Hamburg Media School – Investigativer Journalismus 1/2

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Ihre Freitag-Redaktion

Liebe Leser,

heute findet in Hamburg die zweite Stitzung im Rahmen unseres Innovation Labs Print statt. Im Dezember haben wir uns mit dem Verhältnis von Netz und Print befasst. Heute mit dem Investigativen Journalismus.

Ich hab beim letzten Mal meinen Vortrag hier ins Netz gestellt. Es gab im Dezember eine lebhafte Debatte zu diesem Text, die sich ein bisschen mit dem Inhalt befasste und sehr viel mit der Form. Das war überraschend. Es handelt sich erneut um das nicht bearbeitete Manuscript meines Vortrages (Kurz mal aus dem Nähkästchen: Wenn ich irgendwo einen Vortrag halten soll, das mache ich ja nicht so oft, nur manchmal, dann schreibe ich mir den Text genau so auf, wie ich ihn sprechen will. Also gesprochene Sprache. Es handelt sich also nicht um ein Transcript sondern um die geschriebene Fassung, die aber dem Anspruch genügen soll, den man an einen mündlichen Vortrag stellen kann.)

Ich wünsche erträgliche Lektüre.
JA

Guten Tag meine Damen und Herren,

willkommen zur Zweiten Sitzung unseres Innovation Labs Print.

Sie erinnern sich an unser Oberthema, das Verhältnis von Print und Netz und was der Printjournalismus tun kann, um morgen auch noch da zu sein.

Heute geht es um Investigativen Journalismus.

Lassen Sie mich mit einer Frage anfangen: Was bedeutet dieser Ausdruck eigentlich - Investigativer Journalismus. Was soll das heißen? Wenn einer viel recherchiert? Gut. Aber ab welchem Grad der Recherche beginnt der Investigative Journalismus? Oder hängt das nur mit der Relevanz des Themas zusammen? Aber wer definiert, was relevant ist? Oder geht es um die Wirkung des Artikels, der da entsteht? Bei Rücktritten gilt dann ab Staatssekretär aufwärts das Beiwort Investigativ?

Ich werde immer skeptisch, wenn alle Leute ein Wort so bereitwillig benutzen, das in Wahrheit so schwer zu definieren ist.

Ein anderer Begriff, für den das auch gilt - und der auch eine gewisse Bedeutung entfaltet, eine gewisse Schwere - ist der des "Qualitätsjournalismus". Es ist ganz bemerkenswert, wer alles im medialen Disput dieses Wort für sich in Anspruch nimmt. Und wie schwer das eigentlich zu bestimmen ist. Ich rate Ihnen einfach, solche Worte nie zu glauben und aus grundsätzlichen Erwägungen heraus immer zu hinterfragen. Sie werden nämlich meistens missbraucht.

Also heute geht es um Investigativen Journalismus. Und da ist die Frage nach der Bedeutung ja alles andere als eine akademische. Ich bin kein Medienwissenschaftler und die akademische Perspektive liegt mir hier fern. Aber wir haben eine Medienkrise. Zumindest eine gefühlte. Angeblich sinkt die Qualität der journalistischen Arbeit. Angeblich nimmt das Commitment der Verlage ab. Das Internet bedroht angeblich die journalistische Kultur, die uns in Deutschland lieb und teuer ist. Und das wird alles gerne am Zustand des Investigativen Journalismus fest gemacht. Der dann natürlich schlecht ist.

Lutz Hachmeister - den kennen Sie sicher: Fernsehjournalist, früher Leiter des Grimme Instituts, Medienwissenschaftler, hat heute ein Forschungsinstitut in Berlin - also Hachmeister hat in einem großen Bericht über den Zustand des deutschen Journalismus vor einigen Jahren geschrieben

"dass eine wahre Kolumnen- und Leitartikelflut in den Zeitungen überdeckt, dass die Zahl der originellen und wirkungsmächtigen Kommentatoren gering ist. Und die wenigen investigativ arbeitenden Journalisten mussten sich schon in einem "Netzwerk Recherche" zusammenschließen, um für eine Form des Journalismus zu werben, die eigentlich selbstverständlich sein sollte."


Nicht dass Sie mich falsch verstehen: Hachmeister ist einer der klügsten Beobachter der Medienszene. Ein sehr lustiger und intelligenter Mann, von dem ich sehr viel halte. Er wird diesen Befund nicht umsonst abgegeben haben, aus dem man schon hört: Um dem Investigativen Journalismus ist es schlecht bestellt.

Und in einer Studie des von Hachmeister vorgestellten Netzwerks Recherche heisst es gar:

"Affären und Skandale werden im Wochenrhythmus aufgedeckt – „Bunte“ und „Gala“ berichten darüber. Enthüllungen? Jeden Abend im Big-Brother-Container. Undercover-Recherchen? „Verstehen Sie Spaß?“! Nur eines gibt es nicht: Investigativen Journalismus (IJ)."

Das ist natürlich starker Tobak.

In der Vorbereitung zu dieser Sitzung habe ich zwei Ihrer Kommilitonen gefragt, was ich denn hier erzählen soll. Was Sie eigentlich an dem Thema interessiert. Die beiden haben mich mit Fragen bombardiert:

Was ist Investigativer Journalismus?

Wie funktioniert er?

Wie hat er sich seit Einführung der Massenmedien entwickelt?

Welche Rolle spielt er in den MM?

Wie findet die investigative Berichterstattung statt? Welche Darstellungsformen werden in der Regel gewählt?


Wie entwickelt sich der IJ in Zeiten der Medienkrise?

Ist der IJ in Zeiten sinkender Anzeigeneinnahmen noch finanzierbar?

Ist der IJ eine qualitätssichernde Leistung der Medien?

Kann der IJ die Zeitungen sogar aus der Krise retten?

Wenn ja - was muss er leisten?

Müssen die Medien wieder investigativer berichten, um interessant zu bleiben?

Welche Berichtsformen sind (noch) zukunftsfähig in die Medien?

OK. Das sind eben kluge Kommilitonen, die Sie da haben. Weil es sich hier ungefähr um alle Fragen handelt, die einem überhaupt einfallen können. Nur eins vorweg: Ich kann die alle nicht beantworten. Oder jedenfalls würde ich jetzt nicht versprechen wollen, sie zu beantworten.

Aber ich kann mir gemeinsam mit Ihnen ein paar Gedanken zum Investigativen Journalismus machen. Und am Ende würde ich gerne gucken, ob Ihnen - und mir - diese Leitsätze einleuchten, die ich an den Anfang der Überlegungen stellen will:

Der Investigative Journalismus wird in seiner Bedeutung überschätzt. Er ist wichtig. Aber er ist nicht entscheidend. Wenn wir uns einig sind, dass Journalismus unter anderem - ich betone: unter anderem - die Funktion hat, die 4. Gewalt im Staat zu sein, also Kontrolle auszuübeen, dann würde ich sagen, dass der Investigative Journalismus dazu seinen Teil beiträgt. Nicht mehr. Nicht weniger. Um es klar zu sagen: Es gibt auch Journalismus, der Herrschaft kontrolliert, der kein Investigativer Journalismus ist. Vielleicht lässt sich sogar zeigen, dass Investigativer Journalismus weniger wichtig ist als früher - und dass seine "Krise" - wenn es denn eine gibt - nicht daran liegt, dass hier alles vor die Hunde geht und dass früher alles besser war - Sie wissen schon, früher, als wir barfuß durch den Wald im Regen zur Schule gingen und dankbar dafür waren - sondern daran, dass andere Formen des Journalismus heute wichtiger geworden sind. Mal sehen.

Sie wissen, dass der Private Investigator im Angelsächsischen der Privatdetektiv ist. Also der Mann mit Trenchcoat und Schlapphut. Und es hat mich immer begeistert, dass eine der größten Reporter-Gestalten der Geschichte grundsätzlich mit Trenchcoat und Schlapphut ausgerüstet ist: Nämlich Kermit der Frosch. Es ist ja kein Zufall, dass der Detektiv und der Reporter der gleichen Ikonographie folgen. Beider Handwerk ist es, Verborgenes aufzudecken. Und darum wundert es auch nicht, dass andererseits eine der größten Detektiv-Gestalten der Geschichte, immer wieder ohne Probleme ins Reporter-Handwerk wechseln kann: Nämlich Micky Maus. Detektiv und Reporter sind Archetypen des westlichen 20 Jahrhunderts.

Die kennzeichnende Eigenschaft des Reporters ist es, rauszugehen, nicht am Schreibtisch zu sitzen, mit den Menschen zu reden. Es ist nicht, was sich im Kopf abspielt. Und auch nichts, was aus den Hinterzimmern kommt. Sondern Erlebtes, Gesehenes, Gefühltes. Ist das Investigativer Journalismus? Zum Teil. Wenn der Informant Deep Throat sich mit Bob Woodward im untersten Level der Tiefgarage 1401 Wilson Boulevard triff, dann passt das Setting ganz gut zum Privatdetektiv-Image des Reporters. Aber für einen Investigativen Journalisten ist es offenbar eher untypisch. Das hat jedenfalls der einzige wirklich prominente Investigative Journalist Deutschlands erklärt, Hans Leyendecker. Er hat wieder und wieder versichert, dass sein Handwerk nicht so aufregend sei, wie mancher vielleicht annehmen mag - sondern eben Handwerk. Stundenlanges Aktenstudium ....

Andererseits wissen wir alle, dass nicht Feuergefechte und Faustkämpfe den Alltag des Privatdetektivs ausmachen - sondern ewiges Warten im Auto, im Dunklen, mit kaltem Kaffee im Tassenhalter.

Versuchen wir es an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit. Koblenz, Anfang 1816. Da wurde nämlich der Rheinische Merkur verboten und sein Gründer und Herausgeber Joseph Görres sah sich gezwungen, Bücher zu schreiben. 1819 drohte Preußen Görres mit dem Gefängnis und er drohte zurück. Ich zitiere:

"Wenn man fortfährt, mich ferner aufs Äußerste zu treiben, dann werde ich auch auf der äußersten Spitze kühn meine Stelle nehmen ohne Schwindel, und dann will ich von da den Pfuhl unseres öffentlichen Lebens ... sondiren bis zu seinem innersten und tiefsten Grunde; ich will der Welt kundig machen, was es ist was Reiche verdirbt, Völker zu Schanden macht, und Teutschland an den Rand des Unterganges gebracht."

Das liest sich, finde ich, auch nach annähernd zweihundert Jahren nicht so schlecht. Und eine Menge Berliner Parlamentskorrespondenten sollten sich das hinter ihren Schreibtisch hängen. Oder eben besser nicht.

Also: "Sondieren bis zu seinem Innersten und tiefsten Grunde", das ist doch eine ganz brauchbare Definition der Tätigkeit eines Journalisten, der es krachen lassen will.

Das ist natürlich eine wesentliche Voraussetzung, wenn Sie den Job auf diese Art und Weise ausüben wollen. Ich würde hier einmal die These wagen, dass der Investigative Journalismus - was immer das auch sein mag - uns deshalb so krisenaft vorkommt, weil es weniger Leute gibt, die diesen Job machen wollen. Also, es kommt nicht nur auf die Verlage an, die das Geld bereitstellen müssen. Sondern auch auf die Leute, die Lust haben, diese Arbeit zu machen. Der Job ist anstrengend, nicht sehr glamourös, hat absurde Arbeitszeiten und kann wahnsinnig langweilig sein. Wenn Sie "Irgendwas mit Medien" machen wollen - ja, "Irgendwas mit Medien", Sie verstehen - dann haben Sie wahrscheinlich keine Lust, sich durch meterweise unveständliche Akten zu wühlen, in denen der Berliner Bankenskandal um Diepgen und Landowksi verborgen ist. Es kann nämlich sein, dass in Ihren Metern von Akten gar kein Bankenskandal drin ist und das Wühlen völlig umsonst war. Und wenn Sie eher genussorientiert sind und was ihre Arbeitsökonomie angeht eher kurzfritig denken, also auf schnellen Return der eingesetzten Mühe und Zeit aus sind - dann ist der Job des Investigativen Journalisten nicht so furchtbar attraktiv, fürchte ich. Man sagt ja, die Jugend von heute sei so. Aber man hat das von der Jugend von gestern auch gesagt. Und von der von vorgestern auch. Das wollen wir mal nicht vergessen. Darum würde ich gerne ihr Augenmerk auf die Frage richten, ob wir früher mehr Investigativen Journalismus hatten und mehr Investigative Journalisten als heute? Ich kann mir kein vernünftiges Mittel vorstellen, diese Frage zu beantworten. Aber ich glaube nicht, dass es sich so verhält.

Ich glaube, es gibt eine Reihe von Medien, die einen Teil ihrer Identität aus dem Investigativen Journalismus beziehen. Und die tun das heute auch noch. Und dann sind neue hinzugekommen.

In einer Studie des Netzwerks Recherche wird der Investigative Journalismus in Deutschland vor allem mit dem SPIEGEL assoziiert.

Die Süddeutsche Zeitunghat sich in den vergangenen Jahren ebenfalls ein gewisses Renommee auf dem Gebiet erarbeitet - aber vor allem wegen des Wechsels von Hans Leyendecker von Hamburg nach München. Das ist nun auch schon wieder, was, 12,13 Jahre her?

Aber denken Sie an die Bild-Zeitung, die neulich die Details des Massakers von Kundus veröffentlicht hat. Ich habe Kai Diekmann gefragt, ob der Verteidigungsminister ihm die Unterlagen zugespielt hat, oder hat zuspielen lassen - und er hat gesagt, Quatsch, wir haben daran wochenlang gearbeitet ...

Jedenfalls hat die Bild das gebracht, wäre früher eine Sache des Spiegels gewesen, des Sterns, oder eben der SZ. Jetzt macht Bild so was auch. Ist das die Krise des Investigativen Journalismus?

In der Studie des Netzwerks - die eigentlich mehr eine kleine Umfrage unter Mitgliedern war als eine Studie - wird übrigens zwischen Investigativem und Rechercheorientierten Journalismus unterschieden. Aha.

Ihnen ist bereits aufgefallen, dass ich dabei bin, diesen Begriff zu dekonstruieren. Ich kann damit nichts anfangen.

Ich glaube, dass wir unter dem Begriff Investigativ eine Idealisierung des Journalismus vornehmen.

Das ist gefährlich - weil wir eine zentrale Aufgabe des Journalismus - die Recherche - in ein Ghetto sperren und uns ein bisschen der Gefahr aussetzen, dass alle anderen Journalisten nicht mehr so viel recherchieren müssen, weil sie ja keine investigativen Journalisten sind. Und die kann sich ohnehin keiner mehr leisten - weil die Zeiten einfach so schlecht sind. Damit löst sich dann alles irgendwie auf. Ich bin da fundamentalistischer: Jeder Journalist muss recherchieren. Punkt.

Es gibt manchmal Themen und Geschichten, da dauert die Recherche dann länger - und je länger sie dauert, und je mehr Widerstände sie überwinden muss, desto eher wird man sie Investigativ nennen.

Interessant wird es in den Fällen, in denen es auch um aufwendige Recherche geht - und um Themen von großem allgemeinen Interesse, wo wir uns aber alle irgendwie scheuen würden, den Begriff Investigativer Journalismus zu nutzen. Sie wissen worauf ich hinauswill. Wenn die Bunte eine Agentur anheuert, die Informationen über Seehofer und Lafontaine und Gysi sammelt - wie nennen wir das? Recherche? Ausspionieren? Ist das investigativ oder einfach nur eklig? Vergessen Sie nicht, dass früher, als die PR-Strategien noch nicht so ausgefuchst waren wie heute, die Mächtigen über die Journalisten als Ratten und Schmeißfliegen geschimpft haben, als Schmierfinken von der Presse, denen man das Handwerk legen muss. So redet heute niemand mehr - öffentlich. Aber denkt so auch niemand? Also: Gehört die Bunte auch zu den Investigativen Organen der Republik?

Fortsetzung hier

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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