Ins Meer mit den Urnen

Wahlkampf Gehen Sie wählen. Es gibt einen Grund. Er fällt uns gleich ein, ehrlich …
Ausgabe 35/2013
Ins Meer mit  den Urnen

Montage: der Freitag, Material: Getty Images, imago, wiml/ Fotolia

Korsischer Wahlkampf, das wissen wir aus Asterix auf Korsika, geht so: Man füllt die Urnen schon vor dem Wahltermin und wirft sie dann ins Meer. Danach wird der Stärkste der Chef. Das wäre vielleicht eine Möglichkeit, unsere schlappen Politnudeln in Bewegung zu versetzen. Wir erleben ja zurzeit mehr Valium als Kampf.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Das ist Absicht. Die Kanzlerin will das so. Mag die Demokratie den Bach runtergehen – solange am Ende noch mindestens drei Leute wählen gehen und zwei für Angela sind, dann ist ihr das recht.

So eine repräsentative Demokratie ist eine tolle Sache. Und eine Unverschämtheit zugleich. Alle paar Jahre wird gewählt. Dann geben wir unsere Stimme ab. Und danach schweigen wir bis zu nächsten Mal. Es braucht also eine volle Legislaturperiode, bis so eine Stimme nachwächst, die wir abgeben können. In der Zwischenzeit sind wir politisch stumm. Früher konnte man so mit den Leuten umgehen. Heute nervt es. Die repräsentative Demokratie ist mit der Zeit ganz schön repräsentativ geworden und zu wenig demokratisch.

Die Demokratie hat sich verändert. Man muss sich fragen, ob wir zum Beispiel dasselbe wie die Kanzlerin meinen, wenn wir von Demokratie reden. In einem Interview mit der Welt sagte die Kanzlerin einmal: „Ich bin von der Weisheit der Demokratie genauso überzeugt wie am ersten Tag, als ich in ihr leben durfte.“ Aber als bekannt wurde, dass der US-amerikanische Geheimdienst NSA die Deutschen beinahe vollständig überwachen kann, da legte die Reaktion der Kanzlerin die Vermutung nahe, dass ihr das Wesen der Demokratie in Wahrheit fremd ist.

Die amerikanische Politikwissenschaftlerin Wendy Brown hat geschrieben: „Die großen Demokratien zeichnen sich heute weniger durch eine Überschneidung als vielmehr durch eine Verschmelzung von staatlicher und unternehmerischer Macht aus: Staatliche Aufgaben von Schulen über Gefängnisse bis hin zum Militär werden im großen Stil outgesourct; und vor allem ist die Staatsmacht über ihre Steuer-, Umwelt-, Energie-, Arbeits-, Sozial-, Finanz- und Wirtschaftspolitik ganz unverhohlen in das Projekt der Kapitalakkumulation eingespannt. Die breite Masse kann die meisten dieser Entwicklungen nicht verstehen geschweige denn bekämpfen und ihnen andere Ziele gegenüberstellen.“ Das alles geschieht im Rahmen der Demokratie.

Der Kapitalismus ist so lange gewachsen, dass er mit der Demokratie kaum noch zu vereinbaren ist. Dem Kapitalismus ist das egal. Er braucht die Demokratie nicht mehr. Die Chinesen haben uns das vorgemacht. Sie betrachten uns mit teilnahmsloser Neugier, wie kuriose Tierchen. Mit Blick auf die sonderbaren Wahlrituale in Europa schrieb der chinesische Journalist Zhong Sheng: „Populismus und Konservatismus werden dort wahrscheinlich zunehmen.“ Mark Siemons, FAZ-Korrespondent in Peking, bemerkte dazu, das laufe am Ende auf die Frage hinaus, „ob Kapitalismus überhaupt mit Demokratie funktionieren kann. Oder nicht gleich in den Händen der Kommunisten besser aufgehoben wäre.“

Wenn Ihnen die Antwort nicht passt – gehen Sie wählen. Machen Sie das Kreuz an der richtigen Stelle. Sie werden schon eine finden.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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