Tiere gehören sortiert

Der Gärtner und die Tiere Wer glaubt, dem Denken seien Grenzen gesetzt, sollte einmal Kinder nach der Ordnung der Tierwelt befragen, empfiehlt Jakob Augstein
Ausgabe 20/2019
Kriechend, eindeutig kriechend. Kriechend wie ein Maulwurf
Kriechend, eindeutig kriechend. Kriechend wie ein Maulwurf

Foto: Imago Images

Mein Garten gehört den Tieren viel mehr als mir selbst. Sie sind meistens unsichtbar, aber immer gegenwärtig. Da ist der Lärm in der Nacht, wenn es sonst still ist: die entfernten Schreie der Pfauen, das Glucksen der Frösche, die Kadenzen der Singvögel. Da sind die Löcher im Rasen vom Dachs, die umgelegten Erlen am Ufer, die der Biber gefällt hat. Federn von einem Kampf.

Das ist alles naturgemäß ein großes Durcheinander, und bei den Tieren gilt erst recht, was bei den Pflanzen galt: Es braucht eine Ordnung. Aber welche? Nehmen wir mal Foucault und seine Ordnung der Dinge. Es beginnt mit einer Vorrede: „Dieses Buch hat seine Entstehung einem Text von Borges zu verdanken. Dem Lachen, das bei seiner Lektüre alle Vertrautheiten unseres Denkens aufrüttelt ... und unsere tausendjährige Handhabung des Gleichen und des Anderen ... in Unruhe versetzt.“ Darin geht es um „eine gewisse chinesische Enzyklopädie“, in der es heißt, dass „die Tiere sich wie folgt gruppieren: a) Tiere, die dem Kaiser gehören, b) einbalsamierte Tiere, c) gezähmte, d) Milchschweine, e) Sirenen, f) Fabeltiere, g) herrenlose Hunde, h) in diese Gruppierung gehörende, i) die sich wie Tolle gebärden, j) die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind, k) und so weiter, l) die den Wasserkrug zerbrochen haben, m) die von Weitem wie Fliegen aussehen“. Du Même et de l’Autre ... Beim Erstaunen über diese exotische Taxonomie erreiche man mit einem Sprung die „Grenze unseres Denkens: die schiere Unmöglichkeit, das zu denken“.

Unmöglich? Man sieht, dass Foucault keine Kinder hatte. Fragt man nämlich Kinder, wie sie die Tiere sortieren würden, dann kommt man zu ähnlichen Ergebnissen wie Borges’ (fiktiver) chinesischer Kaiser. Wir nehmen einmal die maßgebliche Studie von Kattmann und Schmitt zur Hand, 1996 veröffentlicht in der Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften. Wir lesen, dass Kinder der 4. Klasse die Tiere ganz von selbst so ordnen würden: 1. Wassertiere, 2. fliegende Tiere, 3. Vier- und Zweibeiner, 4. kriechende Tiere, 5. Insekten, 6. Haus- und Heimtiere, 7. große und kleine Tiere, 8. schnelle und langsame Tiere. Wobei unter „kriechenden Tieren“ hier Regenwürmer, Raupen, Maulwürfe, Maikäfer, Salamander und Molche zu verstehen sind.

Die Autoren der Studie, denen es ja um die naturwissenschaftliche Didaktik geht, stellen einigermaßen ernüchtert fest, dass die Kinder ihre eigene Ordnung der Dinge auch dann „zum großen Teil beibehalten, wenn sie biologisch-taxonomische Kategorien gelernt haben“. Kinder verfügten offenbar über eine „implizite Theorie von der natürlichen Verwandtschaft der Tiere“. Wir werden noch sehen, wie die Tiere in meinem Garten zu ordnen sind.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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