humors. Ich fand das ein Zeichen der Reife.

Augstein:

In dem Lubitsch-Film gibt es einen polnischen Schauspieler, der soll Hitler spielen. Er soll reinkommen und alle rufen: „Heil Hitler!“ Und er sagt: „Ich heile mich selbst!“ Und dann beschwert sich der Regisseur, er soll das nicht machen. Darauf der Schauspieler: „Das gibt aber einen Lacher, und einen Lacher soll man nie verachten.“ Ist das so? Worüber darf man lachen, und darf man mit Nazis zusammen lachen?

Matussek:

Mit Nazis zusammen? Aber ich weiß ja nicht, wer Nazi ist.

Augstein:

Man kanns auch anders sagen: Haben böse Menschen Humor?

Broder:

Böse Menschen sind nicht witzig, und der Witz über Adolf Hitler entfaltet sich natürlich unter zwei Bedingungen, erstens retrospektiv und zweitens: Sie müssen ihn überlebt haben, sonst gibt es wenig zu lachen.

Matussek:

Ich befürchte, böse Menschen haben Humor, die lachen aber über andere Sachen.

Broder:

Gute Menschen haben ­jedenfalls keinen Humor. Das schließt sich aus, ich sage nur „Claudia Roth“ und „Antje Vollmer“.

Matussek:

Ich glaube, es gibt die Wutbürger – und die Gutbürger.

Broder:

Renate Künast. Hab ich noch wen ausgelassen?

Matussek:

Leute, die ein Weltverbesserungsanliegen haben, die singen eben eher Kampflieder und marschieren zu Ernst-Busch-Songs. In meiner marxistischen Phase haben wir eher wenig gelacht, aber viel gesungen.

Broder:

Dazu fällt mir ein: Ich war mal im SDS in Köln, und ich kann mich noch an eine Veranstaltung erinnern, da stand am Eingang so ein Zerberus und überprüfte die Mitgliedschaft der Teilnehmer dieser Kundgebung. Und dann musste man immer sagen: „Revolutionärer Arbeiterbund.“ Er fragt also: „Wo bist Du organisiert, Genosse?“ – „In der AOK“, sage ich. „Ist in Ordnung“, sagt er. So gesehen haben die Linken wirklich viel Humor, sie wissen es bloß nicht. Ich bin daraufhin ­übrigens aus der AOK ausgetreten.

Matussek:

Ich würde jetzt gerne einen Witz erzählen, und zwar über die Religion. Ein katholischer Priester, ein Baptistenpfarrer und ein Rabbi wetten, wer die größte Überzeugungskraft in seinem Glauben hat. Sie probieren das an der rohen Natur, einem Bären, aus. Der Priester fängt an. Er kommt zurück und hat eine Schramme. „Was ist passiert?“, fragen die anderen. Antwort: Als er anfing zu segnen, hat der Bär das missverstanden und ihm eine gehauen. Aber er hat ihn überzeugen können, und der Bär hat fromm geguckt. Der Baptist ist der nächste, er kommt bandagiert zurück. „Was ist passiert?“ Er: „Naja, ich hab mit dem Bären gerungen, dann sind wir beide den Abhang runtergerollt zum Fluss, sind noch mal hoch­gekommen, ich hab den Bären runtergedrückt und gesagt: Ich taufe Dich.“ Aufgabe erfolgreich gelöst. Zu dem Rabbi müssen beide ins Krankenhaus gehen, er sagt mit ersterbender Stimme: „Vielleicht hätte ich nicht mit der Beschneidung anfangen sollen.“ (lacht) Aber was auffällt: Es gibt keinen Moslem in dem Witz, weil man über den Islam keine Witze machen sollte, wie wir wissen ...

Broder:

Das ist eine islamophobe Bemerkung.

Matussek:

Über den Islam macht man keine Witze, jedenfalls nicht, seit die Mohammed-Karikaturen in die Welt gesetzt wurden. Sosehr ich selbstverständlich für die grenzenlose Kunstfreiheit bin und so sehr ich militante, religiöse Gereiztheit ablehne, sosehr muss ich anerkennen, dass es sie gibt. Es gibt einen heiligen Kern für viele, in allen Religionen und ich glaube auch, dass er Respekt verdient.

Broder:

Du redest von einem „heiligen Kern“. Was ist das? Ich bin beleidigt, wenn jemand Witze über jüdisches Essen macht, das ist für mich der Kern der jüdischen Religion. Mach einen Witz über „gefillte Fisch“ und ich bringe dich um. Mach einen Witz über Moses und ich lache mit.

Augstein:

Ist die Furcht vor den Folgen von Religionswitzen nicht übertrieben? Oder glauben Sie, dass ein Witz über den Propheten zwangsläufig die Fatwa nach sich zieht?

Broder:

Nicht immer, aber immer öfter.

Augstein:

Wussten Sie, dass der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime im Internet einen islamischen Humor-Wettbewerb ins Leben gerufen hat? In einem Interview hat er sinngemäß gesagt: Wenn unter Muslimen der Sinn für Selbstironie und Humor wüchse, wenn sich eine islamische Kabarett-Szene entwickeln würde, würden Muslime auch auf Spott gelassener reagieren.

Broder:

Da ist was dran. Es ist aber auch was dran an: Wenn alle Deutschen Italiener wären, wäre das Essen in diesem Land besser. Wie ist denn dieser Humor-Wettbewerb ausgegangen? Freitagabend auf dem Hinrichtungsplatz in Riad?

Augstein:

Man muss dazu sagen, dass er in dem Interview einen Witz von Mohammed erzählt. Also: Mohammed speiste einmal mit einem Freund. Wie üblich legten beide die Dattelkerne vor sich. Der Freund aber schob seine Dattel­kerne dem Propheten zu. Nach dem Essen lag vor dem Propheten ein Haufen Kerne und vor dem Freund kein einziger. Und der Freund sagte: „Oh Prophet, Du hast aber heute großen Hunger gehabt.“ Worauf dieser entgegnete: „Du scheinbar auch, denn Du hast Deine Datteln samt Kernen gegessen.“

Broder:

Auch Zwerge haben mal klein angefangen.

Augstein:

Jesus hat nicht mal so einen Witz hinterlassen. Jesus hat gar keine Witze gemacht. In der Bibel lacht er nicht ein einziges Mal. Die Bibel ist kein lustiges Buch.

Broder:

Religionen haben unglaublich komische Elemente in sich. Man muss sie nur sehen wollen.

Augstein:

Für den Agnostiker vielleicht.

Broder:

Religion ist wie Sex: Macht zu Hause, was ihr wollt, aber zieht die Gardinen zu.

Augstein:

Freud hat mal ein Buch geschrieben über Humor. Er schreibt: „Der Witz ermöglicht die Befriedigung eines Triebes gegen ein im Wege stehendes Hindernis. Er umgeht dieses Hindernis und schöpft somit Lust aus einer durch dieses Hindernis unzugänglich gewordenen Lustquelle.“ Haben Sie das verstanden?

Broder:

Das ist von Freud? Klingt wie von Margarete Mitscherlich.

Matussek:

Es gibt eine Lust am Tabubruch. Man kann mit einem Witz Sachen sagen, die man ernst eben nicht sagen kann. Aber es geht nicht sehr viel tiefer. Tiefenpsychologisch ist im Humor offensichtlich nicht viel zu finden.

Broder:

Aber vielleicht küchen­psychologisch. Mit dem Buch hätte Freud in Bayreuth sicher promovieren können. Ich habe Freud nicht gelesen, außer der Geschichte mit dem Penisneid, weil mir das immer sehr zu schaffen gemacht hat. Um Freud habe ich einen Bogen gemacht, er ist ein Schwätzer. Als sie ihn in Wien abgeholt haben, hat dieser Ober- oder Hauptsturmführer ihm gesagt, er möchte gern eine Bestätigung haben, dass Freud nicht misshandelt wurde. Daraufhin hat Freud eine Serviette genommen und draufgekritzelt: „Ich kann die SS jedermann nur empfehlen.“ Das hatte Größe. Aber vielleicht ist das auch nur so eine Geschichte.

Matussek:

Psychoanalyse ist eine Wissenschaft, die an ein bestimmtes Ende gekommen ist, sie wird nicht mehr so betrieben.

Augstein:

Kommen wir zum deutschen Humor. Mal ein Beispiel: „Hallo Herr Doktor, kann ich mit Durchfall baden?“ „Ja, wenn Sie die Wanne vollkriegen.“ Ist von Harald Schmidt. Ist das deutscher Humor?

Matussek:

Ja, offenbar hat er immer irgendwie mit Ferkelei zu tun. Aber wenn ihn Harald Schmidt erzählt, ist er irgendwie geadelt. Ich find die Amis und die Angelsachsen im Leistungsfach Humor dann doch ein bisschen besser.

Augstein:

Hugo Egon Balder, auch Jude, hat gesagt, ein Deutscher lacht nie ohne Grund.

Broder:

Entschuldigung – Halb­jude. Wobei, das ist auch noch nicht gewiss, denn da war nur der Vater Jude, das heißt, nach den Nürnberger Gesetzen ist er Jude, und nach dem jüdischen Religionsgesetz ist er keiner. Verstehen Sie?

Augstein:

Und was ist für Sie maßgeblich?

Broder:

Ich würde es davon abhängig machen, was er isst. Wenn er irgendwie auf Schweinekopfsülze steht, dann ist er kein Jude. Futtert er dagegen jeden Tag „gefillte Fisch“, gehört er zu uns.

Matthias Matussek ist deutscher Publizist und Journalist. Bis 2007 war er Kulturressortchef beim Magazin Der Spiegel, für den er jetzt als fester Reporter schreibt. In der neuen Ausgabe erschien von ihm ein Artikel über das englische Königshaus

Henryk M. Broder ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Er beschäftigt sich vor allem mit den Themen deutsche Politik und Israel, Antisemitismus und Islam. Broder war 15 Jahre beim Spiegel. Vor Kurzem wechselte er zur Tageszeitung Die Welt


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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