Musik sei wie tönende Luft, mit diesem schönen Satz zitiert Igor Levit im Salon-Gespräch mit Jakob Augstein den von ihm sehr geschätzten Komponisten Ferruccio Busoni (1866 – 1924). Als es im ersten Lockdown nicht nur in den Konzerthäusern beklemmend still wurde, setzte Levit sich Abend für Abend um 19 Uhr zu Hause an den Flügel und übertrug sein Spiel live auf Twitter. Für diese besondere Form der Corona-Hilfe und sein Engagement gegen Antisemitismus bekam er das Bundesverdienstkreuz verliehen.
Jakob Augstein: Igor, spielst du wieder auf Twitter?
Igor Levit: Hin und wieder. Für Konzerte fehlt mir ehrlich gesagt die Kraft.
Aber damals haben sie dir Kraft gegeben.
Ja, so war es. Wir beide haben uns ja oft über Twitter unterhalten. Für mich war es mal ein Spaß-Medium, mal ein Wut-Medium. Aber mit diesen Konzerten habe ich es für mich in noch etwas ganz anderes verwandelt. Mich hat das vor einem mentalen Absturz bewahrt, das muss ich wirklich so sagen.
Konnte das virtuelle Publikum das reale ersetzen?
Mir war immer egal, für wen ich spiele und vor wie vielen Menschen. Und wo ich spiele, ist auch egal. Wichtig ist nur, dass überhaupt jemand zuhört.
Aber das Internet ist schon erschreckend, oder? Man ruft ins Nichts hinaus und weiß gar nicht, ob überhaupt jemand zuhört.
Ja, absolut. Ob du einen Follower hast oder 50 Millionen, du schreibst etwas und gibst jede Kontrolle darüber ab, wer es liest.
Auch vor deinen Konzerten bist du im Netz als öffentliche Person in Erscheinung getreten. Du gibst sehr viel von dir selbst preis, man hat den Eindruck, dir dort tatsächlich nahezukommen. Was bedeutet es für dich, auf dieser Plattform aktiv zu sein?
Es bedeutet für mich, dass ich meine Geschichte selbst erzählen kann. Das ist Emanzipation und Befreiung. Und das ist gleichzeitig auch gefährlich. In den letzten Wochen war ich manchmal an dem Punkt, wo ich sage: Ich will nicht mehr. Ich kommuniziere immer sehr direkt und persönlich. Auf allen Ebenen. Mit meinen Freunden, in den sozialen Medien, auf der Bühne. Wenn mir jemand substanziell wehtut, mache ich die Tür zu. Bis dahin habe ich Vertrauen. Aber es macht sich ein unangenehmer Zeitgeist breit: die Empathie und die Bereitschaft, jemanden einfach sein zu lassen; ihm Raum zu geben, ohne gleich ins „Ja, aber“ zu gehen, nimmt brutal ab. Ich habe für mich entschieden, dass ich auf Twitter bleibe, aber ich rede da nur noch über Musik oder Kochen, also Dinge, die mir gute Laune machen.
Hat Corona die Lage noch schlimmer gemacht?
Ja, Corona spaltet. Es geht gar nicht um den Streit zwischen pro oder kontra Lockdown. Wer findet, man müsse gegen dieses Virus nichts unternehmen, spinnt und interessiert mich gar nicht. Es geht um etwas anderes. Wenn ich sage: Mir geht es in dieser Lage nicht gut, dann reagieren manche meiner Freunde mit einem aggressiven: Und was schlägst du stattdessen vor? Das greift mich sehr an. Es gibt eine merkwürdige Empathielosigkeit, manchmal ein geradezutotalitäres Gerede. Viele Leute werden plötzlich so hart. Wenn dir das Gefühl abhandenkommt für die seelische Lage deines Gegenübers, dann wird es gefährlich.
Du hast vor einigen Jahren damit begonnen, vor Konzerten regelrechte Statements zu Themen abzugeben, die nichts mit dem Konzertabend zu tun hatten. Das war auch ein ungewöhnlicher Akt, ungefähr so, wie über Twitter Konzerte zu geben.
Das erste Mal war in Brüssel 2016, am Tag nach der Trump-Wahl, und mir kochte einfach der Topf über. Ich musste etwas sagen. Warum auch nicht? Konzertsäle waren schon immer auch Räume des Austauschs. Aber ich habe es danach nicht übertrieben damit. Ich zwinge den Leuten ja etwas auf, für das sie nicht gekommen sind. Wenn dann einer sagt: „Ich will Musik!“, dann hat er recht. Ich bitte ihn nur, mich kurz auszuhalten. Mehr nicht.
In der „Süddeutschen Zeitung“ stand neulich ein Artikel, der behauptete, dein Ruhm rühre nicht vom Klavierspiel her, sondern von deinen politisch willkommenen Äußerungen im Netz. Ärgert dich das?
Wenn da nur das gestanden hätte, nein. Es ging mir auch nicht nur um den Antisemitismus in diesem Text. Das Verletzende war, dass ich im Ganzen zum Fake erklärt wurde. Man soll meine Musik kritisieren – oder meine Tweets, aber wenn man meine gesamte Integrität infrage stellt, geht das zu weit.
Ist es nicht schrecklich, dass man so verletzbar ist, selbst durch Leute, die einem nichts bedeuten?
Ich will nicht abstumpfen. Manchmal, wenn ich angegriffen werde, sagt ein Freund zu mir: Wehr dich nicht, damit machst du die Sache nur größer. Aber wir leben in einem Land, in dem mehr als überall sonst der Satz gilt: Wehret den Anfängen. Keine Wunde kann so klein sein, dass man sich nicht dagegen wehren muss.
Du hast nach dem Artikel in der „SZ“ gesagt, schon seit ein paar Jahren habest du das Gefühl, dass deine Identität in diesem Land infrage gestellt werde. Früher sei das nicht so gewesen. Ist das richtig? Oder hast du es früher nicht wahrgenommen?
Ganz, ganz sicher Letzteres. Ich habe mit 24 Sachen bemerkt, die ich mit 15, 16 nicht bemerkt habe. Weißt du, ich will nicht anfangen, von „den“ Deutschen zu reden. Das ist eine Formulierung, die mir wirklich nicht schmeckt. Aber wenn ich in diese Situation gezwungen werde, muss ich mich auch damit auseinandersetzen. Ich möchte nicht, dass mich jemand fragt, ob Israel mein Zuhause sei. Ich möchte nicht, dass mir jemand sagt, dass ich einen ganz tollen Bach spiele, obwohl mir doch eigentlich kulturell der Hintergrund dafür fehlt. Ich muss dann immer an diese großartige Szene aus dem dritten Pate-Film denken, wo Al Pacino einem Attentat entgeht und in der Küche steht und sagt: „Just when I thought I was out, they pull me back in!“
Aber fühlst du dich denn sozusagen als PoC, wie das heute heißt?
Ich kapituliere vor der Frage.
Warum? Weil die Antwort gefährlich sein könnte?
Jeder hat seine eigene Deutungshoheit darüber, als was sie oder er sich sieht. Und ich fühle mich als Angegriffener. Als jemand, der immer und immer wieder in Situationen gebracht wird, sein Dasein rechtfertigen zu müssen.
Zur Person
Igor Levit, 33, wurde in Nischni Nowgorod geboren und wuchs in Hannover auf. Der Pianist und Hochschulprofessor tritt in den renommiertesten Konzerthäusern der Welt auf, setzte sich aber auch im Dannenröder Forst ans Klavier, um den Protest zu unterstützen. Mehrere Alben sind von ihm erschienen, darunter Bachs Goldberg-Variationen und Rzewskis The People United Will Never Be Defeated! sowie Beethovens sämtliche Klaviersonaten. Levit lebt in Berlin
Du hast vor ein paar Jahren irrsinnig viel abgenommen, 30 Kilo oder so. Warum macht man das? Da ist man ja nachher buchstäblich ein anderer Mensch.
Absolut. Ich musste so ziemlich alles neu lernen. Bis hin zum Am-Klavier-Sitzen. Es war reine Eitelkeit. Ich wollte einfach schönere Klamotten tragen. Aber darüber hinaus hatte das sicher auch mit einem Hauptthema in meinem bisherigen Leben zu tun. Ich nenne das Schichtenabtragen. Ich war früher extrem vorlaut und gleichzeitig extrem unsicher. Es gab Jahre, da bin ich ohne Anzug, Krawatte und Einstecktuch nicht zum Bäcker gegangen. Ich hatte immer das Gefühl, ich muss einen Panzer tragen. Ich muss mich rechtfertigen. Immer. Außer beim Klavierspielen. Und dieses Gefühl habe ich im Laufe der Jahre Stück für Stück abgetragen.
Was hat das Gewichtabnehmen fürs Klavierspielen bedeutet?
Ich konnte keine halbe Stunde spielen, weil ich keine Kondition mehr hatte. Und ich musste auch lernen, mit diesem dünnen Körper umzugehen. Wie atmest du? Wie hebst du deinen Arm? Wie bewegst du deinen Körper?
Hat es das Spiel selber verändert?
Ja. Viel freier und schneller.
Ich hab dich spielen sehen. Da ist sehr viel Körpereinsatz.
Ja, ich bewege mich sehr viel am Klavier. Nacken und Schultern sind frei. Ich bin tief unten, aber hier (zeigt auf seine Schultern) gibt es keinen Druck. Wenn ich mal eine Sekunde freihabe – mache ich so mit dem Arm (wirft den rechten Arm zur Seite, Handfläche nach oben, Finger gespreizt). Das sieht aus wie blöde Sperenzchen. Aber es ist eigentlich nur eine Entspannungsübung für die Sehnen.
Es gibt ja Pianisten, die beim Spielen seufzen und ächzen und stöhnen und singen und pfeifen.
Hab ich früher auch gemacht. Aber jetzt interessiert mich eigentlich der Ton, der einfach kommt (tippt vorsichtig auf den Tisch), und nicht so (holt weit mit dem Arm aus und tippt auf den Tisch), sondern so (tippt wieder in einer kleinen Bewegung auf den Tisch). Und dann ist er einfach da und strahlt oder fliegt oder was auch immer in meinem Kopf passiert.
Bist du ein spiritueller Mensch?
Also ich habe Freunde, die wollen mich davon überzeugen, dass ich es bin. Ich weiß es nicht. Ich glaube an Menschen.
Aber ist Musik nicht von ihrem Charakter her etwas Religiöses?
Was ist da das Verständnis von Religiosität? Ja, es findet im Inneren statt. Ich glaube, Musik sollte niemals etwas Belehrendes haben. Früher hatte ich Zeiten, da habe ich jedes noch so kleine Stück politisiert, in einen pseudopolitischen Kontext gestellt. Ich glaube immer noch, dass es keine unpolitische Musik gibt, aber noch viel mehr glaube ich daran, dass Musik zwar alles kann, aber gar nichts muss. Sie ist einfach absolut frei. Wir können jetzt über Beethoven reden, aber wir hören nichts. Bis sich jemand ans Instrument setzt und spielt. Das finde ich wahnsinnig schön.
Das hat Wagner der Musik vorgeworfen, der reinen Musik, der absoluten Musik, dass sie sich vom Text, vom Bild, von der Bühne entfernt habe.
Und der große Busoni bezeichnete Wagner als germanischen Scheinriesen, der nur um sich selbst kreisen kann und mit sich anfängt und mit sich aufhört. Man kann darüber streiten. Aber alles, was belehrend wird an Musik, finde ich, – jetzt kommt ein schreckliches deutsches Wort – unmusikalisch. Musikfremd.
Du hast eben gesagt, Musik sei immer politisch. Hammersatz.
Ich kenne keinen nicht politischen Kontext. Musik ist noch immer, solange mich keiner vom Gegenteil überzeugt, von Menschen geschrieben. Und diese Menschen haben in ihrer Zeit gelebt und darauf reagiert.
Hitler und Goebbels mochten Beethoven. Und heute wird er gespielt, wenn Macron über den Hof des Louvre geht.
Ja, er ist unseren Entscheidungen vollkommen ausgeliefert. Du kannst die 9. Sinfonie missbrauchen, indem du sie während des G20-Gipfels in der verbarrikadierten Elbphilharmonie spielst – und draußen tobt beinahe ein Bürgerkrieg. Reine Musik gibt es nicht.
Spricht Beethoven zu dir?
Über mir hängt kein Foto von Beethoven und schaut mir über die Schulter. Aber kommuniziere ich mit dem, was er mir hinterlassen hat? Absolut. Es verändert sich von Tag zu Tag. Ich bin die ganze Zeit im Dialog. Aber einen Satz wie „Beethoven war mein Lehrer“ wirst du von mir nicht hören.
Alfred Brendel hat gesagt: „Ich bin nicht die Gouvernante der Komponisten“.
Ich kann dem nichts hinzufügen.
Lieber Igor, letzte Frage: Kann man „Für Elise“ noch auf der Bühne spielen?
Ja! Ich spiele Für Elise die ganze Zeit auf der Bühne. Während der ersten fünf Takte sind die Leute noch erstaunt, dann sind sie ruhig.
Kommentare 9
Danke für den schönen Artikel.
Ich habe überhaupt nicht gewusst, dass ich so viel mit Igor Levit gemeinsam habe. Er war mir früher schon einmal sehr positiv aufgfeallen, einerseits wegend der emiotionalen Tiefe in seinem Klavierspielen, die heutzutage sehr selten ist und andererseits aufgrund seiner politischen Haltung.
Ich dedanke mich für seine Offenheit und Ehrlichkeit und für das tolle Interview. Es ist ein sehr schöner Artikel.
Ich finde in diesen Zeiten das angesprochene Thema Verletzlichkeit besonders wichtig.
Wir sind alle Menschen. In dem Wunsch nicht verletzt werden zu wollen, als der oder die, die wir sind.
Darin haben wir alle etwas Großes gemeinsam.
Ich glaube es ist wichtig in diesen Zeiten der zunehmenden Disbalance und des Auseinanderdriftens unserer Gesellschaft genau diese Gemeinsamkeit nach vorne zu bringen. Das Internet hat die Möglichkeit dazu eröffnet und es ist schon ein spürbarer Veränderungsprozess für mehr Offenheit im Gang, weil alle sich mehr und mehr trauen sich zu zeigen und auch unschöne, schwierige Themen eine sehr große Bekanntheit erlangen. Dadurch ändert sich in der Wechselwirkung das kollektive Bewusstsein.
Auch für mich persönlich war das Klavierspielen in meinem Wohnzimmer eine Rettung, in einer Krise, die weit vor Corona anfing, weil sie mir die Verbundehit mit den Menschen ermöglichte, auch wenn es rein virtuell war. Und daraus wiederum hat sich eine sehr politische Haltung entwickelt und dadurch habe ich mich überhaupt mit Musik so viel beschäftigt.
Mit dem Aufgeben von polarisierenden Deutungsmustern und Zuschreibungen für Verantwortlichkeiten und dem Aufgeben von Rechthabereien kann sich, so jedenfalls meine momentane Hoffnung, ein großer Raum für das Neue öffnen.
Ich glaube unsere Welt würde besser, und wir würden diesen Quantensprung im Gehirn jetzt wagen, wenn wir erkennen könnten, dass Verletzlichkeit und Emotionalität sehr große Stärken sind, auf denen unsere Welt eine neue wird. eine Welt in der wir uns gegenseitig respektieren und unsere Grenzen achten. Eine, in der wir uns alle auf Augenhöhe begegnen und konstruktive Dialoge führen, eine in der Kriege und Gewalt immer mehr absurd werden und in der alle Menschen dieselben Rechte und Möglichkeiten haben.
Eine Welt, wie wir sie als Weltgemeinschaft in den Menschenrechtsdeklarationen bereits als Idealzustand definiert haben. Ich glaube die Sehnsucht nach so einer Welt lebt in uns allen.
https://www.youtube.com/watch?v=H9K-rIWWSqY&t=333s
www.eva-catrin-reinhardt.de
Dem SZ-Musikkritiker Helmut Mauro ist die Kritik an Igor Levit ja nicht wirklich gut bekommen. Im von Mauro gezogenen musikalischen Vergleich mit Daniel Trifonov kommt Igor Levit berechtigt schlecht weg. Trifonov spielt aber auch in einer anderen Liga. Und wer die große Martha Argerich hört, wie sie im Vergleich zu Igor Levit die Partita Nr. 2 von Bach spielt, der weiß, was Klavierspiel vermag. (Unlängst tat diese Gigantin es atemberaubend und mutterseelenallein in der Synagoge zu Görlitz. YouTube legt davon Zeugnis ab.) Künstler soll man aber auch nicht wie Leichtathleten miteinander vergleichen. Insofern.
Igor Levit ist ein aktiver und politischer Mensch, genießt Sympathien der politischen Klasse, der Eliten und von vielen Normalbürgern, ein Star auf Twitter. Keine Frage. Er wird intensiv auf der Seite des Guten wahrgenommen, schlägt sich dafür im Social Media Universum unter vielen Anfeindungen vehement in die Bresche. Ehrenwert. Die Marketingkampagne von Sony für seine Beethoven-Sonaten war gigantisch. Ein Künstler unserer Zeit auf seinem Gipfel mit einer politischen Haltung. (Was bei klassischen Musiken eher selten der Fall.)
Wie es sich allerdings damit verträgt, gemeinsam mit Madeleine Albright den „Preis für Verständigung und Toleranz“ des Jüdischen Museums Berlin anzunehmen, bleibt mir ein Rätsel. Zumindest hätte man ihn danach mal fragen können. Als ich dies im letzten Jahr las, war ich äußerst verwundert. Diese Dame, natürlich Freundin von Joschka Fischer, meinte doch in damaliger Funktion der US-Außenministerin auf die Frage zu den Irak-Sanktionen, ob diese den Preis einer halben Million toter Kinder „wert" seien: „Wir meinen, dass sie den Preis wert sind." Wirklich ein staunenswertes Übermaß an Toleranz und ein echtes Zeichen für Verständigung.
Will man mit so jemand wie Madeleine Albright gemeinsam ausgezeichnet werden? Müßte man über diese Nähe nicht wenigstens ein bißchen empört sein? Da fällt einem wieder Dieter Hildebrandt ein, der das Bundesverdienstkreuz nie annahm, weil er „nicht in schlechter Gesellschaft sein wollte“. Auch eine Haltung.
Aber es ist Sonntag, immer Zeit für Muße und Schwamm drüber. Man kann ja - je nach Geschmack - Levit, Argerich oder Trifonov auflegen und das Leben mal Leben sein lassen. Oder den Freitag lesen.
"Dem SZ-Musikkritiker Helmut Mauro ist die Kritik an Igor Levit ja nicht wirklich gut bekommen. Im von Mauro gezogenen musikalischen Vergleich mit Daniel Trifonov kommt Igor Levit berechtigt schlecht weg. "
Naja, dann hätte Mauro doch einfach das Interpretieren der Beethoven-Sonaten besprochen, anstatt sich zuvor darüber zu verbreiten, Levit sei politisch ein Fake.
Ich bin im Musikalischen auch nicht ganz der Levit-Fan. Aber das tut nichts zur Sache, wenn ich feststelle, dass Levit ein Musiker ist, der eben auch nicht "nur zur Musik" etwas zu sagen hat. Und ich finde es toll, dass es da endlich einmal einen berühmten Musiker im "klassischen" Fach gibt, der man eben auch nicht nur zur Musik befragen kann - obwohl er auch das, gerade auch für einen unter den Jüngeren, ziemlich gut bedienen kann. Ich kaufe ihm etwa die Haltung, dass er Beethoven in einer abgeriegelten Elbphilharmonie während G7 in Hamburg untragbar findet, vollkommen ab.
Levit ist mir sehr sympathisch, auch wenn er, wie reziplikativ oben schreibt, ganz schön naiv agiert. Ich hoffe, daß er irgendwann bemerkt, daß er einige Sachen mit 24 nicht bemerkt hat. Er ist ein hervorragender Pianist, auch wenn es bessere gibt, und einige musikalische Aussagen würde ich kritisieren, das kann man aber als Meinung eines Meinungsfreudigen stehenlassen.
Btw. Was ist das für ein Recycling, die Diskussion dieses Interviews hatten wir doch schon?
"Ja, Corona spaltet. Es geht gar nicht um den Streit zwischen pro oder kontra Lockdown. Wer findet, man müsse gegen dieses Virus nichts unternehmen, spinnt und interessiert mich gar nicht."
Also um den Streit zwischen pro und contra Lockdown geht es nicht (warum ihn dann erwähnen?), weil Herr Levit scheinbar der Ansicht ist, dass "kein Lockdown" hieße, "nichts" zu unternehmen. Also "kein Lockdown" = "nichts unternehmen" => wer so etwas fordert "spinnt" (ist geisteskrank).
*Gäbe* es eine Debatte pro und kontra Lockdown, dann würde dieser Versuch, eine riesige Gruppe an Menschen pauschal abzuwerten und aus der "Gemeinschaft der geistig Gesunden" auszugrenzen, sicherlich sauer aufstoßen. Zum Glück gibt es diese Debatte ja aber nicht. Nun gut, mal schauen, worin dann die Spaltung besteht, wird ja dann jetzt wohl kommen?
"Wenn ich sage: Mir geht es in dieser Lage nicht gut, dann reagieren manche meiner Freunde mit einem aggressiven: Und was schlägst du stattdessen vor? Das greift mich sehr an."
Okay. Also die (für Herrn Levit, maße ich mir an hinzuzufügen) relevante (da thematisierte) Spaltung der Gesellschaft besteht in ihm und seinen Freunden, weil die in irgendeiner nicht weiter ausgeführten Reaktion auf ein nicht weiter ausgeführtes Statement genervt reagiert haben ("Und was schlägst du stattdessen vor?")?
"Es gibt eine merkwürdige Empathielosigkeit, manchmal ein geradezutotalitäres Gerede. Viele Leute werden plötzlich so hart."
Tja hmmm.. merkwürdige Empathielosigkeit... "ein geradezu totalitäres Gerede" ... also Gerede das sich damit beschäfigt dass der Staat in alle gesellschaftlichen Bereiche vordringt und dort schaltet und waltet wie das die Technokraten sich so denken.
Da wir nur demokratisch lupenrein legitimierte Funktionsträger kennen habe ich keine Ahnung, was hier im Westen, dem Leuchtturm des Guten, mit "totalitär" gemeint sein könnte..?!
"Viele Leute werden plötzlich so hart."
Keine Ahnung wovon der da spricht, aber eins ist sicher: Keine Empathie den Coronaleugnern!!11!111!
"Und ich finde es toll, dass es da endlich einmal einen berühmten Musiker im "klassischen" Fach gibt, der man eben auch nicht nur zur Musik befragen kann [...]"
Nehmt als (weiteres) Beispiel nur Maurizio Pollini.
Im Dezember 1969 gab es diesen furchtbaren Bombenanschlag auf der Mailänder Piazza Fontana, der siebzehn Menschen das Leben kostete und achtundachtzig Schwerverletzte hinterließ, der Startschuss einer Spur rechtsterroristischer Gewalt, die bis nach Bologna führte. Pollini war entsetzt und setzte ein Zeichen: Er trat der Kommunistischen Partei bei.
Zusammen mit seinem Mailänder Kumpel Claudio Abbado engagierte er sich auch dafür, die Klassische Musik aus den Heiligen Hallen hinaus zu tragen: So spielte er (z.B. Beethovens fünftes Klavierkonzert in einer Fabrikationshalle) in (ausgedienten) Fabriken vor Arbeitern in Straßenkleidung (Dresscode: Smart casual), und er ging in die Dörfer, um aufzuspielen. In seinen Konzerten las er daneben Manifeste gegen den Vietnamkrieg.
Igor Levit dürfte das gefallen, und nicht nur ihm.
Oder nimm András Schiff... Genug, es gibt sie schon, die Engagierten im klassischen Konzert- und Tonträgerbetrieb.
ja, politisch engagierte musiker gibts.
aber musik gibts einerseits politisch-funktional(z.b.marschmusik)
andererseits: vor-politisch auf engagement/des-engagement führend...
Ja, es gibt sie. (Mit Pollini, das war mir neu!) Aber sie sind nicht gerade die Regel. Gerade in unseren Zeiten braucht der Betrieb aber wieder mehr davon.
Über die ausübenden Musiker kann ich keine quantitativen Aussagen machen, aber für die Komponisten der Neuen Musik galt und gilt heute vielleicht immer noch: sie waren zu einem großen Teil dezidiert politisch – und links.