Im Zweifel ohne

SPD Wenn die deutsche Sozialdemokratie den Weg in die Bedeutungslosigkeit gehen will, dann werden wir auch das überleben
Ausgabe 03/2018
Endstation Hoffnung
Endstation Hoffnung

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Das hat Martin Schulz bestimmt gefreut: guter Rat aus Frankreich und Griechenland. Alexis Tsipras hat ihm eine SMS geschickt, berichtete der SPD-Chef im Dezember, und ihn ermuntert, in die Große Koalition zu gehen. „Vergiss nicht, dass eine wahrhaft linke und fortschrittliche Position nicht darin besteht, die eigene Identität möglichst sauber zu halten“, habe Tsipras geschrieben. Und auch Emmanuel Macron habe ihm Mut gemacht, Deutschlands Sozialdemokraten in eine neue Große Koalition zu führen.

Offenbar hatte Schulz gar nicht bemerkt, wie absurd diese gut gemeinten Ratschläge eigentlich waren: In Frankreich und Griechenland ist die Sozialdemokratie mehr oder weniger ausgelöscht. Gerade Macron und Tsipras haben dazu beigetragen, indem sie ihre eigenen Bewegungen an die Macht führten. Die haben also gut reden. Und nun wollen ausgerechnet diese beiden den deutschen Sozialdemokraten den Weg in den politischen Selbstmord weisen? Andererseits kennt man eben gerade in Griechenland und Frankreich das Leben ohne Sozialdemokraten: Erst denkt man, es geht nicht ohne, dann fehlen sie einem nicht mal. Die linke Idee – oder was davon übrig ist – mag auch in anderen Händen gut aufgehoben sein. Es gibt, zwar nicht für die Sozialdemokratie, aber doch für das Sozialdemokratische, ein Leben nach dem Tod.

Der arme, brave Martin Schulz! Wohin hätte mehr Mut ihn bringen können! Anfang 2017 war der Augenblick günstig: Die Merkel-Müdigkeit war im ganzen Land greifbar – nicht mal die Kanzlerin hatte noch Lust auf sich selbst. Junge Leute strömten in Scharen in die SPD. Aufbruch lag in der Luft. Aber man muss einen solchen Augenblick von vorne beim Schopf packen – hinten hat er keine Haare. Jetzt hat Martin Schulz gute Chancen, der letzte SPD-Vorsitzende zu sein, dessen Namen man sich noch merken muss.

Für die älteste deutsche Partei geht es buchstäblich um Sein oder Nichtsein. Und es lohnt sich schon, zweimal nachzudenken, bevor man sich ins Schwert stürzt. Aber die Öffentlichkeit ist ungeduldig. „Die SPD präsentiert sich derzeit mal wieder so, wie man sie kennt: Zerrissen, hadernd, zögernd, streitend“, hat die Süddeutsche Zeitung gerade wieder über die SPD geschrieben. Es gehört ja zur deutschen Politfolklore, die Sozialdemokraten in toto als die Hamlet-Wiedergänger der deutschen Politik zu verspotten: angekränkelt von des Gedankens Blässe, nur weil sie nicht einfach auf Teufel komm raus regieren wollen, sondern vorher noch mal nach dem Sinn fragen. Und es gehört andersherum zur Politfolklore der Sozialdemokraten, dass sie stolz darauf sind, in irgendwelchen entscheidenden Momenten die Sinnfrage gegen Pragmatismus einzutauschen. Sigmar Gabriel: „Im Zweifel stellten die sozialdemokratischen Kanzler Brandt, Schmidt und Schröder die Interessen des Landes über das Wohl der Partei.“

Irgendwo zwischen diesem Spott und diesem Pathos liegt die Wahrheit der SPD. Und sozialdemokratische Selbstsuche tut ja auch wahrhaftig not – nur der Moment ist gerade nicht so günstig. Keine Zeit. Jetzt gerade sollte sich die SPD nur überlegen, ob die Große Koalition für sie funktioniert. Sie funktioniert natürlich nicht. In der Großen Koalition lässt sich nicht zeigen, wofür die Sozialdemokratie steht. Erstens, weil es nicht geht – sonst würde die CDU nicht mitmachen. Und zweitens, weil es keiner merkt. Jeder sozialpolitische Erfolg der vergangenen Jahre hat – wenn überhaupt – auf das Konto der Kanzlerin eingezahlt. Man sieht nicht, warum es diesmal anders sein sollte. Stabilisierung der Rente? Paritätische Finanzierung der Krankenkassenbeiträge? Wetten, dass der Dank an Merkel gehen wird?

Das Sondierungsergebnis spricht doch eine deutliche Sprache. Und wenn sich die SPD schon in den Sondierungen zu einer Koalition den Schneid abkaufen lässt, wie sollen dann die Verhandlungen zu dieser Koalition laufen? Und erst die Regierung?

Wie das ausgehen wird, weiß im Moment kein Mensch. Die SPD-Landesverbände Sachsen-Anhalt und Berlin haben bereits Nein gesagt. Der Parteitag am Sonntag muss sich äußern. Dann, nach möglichen Koalitionsverhandlungen, die Mitglieder. Der Einsatz steigt dabei von Runde zu Runde: Wenn die Delegierten dagegen stimmen, muss Martin Schulz zurücktreten. Nach den Verhandlungen sollen die Mitglieder befragt werden – wenn sie gegen die Koalition stimmen, ist der gesamte Vorstand erledigt.

Warum nicht? Das böte der Partei die Chance für einen Neuanfang. Die Funktionäre von gestern haben die Herausforderung von morgen nicht begriffen, die für die Sozialdemokratische Partei im Überleben liegt.

Aber wenn die deutsche Sozialdemokratie sich ihren europäischen Schwestern anschließen und den Weg in die Selbstvernichtung antreten möchte, dann werden wir auch das aushalten. Und für die linken, sozialen, liberalen Inhalte neue Gefäße finden.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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