Rot-Rot-Grün klingt heute wie „Blume 2000“

Hegelplatz 1 Jakob Augstein sucht fieberhaft nach einem Namen für den linken Aufbruch, den das Land so dringend braucht
Ausgabe 41/2018
Mit den Worten von Peter Lustig: Anschalten, bitte
Mit den Worten von Peter Lustig: Anschalten, bitte

Foto: imago/Steinach

Wir hier am Hegelplatz denken ununterbrochen über wirkungsvolle Maßnahmen zur Verbesserung der Welt nach. Naturgemäß handelt es sich da um Maßnahmen linker Politik. Wobei man ehrlich sein muss: links allein macht auch nicht glücklich. Es ist ein bisschen wie mit dem Geld: ist nicht alles, aber besser ist es schon. Bei unserem Kampf für die gute Sache gehen wir interdisziplinär vor. Wir verlassen uns nicht nur auf die Qualität unserer Argumente, sondern befassen uns mit den jeweils geeigneten Methoden ihrer Vermittlung. Manchmal helfen zum Beispiel gerade in redaktionellen Zusammenhängen nicht tödliche Wurfgeschosse oder zufällig herumliegende Schlagwaffen. In der politischen Auseinandersetzung stehen wir der Anwendung von Gewalt allerdings skeptisch gegenüber – zumal die Gegenseite meistens dicker, stärker und großflächiger tätowiert ist.

Stattdessen setzen wir auf die Kraft des Wortes, vor allem des richtigen Wortes. Wir haben alle einschlägigen Werke der Wahrnehmungspsychologie und des Produktmarketings studiert und sind zu der Erkenntnis gekommen, dass viele gute Anliegen schon am schlechten Ausdruck gescheitert sind. Wer weiß, wo die Energiewende heute stünde, wenn die „Einspeisevergütung“ nicht böse Erinnerungen an die muffelige Schulkantine wachrufen würde?

Allerdings sind auch der Wirkung der Worte Grenzen gesetzt: Selbst wenn der Name des Schröder-Beraters Mandelbaum gelautet hätte, wäre Hartz IV immer noch eine Sauerei. Das wichtigste Projekt linker Politik ist natürlich die große Wende, also die Wende von allem, die ganz große. Leider ist das Wort „Wende“ besetzt. Und „Revolution“ in Wahrheit auch. Wenn man den Leuten damit kommt, denkt jeder, es geht um einen günstigen Mobilfunkvertrag. Das letzte halbwegs progressive politische Reformprojekt firmierte unter „Rot-Grün“. Klingt heute wie Retro-Science-Fiction. Man kennt diesen Effekt von Jahreszahlen, die früher in der Zukunft lagen. Also wie „2001 im Weltraum“. Oder „Blume 2000“. Oder – natürlich – „1984“. Aber das geht auch mit Worten: „Rot-Grün“ war einmal der Inbegriff des gesellschafts- und sozialpolitischen Fortschritts, obwohl dieses politische Projekt vier, wenn nicht acht Jahre zu spät an die Macht kam und dadurch bereits älter war, als es damals schien.

Dasselbe lässt sich heute von „Rot-Rot-Grün“ sagen. Wen lockt das heute noch hinter dem Ofen hervor? Bei wem entfacht das Begeisterung? „Rot-Rot-Grün“ war zwar im Bund noch nie an der Macht – und klingt doch schon eigentümlich altmodisch. Weil die linke Sache aber nichts so braucht wie Begeisterung, suchen wir fieberhaft nach neuen Namen für den Aufbruch. Bislang ohne Ergebnis. Vorschläge können an die Redaktion geschickt werden.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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