„Nee, der Stinkefinger ist von uns“

Satire Jan Böhmermann vertritt eine neue Generation Spaßmacher. Jakob Augstein spricht mit ihm über echte Fälschungen, intelligente Medienkritik und Youtube-Stars
Ausgabe 51/2015
„Wir sind das SEK, das die Tür auftritt. Nach uns kommt dann die Kripo“
„Wir sind das SEK, das die Tür auftritt. Nach uns kommt dann die Kripo“

Foto: Marc Beckmann für der Freitag

Jakob Augstein: Sind Sie Journalist, Herr Böhmermann?

Jan Böhmermann: Nee, das ist zu hoch gegriffen. Ich wollte mal Journalist werden, aber das hat nie funktioniert. Mangels Anlagen zur Ernsthaftigkeit.

Sie haben als Reporter bei einer Zeitung angefangen, die hieß „Die Norddeutsche“.

Ja, jetzt lachen Sie doch nicht!

Klingt nicht wie eine Zeitung ...

Und das sagt jemand, der Anteile an einem Magazin hat, das wie ein Möbelstück klingt?

„Die Norddeutsche“ klingt, als wäre es eine Tante von Ihnen ...

... ist aber das Gegenteil von der Süddeutschen. Die hieß früher Nordkurier. Und ich habe aus Bremen-Vegesack und -Blumenthal berichtet, über Klarinettenkonzerte und Kaninchenzüchter. Ich war an der Basis, Herr Augstein.

Sie haben es auch geschafft, 2014 Journalist des Jahres zu werden ...

… nur „Unterhaltungsjournalist des Jahres“. Da wiegt das Wort „Unterhaltung“ mehr als „Journalist“.

Zur Person

Jan Böhmermann, 34, ist die schärfste Zunge seit Harald Schmidt. Er moderiert Neo Magazin Royale, ein Late-Night-Format, das erst bei ZDFneo und online zu sehen ist, ehe es freitags ins ZDF-Hauptprogramm darf. Gerade widmete die New York Times Böhmermann ein großes Porträt. Sein Job sei es, Jüngere aus dem Netz zum Fernsehen zurückzuholen

Sie sind also im Unterhaltungssegment tätig?

Ich bin U-Typ, genau. Und ich habe auch keine Ambitionen, im ernsthaften Bereich jemandem seinen Job wegzunehmen. Auch weil das einfach extrem schlecht bezahlt ist. Bei U kriegt man mehr, da steht man dann aber auch unter größerem Druck.

Meinen Sie, wir im E-Bereich arbeiten überhaupt nicht richtig?

Nein, aber bei U ist es härter. Einmal in die falsche Kamera das Horst-Wessel-Lied gesungen – und man ist weg vom Fenster.

Sie machen eine Trennung zwischen U und E, die Quatsch ist ...

… stimmt. Trenne niemals U und E, denn es tut den beiden weh! Vor allem die E-Leute haben ja gemerkt, dass es schwer ist, die eigenen beruflichen Fähigkeiten im Internet zu kapitalisieren. Man fand daher, dass es eine gute Idee ist, zum Beispiel bei Spiegel Online noch Bento zu machen, also den U-Ableger des U-Ablegers des Spiegel. Es gibt da quasi ein Naserümpfen treppabwärts. Die Leute vom Spiegel können sagen: „Ha, Spiegel Online!“ Die Leute von Spiegel Online brauchen aber auch noch jemanden, über den sie „Ha!“ sagen können. Deswegen hat man Bento geschaffen. Zur Bereinigung des Betriebsklimas.

Die deutschen Medien! Wie finden Sie die denn so?

Je nach Publikum. Bei Ihnen sage ich: „Ja, Fernseher hab ich lange nicht mehr angemacht. Ich informiere mich viel im Internet, und ich lese gerne die Zeit.“ Das heißt: Ich lasse sie mir in den Briefkasten stecken, damit die Nachbarn sie sehen. So einen grundsätzlichen Medien-Pessimismus hab ich ehrlicherweise gar nicht.

Sie sind eher der seichte Typ? (Schweigen) Das war jetzt Ironie!

Wenn ich eins gelernt habe: Ironie funktioniert nicht. Nicht im Radio, nicht im Fernsehen. Und übrigens auch nicht beim Sex.

Zurück zu den Medien ...

Der Pessimismus bezüglich der Medien verschwindet, wenn man sich an das erste Journalismus-Seminar erinnert und daran denkt, was man eigentlich können muss. Nämlich sich Inhalte selbst zu erschließen und so aufzubereiten, dass möglichst viele Leute sie verstehen. Das braucht Kreativität. Da muss man dann das eingefahrene Betriebssystem verlassen.

Mit dem Varoufake haben Sie Anfang des Jahres für viel Aufsehen gesorgt und Ihre Popularität sehr gesteigert. Sie hatten behauptet, den gestreckten Mittelfinger von Yanis Varoufakis gefälscht zu haben. Hinterher kam raus: Sie hatten ihn gar nicht gefälscht.

Nee, nee, nee! Der Stinkefinger ist von uns gefälscht!

Der Moderator Jörg Thadeusz hat dazu gesagt: Diese Fälschung kann nur als Meisterwerk betrachten, wer sich an das „Ficki-Ficki-Fotzi-Niveau“ von Böhmermanns Generation gewöhnt hat. Sie hätten die Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks untergraben.

Ist das jetzt ein Vorwurf, den der große Belletristiker und Hörfunkintellektuelle Jörg Thadeusz an mich gerichtet hat? Oder darf ich den zurückgeben – und zwar an Günther Jauch?

Wieso das?

Das war im Februar eine extrem aufgeheizte Stimmung. Das können wir uns heute nicht mehr vorstellen – jetzt, da die neuen Deutschen in jeder Ecke ihrer Einzimmerwohnung Platz für Flüchtlinge machen. Aber Anfang des Jahres haben wir den Griechen noch den Tod auf den Hals gehetzt. „Der Grieche“ kann halt nicht mit Geld umgehen, und so weiter. In dieser Stimmung hat Jauch den Stinkefinger von Varoufakis in seine Sendung genommen. Reduziert auf die Geste, komplett aus dem Zusammenhang gerissen. Ich weiß nicht, ob das nicht eventuell die Glaubwürdigkeit von Jauch viel mehr beschädigt hat.

Würden Sie, wie Martin Sonneborn, ein anderer großer E- und U-Künstler, ins europäische Parlament einziehen?

Das ist, gottlob, nicht nötig, weil ich ja gebührenfinanziert bin. Die 17,50 Euro, die jeder deutsche Haushalt im Monat abdrücken muss, verhindern das.

Ich bin für Zwangsgebühren. Ich würde sie sogar ausweiten.

Ich finde die Idee, ganz im Ernst, gar nicht so doof. Warum denkt man das nicht mal neu? Wer sonst könnte sich denn darum kümmern, wie unsere Werte und Normen in den neuen Medien repräsentiert werden? Die Konzerne in Amerika, die uns ownen und unsere Timelines bestimmen, tun das jedenfalls nicht. Auch die Selbstkontrolle funktioniert im Netz nicht. Internet-GEZ, das wäre doch ein Modell, über das man nachdenken könnte.

Das „Handelsblatt“ hat Ihnen kürzlich Nachlässigkeit in der Recherche vorgeworfen. Sie hatten Adidas wegen des ausufernden Fußballsponsorings angegriffen. Da hatten Sie gesagt, 2005 habe Adidas einen Umsatz von 6,6 Milliarden Euro gemacht. Bei der WM in Deutschland 2006 seien es 10,1 Milliarden gewesen. Laut „Handelsblatt“ lag der Zuwachs aber daran, dass Adidas Reebok übernommen hat. Sie hätten also nicht richtig recherchiert. Ist das ein Problem für jemanden, der Unterhaltung macht?

Doch, in diesem Fall haben wir das tatsächlich nicht so detailliert gemacht, wie das Handelsblatt es aufschlüsseln würde. Da hätten wir besser auch die Summe aufführen sollen, die Adidas in diesem Jahr nur mit Fußball verdient hat. Das wäre die präzisere Zahl gewesen, die am Ende im Stück hätte stehen müssen.

Mit anderen Worten: Satire sollte auch recherchieren?!

Das sowieso. Und sie sollte auch korrekt sein.

Gibt es denn Sachen, die mit Satire besser dargestellt werden können als mit ernsthaften Formen?

Das Wort Satire kann ich absolut nicht mehr hören.

Wieso das denn?

Satire ist ja auch, wenn ein Vollidiot in Dresden einen Galgen bastelt. Ich würde es einfach auf den wertneutralen Begriff Comedy ziehen.

Trotzdem noch mal gefragt: Kann man manche Sachverhalte satirisch besser vermitteln?

Nein. Wenn man in so einem Bild denken möchte: Wir sind das SEK, das voranstürmt, die Tür eintritt und die Wohnung verwüstet – und nach uns kommen die Kriminalpolizei und die Spurensicherung.

Sie haben drei Jahre bei der Harald-Schmidt-Show gearbeitet. Bewundern Sie Schmidt?

Was ich bei Harald Schmidt beeindruckend fand, war, dass wir da einfach jeden Tag von 10 bis 19 Uhr, bis eben die Witze gut genug waren, im Büro rumgehangen haben. Das fand ich bemerkenswert. Sich so lange mit Sachen auseinanderzusetzen, bis man in der Lage war, das abzuliefern, was Harald Schmidt zehn Jahre gemacht hat.

Anderes Thema: Können Sie Longboard fahren?

Natürlich. Longboard fahren kann jeder! Das ist was für Leute, die zu faul sind, Skateboard zu lernen.

Das ist in der Welt der Youtuber ...

… Oh Gott, müssen wir jetzt über Youtuber reden?

Ja, weil diese Unterhalter auf Youtube noch jünger sind als Sie. Sie haben sich mit denen ziemlich angelegt. „Lern erst mal Longboard fahren!“, kam zurück. Warum haben Sie diese jungen Leute so angegriffen?

Angegriffen? Ich habe mich doch nur über die lustig gemacht.

Warum?

Ich fand einfach den Reflex in den Redaktionen kindisch: „Ogottogottogott, wie gehen wir jetzt mit den Youtubern um?“ Keiner hat gesehen, was Youtube-Star für ein Wort ist. Es besteht aus Youtube und Star. Wenn man sich auf das Wort Youtube konzentriert – dann weiß man nicht, wie man damit umgehen soll. Und wenn man sich auf das Wort Star konzentriert, dann weil Sami Slimani 1,4 oder 1,5 Millionen Abonnenten hat. Also eine höhere Reichweite als der Spiegel. So einen feiert man entweder – oder man macht es so wie ich: Ich mache mich halt über ihn lustig.

Erst als meine Kinder mir erzählt haben, was Youtuber machen, habe ich langsam begriffen, was da eigentlich abgeht im Netz. Aber kaum jemand kriegt es mit. Es ist eine öffentliche Parallelwelt. Seltsam, oder?

Das liegt daran, dass Sie einer derjenigen sind, die die letzte Generation vertreten, die ein bisschen zu früh geboren wurde, um voll mit dem Internet aufzuwachsen. Meine Generation, die um die 34, 35 Jahre Alten, sind die ersten digitalen Nativen. Meine Kinder werden, wenn sie in dem Alter des jetzigen Youtube-Publikums sind, gar nicht in die Versuchung kommen, von solchen Inhalten zu erfahren.

Wie wollen Sie das verhindern?

Die Geräte, die meine Kinder benutzen, werden einfach so genau eingestellt sein mit sicheren Kinderschutzfiltern, dass die nicht dazu kommen, eine Parallelwelt zu rezipieren, die sich meiner Aufmerksamkeit entzieht. Genau wie meine Mutter früher danebensaß, wenn ich MacGyver geguckt habe. Damit in der Serie auch nicht zu viel Gewalt drin war. Das ist völlig richtig so. Genau das Gleiche werde ich bei meinen Kindern machen, wenn sie in dem Alter sind.

Wie kommt es, dass manche Generationen Medieninhalte mitbekommen – und andere nicht?

Das liegt nicht an den Kindern, das liegt an den Eltern, die keine Ahnung haben, wie das funktioniert. Die haben eine Medienkompetenzlücke. Ich habe viele Dinge gesehen in meiner Jugend, die ich besser nicht hätte sehen dürfen. Also weiß ich genau, wovor ich meine Kinder später schützen werde. Und ich kann das auch – im Gegensatz zu Ihnen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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