Jakob Augstein: Herr Langer, Sie sind Jude, Sie sind schwul, Sie haben nichts gegen Muslime. Wenn wir in New York wären, würde jetzt wahrscheinlich irgendein total lustiger Witz kommen. Den bringe ich aber nicht, denn wir sind nur in Berlin. Ich rede einfach weiter: Sie wurden 1990 in München geboren, sind in Wien und Sopron aufgewachsen. Sopron, wo ist das?
Ármin Langer: Diese Stadt liegt in Nordwest-Ungarn. Eine sehr hübsche Stadt, also wenn Sie mal in Ungarn sind und nicht nur Budapest sehen wollen: Sopron ist echt einen Besuch wert. Ist aber saulangweilig.
Sie haben irgendwas studiert, darüber reden wir gleich. Dann wollten Sie Rabbiner werden am Abraham-Geiger-Kolleg in Berlin, sind da rausgeflogen. Wie das passiert ist, darüber werden wir auch noch reden. Vor allem reden wir über Ihr Buch: Ein Jude in Neukölln. Wohnen Sie da immer noch?
Ja, seit drei Jahren und ich bin noch immer am Leben.
Jetzt mal ohne Spaß: Kann man sich in Neukölln auf der Straße als Jude zu erkennen geben? Was passiert da? Ist es gefährlich? Gibt es Konflikte? Sie lachen jetzt schon, dabei meinte ich die Frage ernst.
Ich werde auch sehr ernst antworten. Leider ist meine Antwort ein bisschen lustig. Kurz nachdem ich aus Ungarn nach Neukölln zog, bin ich bei dem neuen Friseur gelandet. Wie fast alle Friseure in meiner Nachbarschaft kam auch dieser Friseur aus dem Libanon und die erste Frage, die er mir stellte, war natürlich, warum ich denn jetzt nach Berlin gezogen sei, ausgerechnet Berlin unter allen Städten. Wie gesagt, ich bin wegen einer Ausbildung zum Rabbiner in diese wunderschöne und spannende Stadt gekommen und habe ihm auch erzählt, dass ich ein angehender Rabbiner bin. Ich kann es ja nicht leugnen. Seine Reaktion war nicht die Frage, wie ich zum Staat Israel stehe oder was ich von der Besatzung hier und da halte, sondern ob Rabbiner heiraten dürfen.
Ich weiß, dass ganze viele Menschen der Überzeugung sind, es sei völlig unmöglich in Neukölln oder überhaupt in Bezirken, die in der Öffentlichkeit als muslimisch geprägt wahrgenommen werden, als Jude zu leben. Ich wehre mich übrigens gegen diese Bezeichnung des Bezirks. Neukölln hat viel mehr Schwulenkneipen und Galerien als Moscheen, glauben Sie mir. Durch meine persönlichen Begegnungen mit meinen muslimischen Nachbarn, meinen muslimischen Kollegen, später auch durch die Salaam-Schalom-Initiative, durch unsere Arbeit mit mehreren Moscheen in Neukölln habe ich die ganze Zeit nur solche Erfahrungen gemacht wie eben mit diesem einen Friseur aus dem Libanon.
Sie haben erst mit sechzehn Jahren von Ihrem Vater erfahren, dass Ihre Familie jüdisch ist. Das ist spät, oder?
Meine Geschichte ist eine typisch osteuropäische jüdische Geschichte, denke ich. Wir haben in einer Kleinstadt ohne jüdische Gemeinde gewohnt; die Hälfte meiner Familie hat die Schoah nicht überlebt. Es gab einfach keinen Bezug zur positiven Seite der jüdischen Identität. Und ich bin damit nicht allein gewesen. Als ich diese Kleinstadt verlassen habe und in Budapest ein Studium absolviert habe, das wir jetzt nicht erwähnen, weil es nicht relevant ist...
Was haben Sie da studiert?
Philosophie. Für ein Semester auch Koreanisch, das habe ich noch nie öffentlich gesagt.
Koreanisch? Oder Koran?
Ko-re-a-nisch.
Ach so, alles klar.
Später in Budapest wurde ich ein ganz engagiertes Mitglied einer jüdischen Gemeinde. Die Rabbinerin – es war eine progressive Synagoge – hat mir erzählt, dass viele junge Juden, die nach ihrer Identität und ihren Wurzeln suchen, am Anfang etwas ganz Exotisches machen. Sie gehen nicht direkt zu Hebräisch, sie gehen nicht direkt zu rabbinischer Literatur, sondern einen Umweg durch die Sprache eines kleinen Kulturkreises, wie zum Beispiel Koreanisch. Es macht also völlig Sinn.
Zur Person
Ármin Langer, 1990 als Sohn ungarischer Migranten in München geboren, wuchs in Wien und Sopron/Ungarn auf. Sein Buch Ein Jude in Neukölln. Mein Weg zum Miteinander der Religionen ist im Aufbau Verlag erschienen (304 Seiten, 19,95 €)
Der religiöse Anteil der jüdischen Identität spielte in Ihrer Familie gar keine Rolle?
Meine Familie ist durchaus atheistisch geprägt und das ist auch gut so. Ich selbst war aber nie ein Atheist. Ich war schon als Zwölf-, Dreizehnjähriger der Spiritualität und den Religionen gegenüber offen. Ein Grund, warum ich mich dann für ein Studium der Philosophie entschieden habe, war auch, dass ich mich mit Religionsphilosophie beschäftigen wollte. Nur hatte meine Religiosität nie einen konkreten Rahmen, eben weil ich in einer Stadt gelebt habe, in der es keine jüdische Gemeinde gab. Ich habe dann Gottesdienste in unterschiedlichen Kirchen besucht. In dieser Stadt gab es auch eine kleine buddhistische Gemeinde, die nur aus weißen Konvertiten bestand. Das fand ich auch nicht unbedingt authentisch. Danach zog ich nach Budapest, eine Stadt, in der bis heute fünf Prozent der Bevölkerung jüdisch sind und es mehr als zwanzig Funktionäre der Synagogen gibt und auch ganz viele progressive, liberale, politisch engagierte jüdische Gemeinden. Ich habe mich direkt zu Hause gefühlt. Ehrlich gesagt habe ich dieses jüdische Zuhause in Berlin noch nicht gefunden. Es fehlt mir noch sehr.
Wann haben Sie beschlossen Rabbiner zu werden?
Als ich zum ersten mal an einem jüdischen Gottesdienst teilnahm in einer libralen Synagoge in Budapest; das war im November 2010.
Das heißt, es ist eine Berufung.
Würde Martin Luther sagen, ja.
Sie haben das eben kurz angedeutet: Worin unterscheidet sich das jüdische Leben in Budapest von dem, das Sie bisher in Berlin kennengelernt haben?
Ich kann Ihnen eine aktuelle Geschichte erzählen. Wie einige es wahrscheinlich mitbekommen haben, gab es in Ungarn eine Volksabstimmung, ob das Land die 1.200 Geflüchteten aufnehmen solle oder nicht. Eine Volksabstimmung über die Quoten, die von der Europäischen Union schon längst verworfen wurden. Egal, Hauptsache, man kann offiziell gegen eine Minderheit hetzen. Das macht die ungarische Regierung sehr gerne. Nur eben nicht gegen Juden oder gegen Roma, sondern gegen Geflüchtete. Vier Synagogen-Gemeinden haben sich zusammengetan und gemeinsam einen Schabbat-Gottesdienst für Geflüchtete organisiert, mit einer Teilnehmerzahl von mehr als hundert Leuten. Das ist das jüdische Umfeld, aus dem ich komme. Dann komme ich nach Deutschland und wir wissen, was die jüdischen Gemeinden hierzulande machen. Bis auf ein paar gute Ausnahmen natürlich. Zum Glück gibt es sie.
Ich weiß nicht, ob wir alle wissen, was die jüdischen Gemeinden in Deutschland machen. Ich weiß auch nicht ganz genau, was Sie damit meinen. Vielleicht können wir darüber reden. Sie halten die jüdischen Institutionen in Deutschland für zu konservativ, um es vorsichtig zu formulieren.
Bleiben wir bei konservativ, das reicht.
Beschreiben Sie mal, warum. Was beobachten Sie? Was ist das Problem? Ich glaube, dass sich in den letzten 25 Jahren hier extrem viel getan hat. Durch den Zuzug aus Russland, aber auch aus anderen Ländern.
Ein gutes Beispiel dafür, wie sich das jüdische Establishment in Deutschland benimmt, ist diese ganze Debatte im November und Dezember 2015, die mit der Aussage von Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, angefangen hat. Er sagte, dass die Geflüchteten nicht fähig seien sich zu integrieren, weil sie aus Ländern kommen, in denen Antisemitismus, Homophobie, Frauenfeindlichkeit und so weiter die Norm sind. Das sind die Worte eines Funktionärs, dessen Organisation keine offen schwulen Rabbiner einstellt. Der Zentralrat der Juden kontrolliert fast alle jüdischen Gemeinden in Deutschland und ich denke nicht, dass jemand einen Rabbiner nennen kann, der offen schwul ist. Wir alle kennen Rabbiner, die in Deutschland tätig sind. Einige von ihnen sagen öffentlich, sie seien heterosexuell, andere sagen nichts über ihr Privatleben, aber es gibt keinen Rabbiner in Deutschland, der offen schwul ist und für den Zentralrat der Juden arbeitet. Warum? Weil das ein Problem bedeuten würde. Diese Menschen reden dann über die Homophobie der Geflüchteten.
Ganz ehrlich: Selbst, wenn alle Geflüchteten, die nach Deutschland kommen, antisemitisch, homophob und frauenfeindlich wären, wie kommen wir dazu, ihnen nicht helfen zu müssen?
Das hat er aber nicht gesagt. Ich glaube, er hat eine Sorge geäußert. Ich fand die Formulierung auch nicht besonders glücklich, da bin ich Ihrer Meinung. Aber das zugrundeliegende Thema ist eines, das man nicht zu schnell wegwischen sollte. Nämlich die Frage: Holen wir eine neue Form von tief in der Kultur verwurzeltem Antisemitismus ausgerechnet in dieses Land mit seiner Geschichte? Die Frage finde ich legitim. Ich habe Sie auch nicht so verstanden, dass Sie die Sorge an sich wegwischen.
Ich habe nicht die Sorge fokussiert, sondern den Ausdruck, es sei ein ethnisches Problem.
Das ist, was ich gesagt habe: Dass die Formulierung nicht so glücklich war.
Ich denke nicht, dass Deutschland noch Antisemitismus, Homophobie und Frauenfeindlichkeit importieren soll, weil wir schon genug davon haben. Wir tun die ganze Zeit so als seien Antisemitismus, Homophobie und Frauenfeindlichkeit Probleme der Migranten. Sind sie nicht. Ich bin kein Wissenschaftler, aber ich zitiere gerne Wissenschaftler, und es gibt so viele Studien, die beweisen, dass 20 Prozent der deutschen Bevölkerung bis heute an eine jüdische Verschwörung glauben, dass sie offen für antisemitische Vorurteile sind. 98 Prozent der antisemitischen Gewalt- und Straftaten stammen bis heute von Rechtsextremen. Wir reden trotzdem die ganze Zeit nur darüber, dass Muslime die Antisemiten seien, dass Neukölln eine No-go-Area sei. Rabbiner Daniel Alter, der mit diesem Gedanken an die Öffentlichkeit gegangen ist, hat auch nicht gesagt, dass Lichtenberg oder Hellersdorf No-go-Areas wären, obwohl wir wissen, dass die Neonaziszene die aktivste Quelle der antisemitischen Gewalt- und Straftaten ist. Irgendwie reden wir nur über den Antisemitismus der Muslime und nicht über unseren Antisemitismus. Ich glaube, wenn wir den Antisemitismus bekämpfen wollen – und ich hoffe, dass das das Ziel aller Menschen in diesem Land ist – dann müssen wir über den Antisemitismus in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext reden und nicht nur über den Antisemitismus einer Minderheit. Damit lösen wir das Problem nicht.
Kann es sein, dass der Antisemitismus, der von dieser speziellen Minderheit ausgeht, sichtbarer ist? Dass die sich ihres Antisemitismus weniger schämen, als es Deutsche tun würden? Weil sie zumindest gelernt haben, dass man in der Öffentlichkeit nichts gegen Juden sagt, auch wenn man es vielleicht im Stillen denkt?
Mit der Salaam-Schalom-Initiative gehen wir regelmäßig in Neuköllner Schulen. Ich habe in den letzten Jahren mit hunderten von Schülern geredet, fast alle waren muslimischen Glaubens, und ich war immer der Jude im Raum. Die antisemitischen Vorurteile, die ich unter ihnen erfahren habe, waren nicht anders als die Vorurteile, die ich unter nicht-muslimischen Bundesrepublikanern erfahren habe. Sie waren auch nicht intensiver. Das erste antisemitische Vorurteil, dem ich in Deutschland begegnet bin, kam auch nicht von einem Muslim. Es war nicht böse gemeint. Ganz oft ist Antisemitismus nicht böse gemeint; ist natürlich total böse, aber nicht böse gemeint.
Ich habe mich mit jemandem getroffen und habe ihm erzählt, dass ich übrigens jüdischer Herkunft bin, nur en passant. Seine erste Reaktion war: „Kommst du aus einer reichen Familien?“ Er hat das nicht böse gemeint, aber ich war der erste Jude, den er in seinem Leben getroffen hat. Er ist in einem Dorf in Baden-Württemberg aufgewachsen; ich liebe ihn total, ein echt netter Kerl. Aber der Antisemitismus ist so tief in dieser abendländischen Kultur, die wir irgendwie verteidigen wollen – ich weiß nicht, warum – verankert, dass er zum Alltag gehört.
Aber ich habe noch eine Geschichte. Damit ich nicht die ganze Zeit über den Antisemitismus der Mehrheitsbevölkerung rede, sondern auch über den Antisemitismus der Muslime. Den kenne ich nämlich auch. Einmal zum Beispiel, in einer Schule, hat ein Mädchen – sie war sehr niedlich – mir die Frage gestellt, wie ich zu den Illuminati stünde. Ich war für einen Moment schockiert, aber dann erwiderte einer ihrer Mitschüler: „Was für eine Frage ist das, Digga! Bist du behindert?“ Sie haben das Problem geregelt. Sie haben den Antisemitismus reflektiert. Dreizehnjährige Schüler.
Wir haben es also eher zu tun mit einem antimuslimischen Rassismus oder... einem Kulturchauvinismus?
Sie mögen den Begriff „antimuslimischer Rassismus“ nicht?
Doch, schon. Aber beschreiben Sie mir mal, was Sie glauben, womit wir es zu tun haben und wie Sie es erleben.
Missverstehen Sie mich nicht: Mein Punkt ist nicht, dass wir nicht über den Antisemitismus der Muslime reden sollen, sondern dass wir nicht nur darüber reden sollen, weil das Phänomen eben viel komplizierter ist. Wenn wir ausschließlich über den Antisemitismus der Muslime reden, dient das nur dazu die antimuslimisch-rassistischen Vorurteile und Stereotypen, die seit 2001 sowieso ganz stark präsent sind, zu fördern.
Es ist so wie mit der Frauenfeindlichkeit nach der Silvesternacht von Köln, wo alle Leute ganz plötzlich große Frauenfreunde waren und sich für Frauenrechte eingesetzt haben, weil es da die Muslime waren, die die Frauenrechte verletzt und gebrochen hatten. Man konnte so von der eigenen Frauenfeindlich herrlich ablenken. Man externalisiert seine eigenen Vorurteile auf diese Weise.
Ja, Sie haben Recht.
Toll! Wie lange sind Sie jetzt in Berlin? Seit drei Jahren?
Genau, seit Ende 2013.
Sie fühlen sich trotzdem, was Ihre jüdische Identität angeht, immer noch nicht zu Hause. Liegt das nur am Konservatismus der hiesigen Institutionen? Brauchen Sie die Institutionen als progressive Räume, um sich in Ihrem Jüdischsein in Berlin zu Hause zu fühlen?
Jein. Theoretisch nicht, aber wer bezahlt mich dann? Unterschiedliche Länder, unterschiedliche Sitten. In Deutschland sind die jüdischen Gemeinden hundertprozentig vom Staat abhängig. Gäbe es die Förderung des deutschen Staates nicht, gäbe es keine Rabbiner, die rund um die Uhr arbeiten können. In Deutschland gibt es einfach keine Spendenkultur. Im Gegensatz zum Beispiel zu den USA. Da werden die Synagogen nicht vom Staat subventioniert, natürlich nicht. Es gibt aber gleichzeitig ganz krasse Mitgliedsbeiträge, tausende von Dollars. Und die bezahlen das. So etwas funktioniert aber meiner Meinung nach in Kontinentaleuropa nicht wirklich. Das macht uns abhängig vom Establishment, weil sie über die Gelder verfügen. Ich will jetzt nicht zu pessimistisch klingen. Das bedeutet nicht, dass es keine Hoffnung gäbe und dass es keine tollen unabhängigen jüdischen Initiativen in Berlin oder überhaupt in Deutschland gäbe. Es gibt mehrere, etwa die Freunde der Fraenkelufer Synagoge, eine wunderbare unabhängige jüdische Initiative in Kreuzberg, die mit einer etablierten Synagoge verbunden ist, aber ihre Tätigkeiten auch teilweise unabhängig davon ausführt. Ich finde das super und unterstützenswert. Wir arbeiten daran. Was uns hilft, ist die Zuwanderung von Juden; nicht unbedingt die Zuwanderung aus der ehemaligen Sovietunion, die vor 20 Jahren so aktuell in Deutschland war. Sondern eher aus dem Staat Israel, den Vereinigten Staaten, Großbritannien. Die Mehrheit der jüdischen Mitglieder der Salaam-Schalom-Initiative sind tatsächlich jüdische Migranten oder Menschen aus jüdischen Einwandererfamilien, aber eben nicht aus der ehemaligen Sovietunion, sondern aus den drei zuvor erwähnten Ländern.
Sie haben eben das Fraenkelufer erwähnt. Worin unterscheidet sich diese jüdische Gemeinde denn von der in Charlottenburg oder von der in der Oranienburger Straße, wenn Sie die Milieus oder Ihre Erfahrungen vergleichen? Wo fühlen Sie sich angenommen, wo abgelehnt?
Ich glaube, der Erfolg dieser konkreten Gemeinde liegt teilweise an der Umgebung, in der sich die Gemeinde befindet. Diese Gemeinde ist an der Grenze von Kreuzberg zu Neukölln am Landwehrkanal und ist eine sehr heterogene Umgebung mit Menschen aus allen Ländern. Das trägt auch viel zu den Erfolgen dieser Gemeinde bei.
Und Charlottenburg? Da sind doch auch viele Leute aus vielen Ländern?
In Charlottengrad.
Sie haben diesen Artikel geschrieben, in einer Berliner Tageszeitung, über diese Äußerung von Herrn Schuster, und haben ihm... Rassismus vorgeworfen? Nein, oder?
Doch, habe ich gemacht.
Das kam dann nicht so gut an.
Nicht wirklich. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, hat November 2015 in der Welt in Aussicht gestellt, dass wir in Deutschland eine Obergrenze brauchen. Es ist nicht wichtig, was er gefordert und behauptet hat. Was ich sehr problematisch fand, war tatsächlich die Begründung für seine Aussage. Seine Begründung war, dass der Antisemitismus, die Frauenfeindlich, die Homophobie, die Unfähigkeit zur Integration bei den syrischen Geflüchteten ein ethnisches Problem sei. Das sind seine Worte: „ethnisches Problem“. Ich hoffe, dass ich nicht kommentieren muss, warum ich das problematisch fand.
Und dann haben Sie das geschrieben. Aber was ist danach passiert?
Ich habe diesen Ausdruck als rassistisch bewertet. Mein Text wurde dann auch abgedruckt. Ich habe ein bisschen hyperventiliert. Manchmal ist es nicht so einfach, nicht zu hyperventilieren. Besonders, wenn der erste jüdische Vertreter in diesem Land etwas Negatives über die Geflüchteten sagt und besonders, wenn die einzige öffentliche Person, die diese Aussage unterstützt, Lutz Bachmann von Pegida ist. Dann kann man, denke ich, legal hyperventilieren. Ich habe in diesem emotionalen Zustand den ganzen Zentralrat der Juden als eine Versammlung von Rassisten bezeichnet. Ich habe die Umstände erklärt. Das war keine einfache Zeit und danach war es noch ein bisschen schwieriger, weil ich meine Ausbildungsstelle am Rabbinerseminar verloren habe.
Wie geht es denn da zu? Ich kenne Herrn Schuster nicht persönlich, aber so wie ich ihn einschätze nach allem, was ich über ihn weiß, ist er niemand, der irgendwo anruft und sagt: So, den Typen müsst ihr jetzt mal absägen.
Ich denke auch nicht, dass er hinter meinem Rauswurf steckte. Was übrigens nachher stattfand, als ich mich für meine Wortwahl schon bei Herrn Schuster entschuldigt hatte. Ich weiß nicht, was ich noch hätte tun können. Meine öffentlichen Äußerungen waren auch schon früher am Rabbinerseminar kritisch beobachtet worden. Ich bin der Überzeugung, dass diese Übertreibung von mir dann einfach der perfekte Anlass für sie war, um mich loszuwerden. Zu diesem Zeitpunkt habe ich bereits mit Synagogen in mehreren europäischen Ländern Gespräche über meine Einstellung als Rabbiner geführt. Ich will sie nicht im Stich lassen, werde mich also weiterhin zum Rabbiner ausbilden lassen. Allerdings nicht in Berlin, weil es hier wahrscheinlich nicht mehr möglich ist. Ich werde mich noch einmal bewerben, das haben sie mir erlaubt, aber ich wäre sehr überrascht, wenn sie mich annähmen.
Das geht mir zu schnell. Es gibt doch eine wachsende neue jüdische Kultur auch in Berlin. Die ist doch jetzt schon sehr heterogen. Da kommen ganz verschiedene Leute aus ganz verschiedenen Ländern mit ganz verschiedenen sozialen Hintergründen. Es ist ja jetzt nicht so, dass Sie da von vorneherein total rausfallen. Dass die alle solche Scheuklappen haben und so eng geführt denken, dass Sie mit einer wilden These gleich vor die Wand fahren, das hat mich gewundert. Ich habe es damals gelesen, auch was sie vorher gesagt hatten. Sie hatten gesagt, die Muslime seien wie die neuen Juden. Das sind schon harte Formulierungen, aber die harschen Reaktionen haben mich gewundert. Liegt das daran, dass ich zu wenig darüber weiß, wie konservativ die sind? Ist das tatsächlich so? Eine ganz naive Frage. Und die zweite Frage: Wie funktioniert das dann situational? Kann man jemanden einfach rauswerfen?
Ich war auch überrascht. Denn ich habe nicht gegen den Vertrag verstoßen. Ich werde jetzt nicht alles erzählen, aber Sie müssen mir glauben, dass die Geschichte noch nicht vorbei ist. Ich würde nicht einmal behaupten, dass es nur an ihrer konservativen Einstellung liegt.
Vielleicht waren Sie ein schlechter Student und haben immer Party gemacht.
Ich war einer der besten Studenten. Ich habe meine Noten jetzt nicht dabei, Sie müssen mir glauben. Oder ich kann was vorsingen, wenn Sie wollen.
Nein, das lag eher daran, dass das Rabbinerseminar irgendwie die Vorstellung von einem Rabbiner hat, der allen gefällt, der nicht spaltet, der ergo nicht politisch aktiv ist und sich nicht positioniert. Das ist allerdings nicht mein Bild von einem Rabbiner und das war auch nicht das Abraham Geigers, der Rabbiner aus dem 19. Jahrhundert, dessen Namen diese Ausbildungsstätte trägt. Er war ein sehr spaltender Rabbiner; ein sehr engagierter liberaler Jude. Er hat mehrere Vorschläge bezüglich der Halacha, also des Religionsgesetzes, gemacht, die unter ganz vielen Juden ein No-go waren. Übrigens hat er seine Doktorarbeit über den islamischen Propheten Mohammed schrieben und welche Stellen Mohammed aus dem Talmud geklaut und in den Koran eingebaut hat. Also eine sehr spannende Figur und eine Figur, die die Juden damals gespalten hat.
Die Salaam-Schalom-Initiative, in der Sie in Neukölln zusammen mit muslimischen Jugendlichen arbeiten, diese Arbeit haben Sie damals auch schon gemacht. Wie fanden Ihre Kommilitonen und Professoren das?
Einige haben das unterstützt, andere haben es kritisch betrachtet, bis ich irgendwann zum Bundespräsidenten eingeladen wurde und dann gab es plötzlich ganz viele Fotos von Ármin und Gauck nebeneinander. Dann musste man mich lieben. Oder wenigstens unterstützen. Oder nicht öffentlich kritisieren. Aber nach einer Zeit war diese Magie auch weg. Dann kamen auch die kritischen Punkte. Aber ich weiß, dass es ganz viele tolle Dozenten, Mitarbeiter und Studenten an diesem Institut gibt. Mit ihnen bin ich bis heute in Kontakt.
Über die Zukunft zu reden ist blöd, macht aber manchmal Spaß. Wenn Sie jetzt fünf oder zehn Jahre nach vorne gucken, was glauben Sie, wie sich das jüdische Leben in Berlin entwickeln wird? Wird es mehr Leute wie Sie geben, bricht es auf, passiert da irgendwas, führt es irgendwohin? Oder sind das Verkrustungen, die so fest sind, dass da kaum Bewegung drin ist?
Ich glaube, dass es nur eine Frage der Zeit ist und dass die Strukturen sich ändern werden. Ob das in fünf Jahren passiert... So optimistisch bin ich jetzt auch nicht. Aber wir sind dran.
Welche Rolle spielt die Schoah in der jüdischen Identität in Berlin? Ist das der Dreh- und Angelpunkt der jüdischen Identität in Deutschland?
Als ich angefangen habe, mich mit meinem jüdischen Erbe auseinanderzusetzen, war die Schoah für mich der wichtigste Punkt überhaupt. Ich wollte mich mit dem Judentum befassen, um ein Zeichen zu setzen: Obwohl die Nazis und Faschisten versucht haben, meine Familie auszurotten, werde ich jetzt trotzdem ein Jude sein. Es gibt im Jiddischen ein wunderbares Wort dafür: dafke. Trotzdem. Ich habe mich am Anfang als Dafke-Jude definiert und mich dafke mit dem Judentum befasst. Damit bin ich ziemlich weit gekommen, denke ich.
Und noch etwas zum Titel Ein Jude in Neukölln: Am Herrmannplatz in Neukölln gibt es jetzt bei einer Buchhandlung auf dem Schaufenster eine ganz schöne Werbung für das Buch, mit großen rosaroten Buchstaben. Rosarot ist übrigens ein Hinweis auf meine sexuelle Orientierung, für den Fall, dass Sie es noch nicht verstanden hätten.
Auf die Idee wäre ich jetzt auch nicht gekommen.
Nein, nein, das war nur ein Scherz. Ich hoffe, es war nur ein Scherz. Auf dem Schaufenster kann man also in großen rosaroten Buchstaben sehen: „Ein Jude in Neukölln.“ Ich habe davon ein Foto gemacht und es auf Facebook gepostet. Kurz danach meldete sich ein jüdische Bekannter von mir und sagte, dass er ein Unbehagen fühle, wenn er das Wort „Jude“ auf einem Schaufenster sähe. Er hatte automatische Assoziationen zur Pogromnacht. Ehrlich gesagt, habe ich das ein wenig absurd gefunden, aber ich habe nachgedacht und bin darauf gekommen, dass er irgendwie doch Recht hat: Wir sehen das Wort „Jude“ kaum im öffentlichen Raum. Wir sehen das Wort „jüdisch“, zum Beispiel „jüdische Kulturtage“, „jüdische Feiertage“, doch das Wort „Jude“ wird noch immer nicht verwendet. Ich freue mich sehr, dass wir uns am Ende für diesen Buchtitel entschieden haben, denn damit kommt das Wort „Jude“ wieder in den öffentlichen Raum. Ich halte es für etwas ganz Wichtiges, dass wir keine Angst davor haben. Jude zu sein ist einfach normal.
Kommen wir jetzt einmal zur gesamtdeutschen Situation. Haben Sie die Feierlichkeiten zur Deutschen Einheit verfolgt? Fanden sie das irre?
Ich war jahrelang in Ungarn politisch aktiv und bin daher an krassere Umstände gewöhnt. Aber natürlich ist das, was am 3. Oktober in Dresden passiert ist, unglaublich schlimm. Ich sehe aber auch einen Vorteil in diesen Geschehnissen. Jahrelang, als die Türken oder die Roma in Deutschland von den „besorgten Bürgern“ als Schmarotzer bezeichnet wurden, hat die deutsche Mehrheitsbevölkerung – nach meinem Empfinden – nicht viel gemacht. Erst jetzt, wenn ihre offiziellen Vertreter Angela Merkel und Joachim Gauck – zwei Personen, die in ganz vielen gesellschaftlichen Schichten respektiert werden – auf so einem primitiven Niveau angefeindet werden, vielleicht werden die Menschen dann aufwachen und sehen, dass diese „besorgten Bürger“ nicht einfach nur besorgte Bürger sind. Wir sind eher besorgt, dass sie noch mehr Bühne bekommen.
Aber wenn Sie das mit Ungarn vergleichen: Da gab es 20 Jahre nach der Wende einen Prozess, in dem nach und nach Institutionen der liberalen Demokratie auf demokratische Weise aufgelöst, geschwächt oder entmachtet wurden. Also ein Umkippen der Gesellschaft hin zu autokratischen Strukturen. Ist das Aufkommen einer rechten Kultur etwas, das Sie beunruhigt?
Ich wünschte mir, dass es das überhaupt nicht gäbe, aber es hat hoffentlich positive Folgen durch die Sichtbarkeit, die wir jetzt hier haben. Die AfD hat den Rassismus nicht erfunden. Die Leute, die die AfD wählen, waren schon immer rassistisch, aber jetzt wissen wir wieviel Prozent der Bevölkerung rassistisch sind. Vielleicht hilft uns das.
Ist es gut, wenn das offen ist, weil man weiß, mit wem man es zu tun hat oder ist es gefährlich, weil es die Tabus bricht? Diese Tabus haben für die westdeutsche Öffentlichkeit und den innerdeutschen Diskurs eine wichtige Rolle gespielt. Weil man nach dem Krieg gesagt hat: bestimmte Sachen sagen wir nicht mehr, glauben wir nicht mehr, denken wir nicht mehr, machen wir nicht mehr. Das waren Tabus. Wenn die jetzt eines nach dem anderen fallen, dann weiß ich nicht, wo man endet. Ich bin ein großer Freund von Tabus, darauf wollte ich hinaus. Ich möchte gar nicht wissen, ob die Leute Rassisten sind. Die sollen das bitte mit sich abmachen und nicht darüber reden. Ich will es nicht wissen.
Dann sind wir nicht einer Meinung. Ich möchte voranstellen: Ich bin kein Fan von Hendrik Broder, von Nicolaus Fest... Von mir aus können sie schreiben was sie wollen und behaupten, dass die Muslime für alles Schlimme in Deutschland verantwortlich sind. Hauptsache ist, wir nennen das nachher rassistisch. Wir sollen darauf aufmerksam machen, dass das, was sie tun, rassistisch und nichts Neues ist. Die Argumente, die sie benutzen sind ganz ähnlich zu den Argumenten, die vor 100 Jahren gegen die Juden verwendet wurden. Natürlich in anderen Formulierungen. Für mich ist das Wort Rassismus dann kein Tabu und ich verwende das Wort Rassismus sehr gerne, wenn es passt.
Was glauben Sie, warum es einer Mehrheitspresse so schwer fällt, diesem Gedankengang, den Sie geäußert haben, zu folgen? Ich bin leider ganz oft Ihrer Meinung. Diese Idee, dass wir im Prinzip auf die muslimische Migration mit einem rassistischen Grundreflex reagieren, ist eine, die nicht allgemein geteilt wird. Sie werden keine Mehrheit bei den Journalisten finden, die das so sehen wird. Die meisten Journalisten würden sagen: Na ja, wir haben die Probleme mit dem Frauenbild, mit dem Antisemitismus, mit der ungeklärten Gewaltfrage, mit dem politischen Islam. Warum fällt es uns so schwer anzuerkennen, dass wir gegenüber einer fremden Kultur erst einmal instinktiv rassistisch reagieren?
Wir sollten mehr Geschichte lernen. Wie die europäische Mehrheitsbevölkerung jahrhundertelang mit den Juden umgegangen ist. Nicht die Ereignisse, sondern die Haltung. Bis zu den letzten paar Jahrzehnten wurden Juden nie als Teil der Gesellschaft gesehen. Sie wurden manchmal verfolgt, manchmal – im besten Fall – toleriert. Das heißt, sie wurden am Leben gelassen. Aber sie wurden nie als Teil des Abendlandes gesehen. Deswegen finde ich es auch so problematisch, wenn Leute jetzt das christlich-jüdische Abendland verteidigen wollen, weil es nie ein christlich-jüdisches Abendland gegeben hat. Es gab ein christliches Abendland, in dem Juden dann, wie gesagt, bestenfalls toleriert wurden. Das hat natürlich historische Gründe. Europa als Konzept ist durch das Christentum gestärkt worden. Christentum und Europa waren Jahrhunderte lang praktisch Synonyme. Wenn ein König gegen das osmanische Reich gekämpft und gewonnen hat, war das ein Sieg für das Christentum, nicht einfach für diesen König. Alles, was nicht christlich ist, ist fremd und wenn es fremd ist, ist es nicht Teil des europäischen Körpers. Wenn heute Muslime abgewiesen oder im besten Fall toleriert werden, weil Muslime ebenfalls nicht als Teil der Gesellschaft gesehen werden, dann ist das nur eine Folge dieser jahrhundertelangen Andersmacherei. Ich habe manchmal das Gefühl, dass sogar Konvertiten, die von der Herkunft her eigentlich abendländisch sind, nicht als Teil der Gesellschaft gesehen werden. Nach dem Motto: „Ihr seid nicht Teil des europäischen Körpers, ihr seid Gäste.“ Sind wir aber nicht.
Stichwort Assimilation. Das klingt in Ihrem Buch auch an: Eine Strategie jüdischen Lebens und Überlebens in Westeuropa nach der Schoah war Assimilation. Man ging möglichst in Deckung und machte sich als Jude gar nicht kenntlich. Muslimische Migranten und deren Nachkommen sind als Muslime sehr kenntlich. Man hat nicht das Gefühl, dass sie es verstecken. Was lernen diese beiden Minderheiten voneinander? Trennt sie das soziale Gefälle mehr voneinander als dass die gemeinsame Erfahrung von Ausgrenzung miteinander verbindet? Gibt es Solidarität? Sollte es sie geben?
Natürlich sollte es sie geben. Wir sprechen die ganze Zeit darüber, dass es sie geben sollte. Zum ersten Gedankenpunkt: Ich denke nicht, dass die Assimilation der Muslime viel anders wäre als die Assimilation von Juden am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Es gibt mehrere Studien, auch von der Konrad Adenauer-Stiftung, die darauf hinweisen, dass das Tragen des Kopftuchs bei den Muslima in der zweiten, dritten Generation viel weniger präsent ist als in der ersten Generation. Sie meinten, Muslime seien sichtbarer. Ich weiß nicht, wie sie sonst sichtbar sein könnten.
Eine der erfolgreichsten Aktionen der Salaam-Schalom-Initiative war eine kleine Demonstration gegen das Neutralitätsgesetz in Berlin. Das Gesetz verbietet im Namen der staatlichen Neutralität das Tragen von religiösen Symbolen im öffentlichen Amt. Für Richter, Lehrer, Polizisten und so weiter. Für normative, also nicht liberale, Juden und Muslime gibt es keine Alternative dazu, Religiosität mit Symbolen auszudrücken, weil das religiöse Gesetz es vorschreibt. Das Tragen einer Kippa oder eines Kopftuchs wird von ganz vielen traditionellen religiösen Menschen nicht als eine Empfehlung wahrgenommen, sondern als eine Pflicht. So eine Pflicht haben die Christen, besonders die lutheranischen Christen, die die Mehrheit in Berlin bilden, nicht. Das lutheranische Christentum setzt den Fokus auf den inneren Glauben. „Sola fide“ lautet ja das Schlagwort der Lutheraner; allein durch Glauben komme die Erlösung. Deswegen ist dieses Konzept staatlicher Neutralität, das das Neutralitätsgesetz erfordert, auch nicht religiös neutral. Das Gesetz ist in einem lutheranischen Kontext entstanden und spiegelt lutheranische Normen wider, die für uns Juden und Muslime nicht anwendbar sind. Deswegen war unsere Demonstration im Sommer 2015 von mehreren jüdischen und muslimischen Organisationen gleichzeitig unterstützt. Auf der Liste der Unterstützer stand zum Beispiel Chabad, der in Fragen von Israel und Palästina eine ziemlich rechtsorientierte Position vertritt und die islamische Gemeinschaft Millî Görüş, die absolut antizionistisch ist. Aber zu diesem einen Anlass haben sie gemeinsam protestiert, weil sie dieses Konzept von Neutralität beide gemeinsam betrifft und weil die Angehörigen beider Gemeinden dadurch diskriminiert werden.
Zur Ehrenrettung der Institution: Von jüdischer Seite kommt jetzt immer die Warnung: glaubt nicht, dass ihr als Juden vor den neuen Rechten sicher seid, nur weil sich deren Hass jetzt gegen die Muslime richtet. Glaubt nicht, dass der Antimuslimismus bei den Muslimen Halt macht; wir sind dann auch wieder die Nächsten. Weil es Leute gibt, die sagen, bei der Feinschaft gegen den Islam könne man sich treffen, aber da gibt es gerade von institutioneller Seite Leute, die sagen: Halt, stopp, wir lassen uns hier nicht eingemeinden in irgendeine Abgrenzung gegen den Islam. Ich glaube, dass sich gerade der Jüdische Zentralrat da ganz klar geäußert hat.
Ich würde jetzt auch nicht sagen, dass Josef Schuster eine negative Figur in dieser Geschichte sei. Er hat ganz oft ganz klar die AfD und Pegida verurteilt. Auch schon ganz am Anfang, als einige Journalisten und Politiker noch davon geredet haben, diese Leute würden sich Sorgen um ihren Wohlstand machen. Er hat die Pegida-Bewegung schon damals verurteilt und dafür hat er auch meinen Respekt. Obwohl die neue Rechte nicht so viel über Juden redet, redet sie doch viel über den Staat Israel als die letzte Bastei des Westens gegen die islamischen Horden. Ich würde Filip Dewinter aus Belgien und Marie Le Pen daher nicht als philosemitisch, sondern als rechtszionistisch bezeichnen. Heute kritisieren sie zwar die Muslime und ihre Praktiken, aber morgen werden wir dran sein. Dewinter, der ehemalige Vorsitzende von Vlaams Belang, hat sogar gesagt, dass er ein Problem damit hat, wenn muslimische Männer den Frauen nicht die Hand reichen, aber kein Problem damit hat, wenn Juden das nicht tun. Belgien hat ja eine politisch aktive, ultraorthodoxe Gemeinde und in der jüdischen Bevölkerung in Belgien ist dieser Vlaams Belang, diese rechtsnationalistische Partei, ziemlich populär. 15 Prozent der Juden haben bei den letzten Parlamentswahlen in Belgien Vlaams Belang gewählt, obwohl sie in der ganzen Bevölkerung nur drei, vier Prozent der Stimmen geholt haben. Das finde ich bedrohlich. Wir als Juden sollten realisieren, dass die neuen Rechten nicht unsere Verbündeten sind, auch wenn sie jetzt versuchen ganz nett zu uns zu sein.
Wie geht es jetzt mit Ihnen weiter? Was machen Sie jetzt so?
Ich habe ein Buch geschrieben. Es ist eigentlich nicht so schlecht, also ich empfehle es Ihnen. Ich studiere noch, denn ich habe nicht nur mein Rabbinerseminar gemacht, sondern parallel dazu studiere ich an der Uni Potsdam. Noch ein Jahr, dann bin ich fertig und werde mein Studium zum Rabbinat fortsetzen. Ich stehe schon in Kontakt mit einem anderen Rabbinerseminar, das mit offenen Armen auf mich wartet.
Sie wollen also immer noch Rabbiner werden und so Gott will, werden Sie auch Rabbiner werden.
Mit Gottes Hilfe, ja.
Wenn Sie dann Rabbiner sind, werden Sie nach Berlin zurückkommen oder nicht? Wollen Sie hier leben?
Es wird mir sehr schwer fallen, Berlin zu verlassen, bis mein Studium beendet ist und ich ordiniert werde. Ich werde alles versuchen, um nach Berlin zurückkehren zu können.
Ich könnte mir vorstellen, dass die Stadt Sie gut gebrauchen kann.
Was ist Ihre Meinung?
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