Merkels Krieg und Krise

Afghanistan Das Massaker von Kundus wird zum Debakel für die Kanzlerin. Mit der Politik des Aussitzens kommt sie hier nicht durch

"Ich stehe dafür ein, dass wir nichts beschönigen werden", hat Angela Merkel im Bundestag nach den verheerenden Bomben von Kundus gesagt. Es war eine Regierungserklärung, für die sie von ihren Journalisten heftig gelobt wurde. Angela Merkel hat ja, wie einst Helmut Kohl, ihre eigenen Journalisten. Sie unterscheidet sich von Kohl darin, dass sie viel weniger Feinde hat. Nun ist nicht nur beschönigt worden. Es wurde gelogen. Vor den Medien. Vor den Parlamentariern. Steht Merkel dafür ein? Und was bedeutet es bei dieser Kanzlerin, wenn sie für etwas einsteht? Angela Merkels Strategie, die Dinge im Ungefähren zu lassen, den Konflikten auszuweichen, wird auf eine harte Probe gestellt werden. Kriege sind so. Sie widersetzen sich den langsam zuwartenden Bewegungen des postdemokratischen Politmanagments.

Merkel hat sich keinen Gefallen getan, als sie in in ihrem patzigen Gouvernanten-Ton all jenen über den Mund fuhr, die nach Verhältnis- und Rechtmäßigkeit jener Bomben fragten: Dieses „Ich verbitte mir so etwas, von wem auch immer, und zwar im Inland genauso wie im Ausland“ fällt jetzt auf sie zurück. Viel zu lange hat sie an Franz Josef Jung festgehalten, der in seinem Amt über wenig Verstand und gar kein Glück verfügte und dessen einzige Befähigung für den Posten des Verteidigungsministers darin bestand, umgänglich und loyal zu sein. Diese Feigheit vor dem Freund entlarvt eine schwache Kanzlerin.

Werden die Zeitungen diese Schwäche bloßstellen und die Entzauberung ihrer Kanzlerin Merkel zulassen? Denn dass sehr viele Medien dieser Kanzlerin in großer Kontinuität die Treue gehalten haben, daran kann es ja keinen Zweifel, darüber kann es nur Erstaunen geben. Aber gerade in Afghanistan haben sich die Medien in eine Mithaftung begeben, der sie sich kaum stellen werden und die sie daran hindert, endlich einen klaren Blick für die deutsche Verstrickung in diesen sinnlosen Krieg am Hindukusch zu bekommen.

Viel zu lange haben sich die außenpolitischen Redaktionen – quer durch alle Zeitungen und Sender – mehr oder weniger bedingungslos hinter die Afghanistan-Politik der Bundesregierung gestellt. Sie haben dabei ihre Glaubwürdigkeit verloren, so, wie die US-Medien die ihre im Irak-Krieg verloren. Dort hat man sich „embedden“ lassen – was in der Tat am besten mit der Formulierung zu übersetzen ist, dass einstmals stolze Institutionen des Journalismus von Generälen und Politikern zu Bett gebracht wurden. Hier war das gar nicht nötig. Hier hat die Elite der außenpolitischen Berichterstatter gleich und ohne Not das Lied der neuen deutschen Verantwortung gesungen, die nun auch eine militärische Dimension erhalte. Zwischen den Zeilen fand sich eine sonderbare grimmige Erleichterung darüber, endlich zu sein wie die anderen: vom Krieg beschmutzt und frei von der Last jeder moralischen Pflicht der Vergangenheit. Diese Freude, sich endlich als vollwertiger Hoplit in die bewaffnete Phalanx der atlantischen Verbündeten reihen zu dürfen, war in den vergangenen Jahren bei deutschen Politikern, Generälen und Journalisten geradezu greifbar.

Um so peinlicher, dass die erste Kritik an Kundus von den Verbündeten kam und dass Merkel sich genötigt sah, die deutschen Soldaten gegen das Ausland in Schutz nehmen zu müssen. Um so peinlicher, dass Selbstverteidigungsminister Jung sich in der Tanklastzugaffäre öffentlich in Widerspruch zu US-Befehlshaber McChrystal brachte. Und um so peinlicher, dass nun ausgerechnet die Deutschen für den schwersten Vorfall in Afghanistan seit langer Zeit verantwortlich sind und von seiner Aufarbeitung offenbar vollkommen überfordert waren: Bis Minister Guttenberg die Notbremse zog, waren der Regierung nur Lügen eingefallen. Und noch ist nicht sicher, ob Guttenberg selbst unter den rollenden Zug der Affäre gerät. Immerhin fand er den Angriff „angemessen“.

Ähnlich überfordert wie das befehlende Berlin war zuvor in Afghanistan der bombende Oberst Klein und seine Gesellen. Gab es andere Möglichkeiten, der Gefahr zu begegnen, die von diesen Tanklastzügen ausgehen konnte? Mit den Kampf-Flugzeugen in geringer Höhe über die Köpfe der Menschen rasen, Warnschüsse abgeben, befreundete Truppen herbeirufen, die Lage beobachten und abwarten, was dort unten geplant wird ... Oberst Klein hat das alles verworfen. Und, wie man jetzt weiß, selbst die US-Piloten über die Lage am Boden getäuscht. Es wird, so sieht es aus, viel gelogen in diesem Krieg, an der Front und in der Heimat. Als die Bild den Verteidigungsminister Guttenberg fragte, ob er denn seinen Generälen jetzt noch traue, sagte er: „Ich habe von Anfang an klargemacht, dass ich hohe Ansprüche an Loyalität und Transparenz nach innen wie außen habe, und ich habe den Eindruck, dass dies inzwischen nachhaltig verstanden worden ist.“ Das klingt nicht sehr ermutigend. Die Generäle haben offenbar Mühe mit Loyalität und Transparenz.

Ob Deutschland tatsächlich Verantwortung übernimmt, wie seine Kriegspolitiker tönen, ob Armee und Politik und Öffentlichkeit für diese „neue Rolle“ gewappnet sind, wird sich daran zeigen, wie diese Affäre zu Ende geführt wird. Bisher sieht es nicht gut aus. Übrigens: Wenn der Angriff von Kundus kein Kriegsverbrechen war, wofür gibt es dann den Begriff?

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