Auch angekündigte Katastrophen sind erschütternd. Die Wahl vom vergangenen Sonntag zeigt, wie sehr sich Deutschland verändert hat. Mit ungeheurer Wucht entlud sich an diesem deutschen Super-Sunday eine Spannung, die tief im Untergrund der politischen Tektonik entstanden war. Die politische Landschaft hat ihr Gesicht verändert.
Eine neue rechte Partei hat sich etabliert; auf einmal ist vorstellbar, dass die beiden großen Volksparteien auch gemeinsam keine Mehrheit im Bundestag erlangen könnten; überhaupt ist die Bedeutung der Parteien in Frage gestellt, wir sind auf dem Weg in die Stimmungsdemokratie, in die Facebook-Republik. Parteien und Programme sind Schnee von gestern. Was zählt, sind Launen und Gesichter. Sieht es so aus, das neue Weimar?
Noch ist
r?Noch ist auch bei der AfD niemand in Sicht, auf den die Zeilen von Stefan George passen würden: „Er führt durch sturm und grausige signale / Des frührots seiner treuen schar zum werk / Des wachen tags und pflanzt das Neue Reich.“ Weder der Blut-und-Boden-Mann Bernd Höcke noch der Shooting-Star Marcus Pretzell haben rechtes Führer-Format. Aber es braucht keinen Führer, um die Demokratie zu zerrütten – das übernehmen die Demokraten selbst.Wenn wir von Weimar reden, meinen wir einerseits eine Zersplitterung des Parteiensystems, eine Aufspaltung in immer kleinere Einheiten, die die Handlungsfähigkeit der Politik gefährdet. Andererseits meinen wir eine Radikalisierung der Sprache und der Taten. Beides beobachten wir. Die beiden großen Parteien haben die Aufgaben vernachlässigt, die ihnen in unserem politischen Gefüge gegeben sind.Auf der Jagd in die MitteZu Beginn der Bundesrepublik gab es ein paar Großthemen, die das Potenzial hatten, das politische System zu zerreißen: die Wiederbewaffnung, die Westbindung, später die Ostpolitik. Es gelang im Lauf der Zeit, einen Konsens herzustellen. Oberhalb dieses gemeinsamen Fundaments jedoch pflegten die Parteien ihre Unterschiede.In einem stabilen politischen System verfügen die Parteien gerade über so viel Gemeinsamkeit wie nötig und so viel Differenz wie möglich. Diese Regel haben sie in den vergangenen Jahren nicht nur vernachlässigt – sie haben sie umgedreht: Auf der Jagd in die Mitte versuchen sie sich so ähnlich zu sein, wie es geht. Das ist für beide großen Parteien eine Katastrophe. Wofür steht die SPD? Wofür die CDU?Es muss eine Kernidentität der Parteien geben, die nicht verhandelbar ist, die nicht anpassbar ist, die sich keinem Sachzwang unterordnet, für die im Zweifelsfall auch auf die Macht verzichtet wird. Diese Identität definiert sich im Wandel der Zeiten jeweils unterschiedlich. In den 60er Jahren gehörte das Infragestellen der Oder-Neiße- Linie zum Kernbestand nationaler Identität, wie die CDU sie vertreten hat, heute nicht mehr. Und auch für die soziale Gerechtigkeit, die das Anliegen der SPD sein sollte, muss man heute anders streiten als in der Vergangenheit.Das Problem ist nur: Wer glaubt der SPD, dass ihr dieses Thema überhaupt ein echtes Anliegen ist? Eine Studie der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau hat gerade festgestellt, dass 40 Prozent der deutschen Haushalte heute weniger Geld haben als vor 20 Jahren. Gleichzeitig stieg das verfügbare Einkommen der oberen Einkommensgruppe um mehr als 38 Prozent. Das ist ungeheuerlich. Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW, Marcel Fratzscher, sagt schlicht: „Die soziale Marktwirtschaft existiert nicht mehr.“ Wohlgemerkt, KfW und DIW sind nicht als Sprachrohre der Linkspartei bekannt.Dem Versagen der SPD steht der Wesenswandel der CDU gegenüber, der für ihre Anhänger nicht weniger schmerzhaft ist. Nachdem Angela Merkel mehr oder weniger alle Traditionen der christlich-konservativen Union geschreddert hatte, kommt nun die nationale Identität dran. Aus Unionssicht steht mit der Flüchtlingspolitik der Regierung ja nicht weniger auf dem Spiel als das.Und nebenbei: Wie dehnbar ist das grüne Selbstverständnis, wenn ein grüner Ministerpräsident ungerührt Spenden von der Rüstungsindustrie annimmt? Die Parteien berauben sich auf diese Weise selbst ihrer Bedeutung. Sie verkommen zu Plattformen für populäre Politiker. Personalisierung statt Programm.Ein globales PhänomenAber während die großen Parteien ins Stadium der selbstverschuldeten Verzwergung übergehen, erstarken keineswegs die Ränder – sondern nur der rechte Rand. Das ist ein atemraubendes, globales Phänomen, das weit über den deutschen Erfolg der AfD hinausgeht. Von Russland bis zu den USA dominiert ein neuer Politikstil. Es ist verblüffend: Was haben die Russen, die Putin bewundern, die Polen, die eine rechtskatholische Regierung wählen, die Sachsen, die den Pegida-Pfeifern hinterherlaufen, die Franzosen, die Marine Le Pen bejubeln und die Amerikaner, die Trump womöglich den Weg ins Weiße Haus ebnen, gemeinsam? Es ist die Enttäuschung durch den westlichen Kapitalismus.So unterschiedlich die politischen Kulturen dieser Länder, so verschieden ihre Ausgangslagen – die Revolution der Rechten fasst überall Fuß. Der westlich geprägte Kapitalismus ist in seiner Krise dabei, einen neuen Faschismus zu gebären. Und es sieht nicht danach aus, als hätten Liberale oder gar Linke genügend Kraft, sich dem entgegenzustellen.Placeholder link-1Placeholder link-2Placeholder link-3