Was für ein Moment! Ein junges Mädchen steht vor der ganzen Welt, buchstäblich, auf der einen Seite die Vereinten Nationen in New York, auf der anderen Seite Greta, und sie schleudert dieser Welt ihre ganze Wut und Verzweiflung und Verachtung entgegen. Mit einer Kraft, über die nur ein junges Mädchen verfügen kann. Mit einer Kraft, der die Welt der Erwachsenen nichts entgegensetzen kann. Die Erwachsenen versuchen, sich das vom Leib zu halten. Aber sie wissen, sie sind angeklagt und schuldig gesprochen und verurteilt.
Greta und die AktivistInnen – nach allem, was man sieht, sind mehr Frauen darunter als Männer – sagen, man soll der Wissenschaft folgen. Es ist die Wissenschaft, die ihren Überzeugungen solche Sicherheit verleiht. „Wissenschaftliche Tatsachen haben eine andere Stellung als kulturelle Wahrheiten“, hat die Deutsche Luisa Neubauer gesagt. Aber Wissenschaft ist keine Politik, und mit dem Hinweis, die Erwachsenen sollen sich einfach an die Erkenntnisse ihrer eigenen Wissenschaft halten, ist die Debatte nicht beendet, da beginnt sie erst. Denn Klimapolitik ist Klassenpolitik, und jeder muss sich entscheiden, wo er im Verteilungskampf steht, wenn es darum geht, wem die knapper werdenden Ressourcen unserer Erde zur Verfügung stehen: allen Menschen gleichermaßen oder den Reichen im Besonderen.
Für keine Partei stellt sich diese Frage so dringend wie für die Grünen. Jetzt ist ja eigentlich ihr Moment. Nie wurde mehr über Umweltschutz geredet als heute. Und nie haben mehr Menschen die Dringlichkeit begriffen, mit der Wirtschaft und Gesellschaft endlich vom kapitalistischen Kopf auf ökologische Füße gestellt werden müssen als heute. Aber angesichts des Furors der FFF-AktivistInnen sehen die bedächtig-zerknautschten Gesichter von Winfried Kretschmann und Robert Habeck plötzlich ziemlich alt aus. Wie Greta sind die Grünen?
Es ist ja paradox: Der Höhenflug der Grünen ist (vorerst?) genau in dem Moment beendet, in dem die Klimabewegung abhebt. Seit den schwindeln machenden Umfrage-Ergebnissen aus dem Sommer, da die Grünen plötzlich als neue Volkspartei dastanden, ging es in den vergangenen Monaten stetig bergab. Es gelingt den Grünen offenbar nicht, den Strom der Wut, der aus Gretas Worten spricht, in ihre Mühlen zu leiten. Sie sind nicht der politische Arm der Klimabewegung. „Ich will, dass ihr in Panik geratet“, hat Greta gesagt – ein legitimer und notwendiger Satz. Denn Gretas Wut ist nur das Gegenstück zum politischen Phlegma der Angela Merkels dieser Welt. Diese Sprache kannten die Grünen früher auch. Petra Kelly hat so geredet und sich im Kampf für eine bessere Welt so verzehrt. Aber das ist lange her. Inzwischen stellen sie einen Ministerpräsidenten im Autoländle, und viele ihrer Wähler sind eigentlich ganz zufrieden damit, wenn sich die Grünen auf die Rolle einer CDU plus Insektenschutzprogramm beschränken.
Gretas Rigorismus ist das Gegenteil von prozessorientierter Politik. Aber es ist diese Politik, die vor der Herausforderung der Klimakatastrophe so kläglich versagt hat. Die Grünen tragen daran Mitschuld. Die Flexibilität mancher Grüner ist ja geradezu sprichwörtlich. Als Cem Özdemir zum Beispiel noch Parteichef war – das war in jenen lange vergangenen Zeiten vor Habeck und Baerbock, an die sich heute kaum noch jemand erinnert, also vor zwei Jahren –, zog er mit der Forderung in den Bundestagswahlkampf, nach 2030 in Deutschland keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr zuzulassen. Zitat Özdemir vor der Wahl: „Grüne gehen in keine Koalition, die nicht das Ende der Ära des fossilen Verbrennungsmotors einleitet und den Einstieg in den abgasfreien Verkehr schafft.“ Als es dann im Herbst bei den Sondierungen mit Union und FDP um die Regierungsbeteiligung ging, verabschiedeten sich die Grünen ganz schnell von diesem konkreten Datum. Zitat Özdemir nach der Wahl: „Mir ist klar, dass wir alleine nicht das Enddatum 2030 für die Zulassung von fossilen Verbrennungsmotoren durchsetzen werden können.“
Als sie in dieser Woche ihren Fraktionsvorsitz gewählt haben, sind die Grünen knapp daran vorbeigeschlittert, ausgerechnet Özdemir in die erste bundespolitische Reihe zu befördern. Es wäre ein verheerendes Signal gewesen, gerade jetzt auf Anton Hofreiter zu verzichten, den bekanntesten Umweltpolitiker. Aber auch Hofreiter sollte jetzt die Gelegenheit nutzen und sich an die radikalen Wurzeln seiner Partei erinnern.
Nach dem Klimapäckchen der Großen Koalition haben die Grünen ja „Widerstand“ angekündigt. Anton Hofreiter hat gesagt, ein Tonnenpreis für CO₂ in Höhe von zehn Euro sei viel zu wenig, es müssten auf jeden Fall 40 Euro sein. Das Umweltbundesamt sagt, eine Tonne CO₂ müsste 180 Euro kosten. Aber da sagen die Grünen, das würde die Menschen „überfordern“.
In der Schweiz liegt der Preis übrigens bei etwa 100 Euro pro Tonne und in Schweden bei 115 Euro – und der Ökosozialismus ist darum in keinem der beiden Länder ausgebrochen. Die Deutschen sind ein ängstliches Volk, das ist bekannt. Aber die Grünen dürfen jetzt nicht ängstlich sein. Sonst werden sie nicht gebraucht.
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