Online Journalismus im Freitag. Ein Vortrag

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Liebe Leser,

hier ist ein Vortrag, den ich neulich bei den Frankfurter Tagen des Online-Journalismus gehalten habe.

Da wir gestrenge Redigatoren in der Community haben, weise ich darauf hin, dass es sich hier um die leicht gekürzte und nicht redigierte Fassung eines Texte handelt, der im gesprochenen Wort wirken sollte.

Kurzweilige Lektüre,

Ihr JA

Guten Tag meine Damen und Herren,

man hat mich gebeten, zu Ihnen zum Thema "Die Leser als Ideengeber" zu sprechen.

Das mache ich gerne, weil wir beim Freitag damit sehr gute Erfahrungen gesammelt haben.

Also der Freitag ist zunächst einmal eine Wochenzeitung. Linksliberal würde passen, oder wie ich gerne sage: Irgendwie links. Ich bitte Sie, den leichten Ton der Selbstironie zu vernehmen. Journalismus ohne Haltung finde ich doof. Aber man sollte sich selbst nicht zu ernst nehmen. Wir sind jedenfalls nicht dogmatisch, das ist wichtig.

Und gleichzeitig sind wir ein Online-Medium.

Wir bilden uns ein, ein wirklich integriertes Medium zu sein, in dem Print und Online gleichberechtigt nebeneinander stehen. Ob das immer wirklich so hinkommt ist eine andere Sache, aber es ist unser Ziel, unser Programm, ein wichtiger Teil unserer Identität. Das ist schon mal keine Kleinigkeit, weil Online bei den meisten herkömmlichen Medien doch eine eigenartige Sonderexistenz führt. Zwar nicht mehr so marginalisiert wie vor fünf Jahren. Aber noch nicht wirklich im Zentrum des redaktionellen Geschehens.

Was den Freitag wirklich von anderen Medien unterscheidet - und darum hat man mich hier wohl auch eingeladen - ist die Rolle der Community.
Sie gehört dazu. Sie ist Teil des Ganzen. Ohne unsere wachsende Community wäre der Freitag ein vollkommen anderes Produkt.

Sie kennen ja die Radiotheorie von Brecht - das Radio wird vom Distributionsmedium zum Kommunikationsmedium. Das ist in etwa das, was wir mit dem Internet machen. Alan Rusbridger, der Chefredakteur des Guardian nennt das "Mutualization". Die Leser sind Teil des Mediums. Sie wirken am Produkt mit, durch eigene Beiträge und durch ein andauerndes Gespräch über das Produkt, das selber zum Teil des Produkts wird.

Rein institutionell drückt sich darin aus, dass die Community bei uns das vierte Ressort ist. Wir haben im Blatt drei Lagen, Politik, Kultur und Alltag mit drei Ressortleitern. Und das vierte Ressort ist die Community, deren Ressortleiterin gleichberechtigt und ebenbürtig neben den anderen dreien steht. Wenn Sie das interne Gefüge von Redaktionen kennen, dann wissen Sie, dass das keine Kleinigkeit ist.

Das Ressort moderiert und betreut die Gemeinschaft der Netz-Nutzer und vor allem kommuniziert es mit ihnen. Das bedeutet, es trägt Themen und Ideen, die von der Redaktion kommen dorthinein. Und es sammelt die Ideen und Stimmungen in der Community und transportiert sie in die Redaktion weiter.

Am Anfang, als wir den neuen Freitag konzipiert haben, hatten wir keine genaue Vorstellung davon, wie das funktionieren würde. Wir hatten nur die Idee, dass es mal einer machen muss: Die Leser ernst nehmen und ihr Potential für das Medium nutzbar machen. Aber wir haben selber lernen müssen, was geht und was nicht.

Ich nenne Ihnen zunächst mal ein paar Zahlen:
Der Freitag ist ein kleines Medium, noch. Unsere verbreitete Printauflage liegt bei etwa 15 000 in der Woche. Unsere Community besteht aus 7000 Mitgliedern. Wir haben 900 Blogs im Monat und 14 000 Kommentare.

Ein Drittel der Visits auf unserer Seite entfällt auf Community-Inhalte. Das bedeutet, ein Drittel unserer Netzattraktivität hängt an der Community. Das ist viel viel mehr als bei fast allen Medienanbietern im Netz. Ich glaube, nur Neon hat mehr. Und das liegt daran, dass die fast gar keinen redaktionellen Content ins Netz stellen sondern nur Lesertexte. Ich bewundere das Konzept von Neon übrigens sehr. Eigentlich ist das die Vollendung der Kooperation von Netz und Print: Print verkauft sich und verdient das Geld und wird von Profis hergestellt. Und das Netz dient als Rückkanal und Kommunikationsort für die Leser. Es gibt also zwischen Netz und Print keine Konkurrenz, sondern eine perfekte Ergänzung. Wir streben einen ähnlichen Zustand an. Und Neon ist ein großes Vorbild. Ebenso wie der Guardian, dessen deutscher Partner wie ja sind. Steht übrigens seit neuestem auch vorne bei uns auf dem Titel: Partner des Guardian!

Bei uns ist es nun so, dass die Leser sich nur mit einer eMail Adresse registrieren müssen, wenn sie kommentieren wollen. Wenn sie eine eigene Seiten anlegen um selber Blogs zu erstellen, wollen wir einen Namen und eine Telephon-Nummer haben. Wir prüfen das nicht nach. Aber es erhöht die Schwelle ein bisschen und Leute, die nur mal kurz ihre schlechte Laune ablassen wollen, werden dadurch ziemlich wirkungsvoll draußen gehalten.

Was nun die Zusammenarbeit mit den Lesern angeht, fange ich ich gleich mal mit dem an, was nicht geht - damit Sie nicht denken, dass ich das hier alles durch die rosa Brille präsentieren will.

Leser können keine Redakteure ersetzen. Ich weiß nicht, ob das im Ernst jemals einer geglaubt hat - jedenfalls habe ich es immer für einen Quatsch gehalten und die Erfahrung, die wir gemacht haben, beweist das auch.

Ganz praktisch bedeutet das: Wenn wir ein Thema haben, über das wir berichtet wissen wollen, können wir die Community zwar bitten, sich damit zu beschäftigen. Aber wir können sie nicht beauftragen. Das heisst, wir können uns nicht darauf verlassen, dass das Thema dann auch bearbeitet wird.

Wir machen das ziemlich oft: Dass wir sagen: In der und der Stadt findet nächste Woche etwas statt. Ist jemand da? Will darüber jemand was schreiben? Manchmal klappt das, manchmal nicht. Ich war neulich bei einer Podiumsdiskussion in Düsseldorf, das haben wir bei uns annonciert und gefragt, ob jemand im Netz berichten will. Wir könnten es uns ja nicht leisten, dafür einen Autor loszuschicken. An dem Tag hat das gut funktioniert und wir hatten einen schönen, aktuellen Beitrag bei Freitag.de - Aber es ist eben nicht planbar.

Und, um gleich einem Vorurteil vorzubeugen: Community spart darum auch kein Geld. Das Ressort ist bei uns genau wie die anderen mit drei Kollegen ausgestattet und außerdem kommen die technischen Kosten hinzu ... Das bedeutet, die Community kostet uns Geld. Und verdienen tun wir damit auf der anderen Seite bislang nichts. Online-Werbung zahlt sich für eine so kleine Seite wie unsere kaum aus und im Community-Bereich will ohnehin niemand so richtig werben.

Ich bitte, diesen Punkt wirklich wahrzunehmen. Sie ahnen gar nicht, wie hartnäckig sich das Gerücht hält, die Etablierung von Communities sei nur ein perfider Trick, die redaktionellen Kosten herunterzufahren. Ich rede mir da den Mund fusselig.

Also: Community ersetzt keine Redakteure und spart kein Geld.

Aber mit der Community kann man eine bessere Zeitung machen. Ich weiß nicht, ob das für alle Blätter gilt. Für uns gilt es auf jeden Fall. Wir nutzen den Rückkanal der Community zur Selbstkontrolle, als Marktforschungstool, als Entwicklungshilfe, wie immer Sie das nennen wollen. Das reicht von der Diskussion über kommende Titelgeschichten, über Bitten um Recherchehilfen bis hin zu Fragen zu künftigen Bezahlsystemen im Netz.

Wir fragen. Wir bekommen Antworten. Wir entscheiden, was wir mit den Antworten anfangen und rechtfertigen das wieder gegenüber der Community. Das ist ein fortdauerndes Gespräch.

Ich geben Ihnen ein Beispiel, wie das funktionieren kann: Ich habe neulich einen Artikel geschrieben, in der Reihe meiner Gartenkolumne. Es ging um die Natur und das Verhältnis des Menschen zu ihr und welches Bild er sich davon macht. Eigentlich handelt meine ganze Gartenkolumne immerzu davon. Im Netz hat nun unser Nutzer Columbus dazu einen Kommentar geschrieben. Eigentlich war das kein Kommentar - sondern mit 15000 Zeichen ein richtiger Artikel. Ein wirklich schöner Text, der sehr feinsinnig und gebildet und elegant das Thema der Kolumne aufgreift und vertieft. Der Idealfall eines Kommentar sozusagen. Der Text ist so gut, dass ich ihn gerne in die Zeitung übernehmen möchte. Man muss ihn ein bisschen bearbeiten, die Bezüge zu meinem Artikel herausnehmen, damit es nicht zu selbstreferentiell wird. Aber das sind Kleinigkeiten. Ich habe das mit der Kultur-Redaktion besprochen und dabei festgestellt,. dass die ohnehin planen, in einer der nächsten Ausgaben, ihr Ressort nicht Kultur sondern Natur zu nennen. Da wird der Text von Columbus geradezu hervorragend passen.

Diese Variante - einer schreibt im Netz einen Text und wir holen den in die Print-Zeitung ist also eine Möglichkeit, wie Leser bei uns am Produkt mitwirken können, wie sie selber zum Teil des Produkts werden können.

Es gibt aber noch andere Möglichkeiten: Manchmal bereiten wir Schwerpunktthemen mit Hilfe der Leser vor. Wir tragen das Thema in die Community und fragen nach Kommentaren, Meinungen und Anregungen. Das haben wir jüngst so gemacht bei einem Schwerpunkt zu Rot-Rot-Grün. Wir haben dazu eine Debatte genutzt, die im Netz zum Thema "Was ist links" lief. Und daraus dann eine Reihe sehr guter Zitate und Gedanken übernommen, ein anderes Beispiel war unser Wochenthema in der Osterausgabe, in der es um Auferstehung ging. Da hatten wir die Leser vorher nach Ihren Haltungen gefragt und die interessantesten Gedanken abgedruckt.

Sie sehen: Es klingt nicht sehr kompliziert. Der Witz liegt darin, es zu tun. Und das erfrodert ziemlich viel Geduld und Pflege im Umgang mit der Community. Ich selber sehe die Community wie einen Garten. Man muss ihn pflegen und sich sehr kümmern und dann sieht er im besten Fall ganz natürlich aus. Aber wenn sie ihn sich selbst überlassen, verkommt er und alles wuchert mit Unkraut zu. Das ist in der Community nicht anders.

Ich gebe Ihnen noch einen Ausblick wohin wir künftig wollen:
Wir wollen den Leuten künftig Online noch viel mehr Raum für die Mitwirkung geben. Das ist technisch nicht so einfach für so ein kleines Unternehmen. Und es ist wirtschaftlich nicht so einfach, weil Online nur Geld kostet aber unmittelbar nichts bringt. Aber im Laufe dieses Jahres, oder Anfang des nächsten wollen wir Community-Mitgliedern die Möglichkeit geben, wie Redakteure an der Steuerung der Online-Seite mitzuwirken. Dossiers, Bildergalerien, Veranstaltungshinweise, Produktbeschreibungen und Artikel sowieso - Leser sollen die Möglichkeit haben, alle Formate, die auch Redakteure erzeugen können, vorzuschlagen und auf die Seite zu stellen.

Ich möchte die Grenze zwischen Community und Redaktion weiter absenken, ausdünnen, durchlässiger machen. Also Rusbridgers Mutualization noch weiter vorantreiben.

Dieser Prozess ist noch lange nicht am Ende. Aber wir sind da schon ein weites Stück vorangekommen. In unserer Redaktion wird über manche Blogger inzwischen geredet wie über Kollegen. Und wenn sie wissen, wie tradionalistisch oft selbst die kritischsten Journalisten denken, wenn es um ihren eigenen Job geht, dann verstehen Sie, warum ich das für einen Riesenfortschritt halte.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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