Hamburg Media School – Die Zukunft der Zeitung 1 / 2

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1. Teil von 2 Anfang Dezember 2009 fand in Hamburg die erste von zunächst vier Sitzungen statt, die nicht weniger als die Zukunft der Zeitung zum Thema haben sollen. Das ist ja keine Kleinigkeit, und wenn wir dazu etwas Sinnvolles auf die Beine stellen würden, hätten wir alle, die Studenten und ihr Dozent, erstens viel geleistet und zweitens Anspruch auf Geld, Ruhm und Glück. Also. Bescheidenheit. Ich glaube nicht, dass wir die Probleme des Printjournalismus lösen werden. Aber vielleicht können wir versuchen, sie zu definieren. Das wäre schon eine Menge. Die Studenten des Kurses haben bereits ihre Arbeitsergebnisse dieses ersten Tages bei uns ins Netz gestellt. Ich trage hier nun meinen Vortrag nach. Und dann haben wir noch ein Video. Viel Vergnügen - oder auch nicht - beim Lesen. JA Guten Tag meine Damen und Herren, Dies ist die erste von zunächst vier Sitzungen. Unser Oberthema ist das Verhältnis von Print und Netz und was der Printjournalismus tun kann, um morgen auch noch da zu sein. Das heisst, das Problem ist einfach zu definieren - und sehr, sehr schwer zu lösen. Wir beschäftigen uns heute mit den Korrespondenzen zwischen Netz und Print. Das ist in diesem Zusammenhang zwar ein ungewöhnlicher, aber ganz passender Begriff. Weil es um den Austausch, die Vernetzung, die Abgleichung dieser beiden Medien geht - die wegen der monodimensionalität des Printmedium notwendig eine schriftliche ist. Es geht also darum, wie Print und Netz miteinander in Beziehung treten können. Zum wechselseitigen Nutzen, versteht sich. Ich werde Ihnen dazu meine Meinung sagen. Mehr geht leider nicht. Ich bin erstens kein Wissenschaftler und ich kenne zweitens die Zukunft nicht. Es gibt hier also nur Einschätzungen, keine Wahrheiten. Wir haben dann Gelegenheit darüber gemeinsam zu sprechen. Und befassen uns dann mit den konkreten Beispielen, die Sie anhand von Welt Kompatkt, Neon und SZ vorbereitet haben. Am Nachmittag freue ich mich dann auf Markus Beckedahl, den Gründer und Betreiber von netzpolitik.org Ich halte Beckedahl für den einzigen relevanten Blogger im Land. Jedenfalls wenn man die Relevanzkritieren der alten Medien anlegt. Und das muss man wahrscheinlich in dieser Zeit des Übergangs. Aber darüber reden wir dann nachher. Wenn ich Ihnen nun meine Einschätzungen von den Grenzen und Möglichkeiten der Korrespondenz von Netz und Print erzähle, sehen Sie es mir bitte nach, wenn ich ein bisschen vom Freitag erzähle. Das hat zwei Gründe: Erstens verstehe ich davon am meisten. Und zweitens glaube ich, dass wir in diesen Fragen ziemlich weit vorne liegen. Wenigstens ein Feld wo wir vorne liegen, wenn ich das hinzufügen darf. Denn die Auflage des Freitag ist noch steigerungsfähig. Aber wir fangen ja auch erst an ... ... Die Wirklichkeit der Krise Dieses Miteinander, Gegeneinander, Nebeneinander von Netz und Print ist ja kein akademisches Problem. Wir sitzen hier nicht als Medienwissenschaftler. Als Kommunikationswissenschaflter. Wir sitzen hier als Leute, die in diesem Geschäft arbeiten wollen, die damit Geld verdienen wollen, die darin Ihren Interessen und Leidenschaften nachgehen wollen, die darin Verantwortung übernehmen wollen, für uns selbst, für unsere Mitarbeiter, für unsere Unternehmen, für die Gesellschaft, für die Menschheit. Je nachdem, wieviel Sie sich zutrauen und wie abenteuerlustig Sie sind. Weil wir uns, wie Sie vermutlich gehört haben, in einer Krise befinden, einer aktuellen und einer strukturellen, die sich leider ungünstig überlagern, wegen dieser Krise also wird die Korrespondenz von Netz und Print zu einer Lebens und Überlebensfrage für unseren Beruf. Sag ich jetzt mal so. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Sie da auch anderer Meinung sein können. Denken Sie darüber nach. Ich weiß nicht, inwieweit Ihnen die Dimension der Krise vor Augen steht, in der wir uns befinden. Ich will Sie, wenn Sie das alles auswendig wissen, damit nicht langweilen. Nur ein paar Daten. In den fünfziger Jahren gab es über sechshundert Zeitungsverlage in West-Deutschland, heute sind es 350, in ganz Deutschland. In den vergangenen zehn jahren haben die Tageszeitungen hierzulande fünf Millionen Käufer verloren. Die Süddeutsche Zeitung, die FAZ und Gruner & Jahr schreiben in diesem Jahr rote Zahlen. G&J und SZ haben betriebsbedingte Kündigungen angemeldet Stern und Focus haben im ersten Halbjahr 2009 mehr als ein Viertel ihres Bruttowerbeumsatzes verloren, für den Stern allein bedeutete das 23 Millionen Euro weniger Umsatz Die einzigen, die halbwegs gut dastehen sind Springer und Spiegel - es ist vielleicht Zufall, vielleicht auch nicht, dass das nun die beiden Häuser sind, die meiner Meinung nach - in sehr unterschiedlichem Maßstab - die Brücke von Print zu Web am besten schlagen. Die Ursache der Krise Die Ursache der Krise ist einfach: Das Geschäftsmodell des Printjournalismus ist kaputt. Die erste Zeitung, die es überhaupt gab, die diesen Namen verdient, erschien 1605 in Strassburg - und offenbar hat sich damals etabliert, was bis 1995 galt: Die Hälfte der Einnahmen kommt aus dem Verkauf, die andere Hälfte aus den Anzeigen. Die Anteile schwanken natürlich immer ein bisschen. Aber im wesentilchen kommt es hin. Erstaunlich. 1606. Und 1995 - erschien die erste Gratiszeitung, sie hieß Metro und das spielte sich in Schweden ab. Es war eine richtige, echte Zeitung - kein Annoncenblättchen. Und sie finanzierte sich ausschließlich über Anzeigen. Das machte Schule - und untergrub das bisherige Geschäftsmodell. Es gibt in den USA und Kanada heute 55 Gratistitel. Unter ihrem Druck verloren die großen amerikanischen Tageszeitungen permanent an Auflage. Und zwar schon, bevor das Internet kam. In Deutschland waren die Verlage gottlob zu konservativ, um dieses Spiel mitzumachen. Dem Internet und seiner Gratsikultur widersetzten sie sich aber auch in Deutschland nicht. Ab 2003 waren die journalistischen Inhalte der Zeitungen fast lückenlos über Google auffindbar und abrufbar. Die jungen Leser kehrten den Zeitungen den Rücken. Es blieben die alten. Das ist aus der Sicht der klassischen Medien der Geburtsfehler des Netzes. Und, wie Sie wissen, aus der Sicht der Netz-Bürger sein großer Vorteil: Free hat Wired-Chefredakteur Anderson sein neues Buch genanngt. Das Irre ist nur: Die Gratiskultur hat sich für die Unternehmen bislang nicht ausgezahlt. Weder bei den Zeitungen noch im Netz. Das Geschäft mit Informationen und Texten war früher ein gutes Geschäft. Da wurde viel Geld verdient. Heute sieht es wie ein sterbendes Geschäft aus. Das Problem ist ja, dass die Leser, die jungen Leser, daran gewöhnt wurden, alles kostenlos zu bekommen, dass Informationen und Artikel eigentlich nichts wert sind ... Es ist ein kulturelles Problem. Oder, wie Kai Diekmann sagt, wir kriegen die Zahnpasta nicht mehr in die Tube. Lassen Sie mich nun zum Freitag kommen. Den Freitag gibt es am Kiosk und im Internet. Das ist die Idee. Wir sind keine Wochenzeitung mit Netzauftritt. Das wäre altes Denken. Und wir sind auch kein Netzportal, das eine wöchentliche Printausgabe hat - das wäre zu modernes Denken. Ich denke, dass wir im Moment das deutsche Qualitätsmedium sind, das sich am weitesten vorwagt. Man muss aufpassen - wir sind keine Experimentierstube. Sondern auch ein ganz normales linksliberales Wochen- + Internetmedium. Also: Wir haben im Internet einen Redaktionsbereich und einen Community-Bereich. Sie können als Leser Artikel kommentieren. Dann müssen Sie eine EmailAdresse und eine Telephonnummer hinterlassen. Aber Sie können auch als Blogger selber längere Texte und Bilder einstellen. Dann müssen Sie sich richtig registrieren lassen und werden gebeten, zwei, drei Sachen über sich selbst erzählen. Die Redaktion geht andauernd durch die Community und schaut nach guten Texten. Wenn ein guter Text dabei ist, besorgen wir ein Photo, machen eine Überschrift und einen Vorspann und legen auf der Startseite einen Teaser an, der dann auf den Blog verlinkt. Auf diese Weise zeigen wir, dass wir diesen speziellen Text interessant finden und machen eine größere Zahl von Lesern darauf aufmerksam. Wir machen uns den Text gewissermaßen zu eigen. wg Überlänge in 2 Teilen

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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