Kraft der Kontrolle

Whistleblowing Zukunft des Leaking: Wenn die Sicherheit der Plattformen allein von der Willkür ihrer Macher abhängt, schwindet das Vertrauen

Julian Assange kann einen Fehler machen. Leaking-Plattformen können selber leckschlagen. Wissen wir damit etwas Neues? Nein. Menschenwerk ist anfällig für Fehler. Nach allem, was wir von dem Australier wissen, der im vergangenen Jahr mit der Enthüllung der US-Botschaftsdepeschen für eine Erschütterung der westlichen Welt gesorgt hat, handelt es sich um einen schwierigen Menschen. Aber selbst wenn er ein Padre Pio redivivus wäre, müsste für ihn gelten: Auch die Kontrolleure müssen kontrolliert werden. Wie steht es um diese Kontrolle? Das ist eine Frage, die Wikileaks und alle anderen Leaking-Plattformen beantworten müssen.

Vor zwei Wochen wurde durch eine Veröffentlichung im Freitag bekannt, dass die unredigierte Originaldatei der US-Botschaftsdepeschen sowie das zugehörige Passwort offen zu Tage lagen. Bisher waren nur Auszüge aus dieser Datei veröffentlicht worden. Aber ein Leck bei Wikileaks und der sorglose Umgang mit dem Passwort hatten dafür gesorgt, dass alle Daten in Umlauf kamen.

Über Assange brach ein Unwetter herein. Er wurde durch die Straßen der Medien geschleift wie alle, die sich seit der Bergpredigt den Vorwurf gefallen lassen müssen: „Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?“ Wem das Leaking noch nie gepasst hatte, der hatte es jetzt leicht, auszuteilen: „Auch im Internetzeitalter gehen größenwahnsinnige Weltverbesserer über Leichen“, ätzte Jasper von Altenbockum in der FAZ. Andersherum wird ein Schuh aus der Sache: Assange und alle Leaking-Plattformen, auch das deutsche Alternativmodell Openleaks, mit dem der Freitag kooperiert, müssen die Leakingidee weiterentwickeln und besser machen.

Die Schwäche von Wikileaks ist die Stärke seines Chefs: Die Plattform ist auf ihren Anführer ausgerichtet. Wikileaks hatte zu wenig Checks und Balances, die für funktionierende, auf Dauer ausgelegte Institutionen unabdingbar sind. Wikileaks muss sich reformieren. Das bedeutet, dass Assange sich selber entmachten muss. Keine einfache Sache für einen genialen Einzeltäter. Openleaks und alle anderen Plattformen müssen lernen: Wenn die Sicherheit der Daten von der Willkür der Macher abhängt, wird das Vertrauen der Whistleblower schwinden. Openleaks will einen anderen Weg gehen als Wikileaks: Die Daten sollen von der Quelle zum Empfänger weitergereicht werden. Die Idee ist gut. Aber ist dabei gewährleistet, das Openleaks selber keinen Zugriff auf die Daten hat? Solange diese Frage nicht geklärt ist, bleibt Openleaks ein Projekt im Werden.

Um das kostbare Gut der Information ist ein Kulturkampf entbrannt, wie ihn einst die Kirche mit dem Staat aus­gefochten hat. Heute ficht ihn der Staat mit den Bürgern aus. Und spätestens seit der Irak-Lüge der USA ist offenbar, dass nicht nur Diktaturen ihre Bevölkerungen mit Informationen manipulieren. Im Streit um die Wikileaks-Veröffentlichungen des vergangenen Herbstes wurde klar, dass sich in diesem Kampf längst nicht alle Medien auf die Seite der Bürger stellen. Um so dringlicher brauchen wir funktionerende ­Leaking- Plattformen. Es war nicht hilfreich, dass Assange und Openleaks-Gründer Daniel Domscheit-Berg sich in wechselseitige öffentliche Vorwürfe gestürzt haben. Liebe und Rache, Eitelkeit und Enttäuschung sind starke Triebkräfte. Der Sinn der Institutionen besteht darin, solche Kräfte einzuhegen. Wenn die Leaking-Plattformen ihr Versprechen auf Transparenz und Demokratie halten wollen, dann sollten sie von den Institutionen lernen, die sie kontrollieren.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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