Klaus Theweleit im Gespräch mit Jakob Augstein: „Helden sind dumme Menschen“
Interview Klaus Theweleit ist besorgt, dass der Krieg in der Ukraine auch die Gesellschaft hierzulande militarisiert. Passierte dies, hätte das schlimme Folgen für Frauen. Welche das sind, darüber sprach der Kulturwissenschaftler mit Jakob Augstein
Klaus Theweleit im Gespräch: „Soldaten sind Mörder – Tucholskys Satz, der gilt für mich nach wie vor“
Foto: Phiilipp Plum für der Freitag
Männer müssen im Krieg für den Kampf diszipliniert werden, als Folge nimmt Gewalt gegen Frauen zu. Kaum einer hat das so gut beschrieben wie Klaus Theweleit. In Männerphantasien zeigte er, wie der Typus des „soldatischen Mannes“ mit patriarchaler Gewalt zusammenhängt. Seit dem 24. Februar 2022 tobt wieder ein Krieg in Europa. Welche Folgen hat das für emanzipierte Gesellschaften? Jakob Augstein hat den Kulturwissenschaftler befragt.
Jakob Augstein: Herr Theweleit, darf ich Ihnen einen Satz vorlesen? Er lautet: „Wir sollten damit rechnen, dass, wer in krisenhaften Zeiten Verantwortung übernehmen will, leuchtende Ideale und eine gesunde Härte gut brauchen kann.“
Klaus Theweleit: Der stammt glücklicherweise nicht von mir.
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Klaus Theweleit: Der stammt glücklicherweise nicht von mir.Das stand im „Spiegel“ ...Sehen Sie! In der deutschen Öffentlichkeit sind Begriffe ins Rutschen geraten. Ein taz-Interview mit Joschka Fischer, zwei Monate nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, hat mich auch entsetzt. Da sagte er, dass wir „jetzt im Schnellgang erwachsen werden“ müssen. Da dachte ich, wow, das ist ein Stich ins Herz und ins Hirn!Warum?Weil das ein klarer Kriegsaufruf von Fischer war. Der deutsche Weg des Erwachsenwerdens war für Männer traditionell der Kampf auf dem Schlachtfeld. Und bevor hierzulande die Diskussion über Waffenlieferungen losging, hatte unser ehemaliger Außenminister schon mal dieses Schild hingehängt: Krieg führen, Helden werden – so machen wir das jetzt.Sind Helden nicht was Schönes?Ein Held zu sein ist eine Form von Dummheit.Ist Wolodymyr Selenskyj ein Held?Ich würde dieses Wort nie verwenden. Ich mag ihn einfach nicht. Die Standing Ovations, die er überall kassiert, wo er auftritt, sind mir unbegreiflich. Ich begreife diese Sorte von Show nicht, die da gemacht wird.Ist er ein gebrochener Held?Überhaupt nicht. Ein gebrochener Held wäre eher Humphrey Bogart. Film Noir. Wenn überhaupt Helden, dann solche.In den 90er-Jahren hat man in Deutschland noch über diesen Tucholsky-Satz gestritten: „Soldaten sind Mörder.“Der gilt für mich nach wie vor.Verändert sich dieses alte Bild des Militärischen gerade bei uns?Doch, ganz offensichtlich. Als Jörg Baberowski in einem Interview gefragt wurde, wie er die deutsche Debatte über den Krieg empfände, hat er wörtlich gesagt: „Mich verstört das patriotische Geschrei, das Lob des Krieges, das in Deutschland wieder angestimmt wird. Die Wehrdienstverweigerer und Pazifisten von gestern sprechen von Völkern, tapferen Männern, schwenken Fahnen. Ich mag mich an diese Sprache nicht gewöhnen.“Und Baberowski ist jetzt nicht gerade als Linker bekannt ...Das ist ja das, was ich meine: Gegen das Kriegsgeschrei zu sein, wie er es nennt, ist keine linke Position. Mich hat der Überfall von Putin sprachlos gemacht, weil ich bis zur letzten Minute steif und fest behauptet habe: Das macht der nicht, so dämlich kann er nicht sein. Meine Reaktion nach dem Angriff war: Du hast dich dermaßen getäuscht, jetzt musst du erst mal die Klappe halten.Sie haben bei der Verleihung des Adorno-Preises Ihre Frau zitiert: „Männer werden durch Frauen zivilisiert – egal wo auf der Welt.“ Sind Frauen die besseren Menschen?Ach, das weiß ich nicht. Auf jeden Fall sind sie im Schnitt weniger aggressiv und im zivilen Verhalten meist klüger.Und Männer sind immer toxisch?Würde ich so nicht sagen. Das ist ja kein einheitlicher Block. Die Männer, mit denen ich zu tun habe, sind alle ganz nett und friedlich. Aber wenn Fischer und andere wollen, dass wir durch Krieg wieder erwachsen werden, frage ich mich schon, ob die nicht in der Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung waren. Haben die dort nicht gesehen, was ein Vernichtungskrieg bedeutet? Das sind für mich Wahnsinnige.Sind Pazifismus und Feminismus heute noch eine Denkrichtung?Hm, weitgehend schon. Aber ich habe noch ein anderes Zitat parat, diesmal von Friedrich Küppersbusch: Der spricht von der „Ernüchterung“, weil Deutschland noch nie an so vielen Kriegen beteiligt war wie unter Merkel, Kramp-Karrenbauer, Lamprecht, von der Leyen und so weiter. Nur weil eine Frau Kriegsministerin oder Kanzlerin wird, ist dieses Amt noch nicht weiblich. Wir haben gelernt, dass Frauen sich den Institutionen anpassen, nicht umgekehrt. Annalena Baerbock würde viele Sachen ganz anders sagen, wenn sie nicht Außenministerin wäre.Vielleicht sind Frauen aber genau solche Arschgeigen wie Männer?Einige bestimmt. Auf der Ebene des Redens unterscheiden sich Männer und Frauen wirklich kaum. Baerbock spricht ja auch nicht viel anders als die Kriegsmänner. Aber wenn es ganz konkret ums Kämpfen geht, ist der Unterschied immer noch total. In der Ukraine, und bei fast allen anderen Kriegen auf der Welt, kämpfen fast nur Männer. In Männerphantasien habe ich die Mordlust der Freikorps und der SS beschrieben. Diese Typen haben Spaß am Töten, so wie der islamische Staat gerne Köpfe abgeschnitten hat. Aber ich habe erst relativ spät, nachdem ich das Buch geschrieben hatte, verstanden, warum Frauen an den Kampfhandlungen fast nie beteiligt sind: Weil die Männer nicht wollen, dass ihre Schwestern und Ehefrauen sehen, wie sie Leute abmurksen und Babybäuche aufschlitzen. Sie wollen nach Hause kommen und von ihnen umsorgt oder sexuell behandelt werden. Deswegen machen Frauen bis heute nur fünf Prozent bei den weltweiten Metzeleien aus.Baerbock will feministische Außenpolitik machen. Was stellen Sie sich darunter vor?Nichts.Nichts?Nichts. Ich kann mir nicht vorstellen, was das sein soll. Feministisch kann man innerhalb einer Partei sein: mit Quotenregelungen, Ämterverteilungen und was weiß ich noch alles. Aber international? Will Baerbock den Iranern sagen, wir können nicht mehr mit euch reden, weil ihr keine Frauen in der Regierung habt? Wir brauchen Kooperationen mit anderen Ländern, besonders beim Klimaschutz.Frau Strack-Zimmermann, die Flakhelferin der FDP, sagt immerzu, dass uns Putin für Weicheier hält. Deswegen bräuchten wir ein härteres Kanonenrohr als er ...... und ein längeres.Merkt sie denn nicht, in was für eine verbale Ecke sie sich da begibt?Zumal wir diese Debatte in den 70ern und 80ern schon hatten: Pazifisten sind Warmduscher.Warum haben wir seitdem nichts dazu gelernt?Das weiß ich nicht.Wie jetzt? Sie beschäftigen sich seit 40 Jahren mit dem Thema.Aber was ich nicht erklären kann, kann ich nicht erklären. Wir haben bis vor Kurzem in einem Land gelebt, in dem der Nationaltrainer Jogi Löw öffentlich Warmduscher verteidigt hat. Und irgendwie ist das jetzt vorbei.Aber wir können uns doch nicht jahrelang über Putin lustig machen, der mit nacktem Oberkörper und Messer im Mund auf einem sibirischen Tiger sitzt, und jetzt genauso werden wie er. Jetzt sollen wir bei Kälte wieder nackt rausgehen, um uns abzuhärten?!Ich glaube nicht, dass jemand das ernsthaft fordert.Doch, doch. Ulf Poschardt sagt solche Sachen.Ach, ich weiß auch nicht, warum der so ein Knallkopf geworden ist. Der muss ja auch immer 200 Stundenkilometer unterm Arsch haben, wenn er durchs Land reist.Poschardt sagt, Deutschland sei in der Nachkriegszeit unter dem Schutz der NATO schwach geworden. Und jetzt würde uns Putin zum Frühstück essen, während wir auf evangelischen Kirchentagen harmlose Reden halten.Und, was soll ich dazu noch sagen?Sie könnten beantworten, ob es daran liegt, dass vielen Leuten langweilig geworden ist. Die haben jahrelang ihre Wahlentscheidung daran festgemacht, ob die Berliner Friedrichstraße eine Fahrradzone wird, und freuen sich jetzt, dass es in der Ukraine wieder um was Wichtiges geht.Kann schon sein. Obwohl ich das meiste für Gerede halte. Keiner von den Poschardts, Fischers und Co. würde selbst, wie Putin, mit nacktem Oberkörper in einen kalten russischen See springen. Das ist nur Gequatsche.Warum kämpfen diese Leute nicht selber? Sascha Lobo an die Front! Oder ist das unfair?Das ist überhaupt nicht unfair. Das würde ich ihnen auch gerne sagen: Na, dann kämpft doch! Geht doch dahin, los, schmeißt euch in einen Graben und bekämpft die von Putin losgejagten jungen Russen.Viele sagen, Putin verachte den Westen für dessen Schwäche.Soll er doch. Ist doch scheißegal.Wir waren mal weiter, oder? Wir wollten dem destruktiv Männlichen eine andere Erzählung entgegensetzen. Nun verteidigen wir unsere Werte gegen Putin – indem wir sie seinen anpassen.Genau. Ich erinnere mich an Schüler in den 90er-Jahren, die auf dem Schulhof zu Mitschülern gesagt haben: „Du bist voll der Held“. Damit wollten sie sagen, du bist ein lächerliches Arschloch.Heute sagt man, du bist voll das Opfer, wenn man einen Mitschüler beleidigen will.Ich kriege nicht mehr so viel mit davon, was auf den Schulhöfen abläuft. Und es sind ja Kinder. Aber dass die Alten genauso reden – Leute meiner Generation oder zehn Jahre jünger –, dafür habe ich keine Erklärung.Auch die Intellektuellen sind nicht immun dagegen. Deniz Yücel hat auf einer Podiumsdiskussion eine Flugverbotszone über der Ukraine gefordert – was gleichbedeutend mit einer militärischen Verwicklung der NATO in diesen Krieg wäre. Und das hat seinem Ansehen nicht geschadet.Bei mir schon.Wäre es nicht an der Zeit, laut zu deklamieren: Im Krieg gibt es keine Guten!Natürlich. Ein anderer bekannter Satz lautet: Im Krieg gibt es keine Helden. Wer abgekratzt ist und verbuddelt wird, an den erinnert sich niemand mehr. Aber die Ukrainer haben natürlich trotzdem ein Recht darauf, sich zu verteidigen. Es wäre dumm und peinlich, das in Abrede zu stellen. Man darf nur nicht vergessen: Unsere Gesellschaft ist weniger hierarchisch und dafür weiblicher geworden in den letzten Jahrzehnten. Die alten Gegenüberstellungen waren: Mann-Frau-Vorgesetzter. Diese rigide Struktur ist bei uns aufgeweicht. Aber durch das Kriegsgeschrei wird dieser Fortschritt gerade kaputtgemacht. Militärische Gesellschaften sind immer hierarchisch und männlich. Wollen Sie wissen, was ich höre, wenn die Leute nach mehr Waffen schreien? Den Ruf danach, unsere innergesellschaftlichen Freiheiten kaputtzumachen. Darüber lohnt es sich zu reden.Sprechen wir deswegen nicht darüber, weil die meisten denken: Die Ukrainer und wir stehen auf der richtigen Seite und deswegen sind wir vor den negativen Auswirkungen des Krieges immun?Aber das wäre naiv. Ich habe letztens in einer Zeitung über einen ukrainischen General gelesen, der gefragt wurde, was er machen würde, wenn er drei Wünsche frei hätte. Und nach einiger Überlegung antwortete er, er wolle an einer Siegesparade auf dem Roten Platz teilnehmen – und das drei Mal! Das ist doch der absolute Wahnsinn. Der wollte echt, dass die Ukraine in Moskau einmarschiert, und fand das auch noch witzig. Es gibt ja auch noch das Beispiel, wo Cem Özdemir gesagt hat, den IS würde man nicht mit der Yogamatte unter dem Arm besiegen.Das Auswärtige Amt hat mal ein Leoparden-Emoji getwittert und fand das sehr lustig.Und die taz hat Olaf Scholz nach der Leopard-Entscheidung als „Bundespanzler“ bezeichnet.Schreiben Sie jetzt wieder ein Buch über Männer und Krieg?Nein.Warum nicht?Weil ich andere Sachen im Kopf habe. Ich lasse mich nicht von jedem scheiß Krieg ablenken von dem, was ich machen will.Womit beschäftigen Sie sich denn gerade?Im April erscheint ein Buch von mir über Die Erfindung des Vokalalphabets. Und ich schreibe an einer Kulturgeschichte des Romans, ausgehend von Freud. Da liegen schon ein paar hundert Seiten auf meinem Schreibtisch.Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1