Ulrike Herrmann: „Die Lösung der Klimakrise? Grünes Schrumpfen!“
Im Gespräch Ulrike Herrmann hat ein Buch über „Das Ende des Kapitalismus“ vorgelegt. Sie glaubt: Nur eine „Kriegswirtschaft“ kann die CO₂-Emissionen rasch senken. Im Gespräch mit Jakob Augstein erklärt sie, wie dieser Übergang gelingen kann
Ulrike Herrmann erhielt für ihren „kritischen und pointierten Wirtschaftsjournalismus“ 2019 den Otto-Brenner-Preis
Foto: Philipp Plum für der Freitag
Auf dem Cover des Bestsellers, den Ulrike Herrmann geschrieben hat, wird einem Das Ende des Kapitalismus versprochen. Das sei nötig, weil unser Wirtschaftssystem auf Wachstum beruhe und das fürs Klima notwendigerweise fatal sei. Die Konsequenz: Der Staat soll die Kontrolle über die Produktion übernehmen! Jakob Augstein hat die Autorin gefragt, wie das gelingen soll.
Jakob Augstein: Frau Herrmann, auf dem Weltklimagipfel hat der amerikanische Präsident gesagt: Die USA wollen in den kommenden Jahren CO₂ einsparen und gleichzeitig eine neue Ära des Wachstums einläuten. Hat Joe Biden Unsinn geredet in Ägypten?
Ulrike Herrmann: Ja, das ist Unsinn. Natürlich ist es richtig, so viele Windräder und Solarpaneele zu installieren wie möglich.
n Unsinn geredet in Ägypten?Ulrike Herrmann: Ja, das ist Unsinn. Natürlich ist es richtig, so viele Windräder und Solarpaneele zu installieren wie möglich. Aber: Die Ökoenergie wird nicht ausreichen für eine kapitalistische Wirtschaft, die auch noch expandieren soll. Trotzdem glaubt nicht nur Joe Biden fest an das Konzept vom grünen Wachstum, sondern auch alle deutschen Parteien sowie die Weltbank, der Internationale Währungsfonds und die EZB.Haben die etwa alle Ihr Buch nicht gelesen?Sehr lustig! (lacht) Grünes Wachstum wird immer noch propagiert, weil die Wähler an diese bequeme Illusion glauben wollen: Alles kann bleiben wie bisher, man muss nur Gas, Kohle und Öl durch klimaneutrale Energien ersetzen. Symbol für dieses Wunschdenken ist das Elektroauto: Garagen, Straßen und die Automobilindustrie müssen sich nicht großartig verändern, nur der Verbrennungsmotor wird ersetzt durch eine Batterie – und dann wird eben Strom getankt statt Diesel oder Benzin.Braucht Kapitalismus zwingend Wachstum?Ja! Ohne Wachstum würde hier bald keine Vollbeschäftigung mehr herrschen, stattdessen Chaos und Arbeitslosigkeit.Wieso?Drei Mechanismen führen im Kapitalismus zum Wachstumszwang. Erstens: In dem Moment, wo es kein Wachstum mehr gibt, können Kredite nicht mehr getilgt werden. Dann gehen die Banken pleite. Zweitens: Unternehmen investieren nur, wenn es zusätzliche Gewinne gibt. Aber was sind zusätzliche Gewinne? Volkswirtschaftlich gesehen nichts anderes als Wachstum. Also: Ohne Wachstum keine neuen Investitionen. Dann sind die Beschäftigten in der deutschen Investitionsgüterindustrie rasch arbeitslos. Drittens: Vollbeschäftigung kann es nur geben, wenn neue Branchen entstehen.Erklären Sie das bitte mal ...Das liegt daran, dass die Unternehmen ihre Waren mit immer weniger Beschäftigten herstellen können, da sie ständig in ihre Produktivität investieren – also in technischen Fortschritt. In einer lang etablierten und technisch weit entwickelten Branche wie etwa der Stahlindustrie gibt es am Ende kaum noch Stellen. Wo also sollen die Kinder der Stahlarbeiter arbeiten? Diese Frage stellt sich nicht, wenn es Wachstum gibt, weil sie dann in neue Branchen einsteigen und zum Beispiel Webdesigner werden können: ein Job, den es vor 20 Jahren kaum gab.Sie sagen: Auch ein Ausbau beim Ökostrom wird nicht reichen für eine wachsende Wirtschaft.Das weiß ich, weil wir 2045 klimaneutral sein müssen – so steht es im deutschen Klimagesetz. Da kann jetzt jeder mitrechnen: Das sind noch 22 Jahre. Und wenn man sich die Geschichte der Technik anschaut, stellt man fest: Die Zyklen der technischen Innovation – von der Entdeckung bis zur Massentauglichkeit – dauern sehr viel länger als nur 22 Jahre.Haben Sie ein Beispiel?Ja: Computer. Er wurde 1945 erfunden, am Ende des Zweiten Weltkriegs. Aber erst heute, 75 Jahre später, sind wir eine digitalisierte Gesellschaft. Die Klimakrise lässt uns jedoch nicht genügend Zeit, um jahrzehntelang auf Innovationen zu warten. Wir können nur die Technik einsetzen, die wir schon haben.Placeholder infobox-1Wenn wir Klimaziele nicht schaffen, geht sofort die Welt unter?Nicht sofort, aber bald. Wenn wir weitermachen wie bisher, besteht die reale Gefahr, dass sich die Erde bis 2100 um sechs Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter erhitzt. Das wäre eine völlig andere Welt, wie die Rückschau zeigt: In der Eiszeit war Berlin unter einer 500 Meter dicken Eisschicht begraben, obwohl die globale Durchschnittstemperatur damals nur sechs Grad niedriger lag als heute. Schon wenige Grad verändern also alles.Kann uns die Kernenergie retten?Leider nicht. Die 423 Reaktoren weltweit produzieren nicht so viel Strom, wie Christian Lindner denkt. Sie decken nur zehn Prozent des globalen Stromverbrauchs. Und wenn man jetzt sagen würde, die AKWs sollen unseren gesamten Bedarf decken, müsste man etwa 15.000 neue Reaktoren bauen. Sehen Sie, wie irre das ist? Zumal das weltweite Uranvorkommen bei so vielen Anlagen nur 13 Jahre hielte.Sie schlagen etwas vor, das Sie grünes Schrumpfen nennen.Genau.Klingt wie eine Krankheit ...Gemeint ist unter anderem: Kein Fliegen mehr, weder Kurz- noch Langstrecke, weil Öko-Kerosin wahnsinnig viel Energie braucht und dafür der grüne Strom nicht reichen wird.Sie sagen, wir müssen zurück ins Jahr 1978. Das ist Realsatire ...Das beruht auf einer kleinen Schätzung von mir. Mal angenommen, es kommt richtig schlimm und wir werden nur 50 Prozent unserer heutigen Wirtschaftsleistung mit Ökoenergie abdecken können. Da habe ich mir also die Frage gestellt: Wo landen wir dann? Das kann man ja schön an den Zahlen der Bundesbank ablesen, wie hoch die Wirtschaftsleistung in welchem Jahr war. Und dann stellt man fest: Die Hälfte der heutigen Wirtschaftsleistung hatten wir in Westdeutschland zuletzt im Jahr 1978.Die Lebenserwartung von Männern lag 1978 bei 70 Jahren. Und heute? 78 Jahre. Geht das in Ihrer Vision dann auch zurück?Nein! Ich sage ja nicht, dass wir auf das technische Wissen von 1978 zurückfallen sollen – sondern nur auf den Energieverbrauch. In den 1970ern sind noch viele Frauen an Brustkrebs gestorben, das war eine regelrechte Epidemie. Wir müssen nicht auf das medizinische Know-how verzichten, das sich seither entwickelt hat. Eine Krebstherapie verbraucht übrigens nicht viel Energie. Ganz im Gegensatz zu zwei Tonnen schweren Autos, die im Schnitt 1,3 Personen transportieren. Das ist totale Verschwendung, auch mit E-Motor. Auf private PKWs müssen wir verzichten ...In der Automobilbranche arbeiten 1,75 Millionen Menschen. Werden die dann alle arbeitslos?Nein. Allein der Klimaschutz wird wahnsinnig viel Arbeit machen: Unter anderem müssen Windräder installiert, Gebäude gedämmt und Wärmepumpen eingebaut werden.Wie klappt der Übergang zu Ihrer grün geschrumpften Wirtschaft?Na ja, ich bin ja nicht nur Bankkauffrau, sondern auch Historikerin. Und in der Geschichte gibt es ein gutes Beispiel für eine kapitalistische Wirtschaft, die vom Staat geschrumpft wurde, ohne dass Chaos oder Stalinismus ausgebrochen wären.Sie denken an die britische Kriegswirtschaft von 1939 ...Genau. Die Briten haben damals den Zweiten Weltkrieg nicht wirklich kommen sehen. Es war aber klar, dass Hitler nur gewinnen kann, wenn er Großbritannien besetzt – was ihm auch völlig bewusst war. Die Engländer befanden sich also in einer absoluten Notlage: Sie würden ganz sicher angegriffen werden, hatten aber nicht genug Waffen für die Verteidigung! In dieser Situation blieb ihnen nur noch eins: Sie mussten ihren normalen Konsum reduzieren, um die Fabriken freizuräumen für die Produktion von Militärgerät. Das wurde schnell umgesetzt, nicht in Jahrzehnten. Damals ist in Großbritannien ein ganz neues Wirtschaftssystem entstanden: eine demokratische, private Planwirtschaft, in der die Manager ihre Unternehmen zwar weiter eigenständig führten, der Staat aber vorgegeben hat, was noch produziert werden darf.Gibt es in Deutschland heute schon Beispiele oder Anzeichen für so eine Planwirtschaft?Das erste Gut, das in Deutschland rationiert werden wird, ist Wasser. Wir werden hier zwar nicht zur Wüste, aber die Hitze- und Dürreperioden werden sich immer weiter ausdehnen. Das Bemerkenswerte ist: Immer, wenn ein existenzielles Gut knapp wird, interessiert sich niemand mehr für Markt, Preise und Wettbewerbsmechanismen – sondern dann rufen alle nach dem Staat! Erste Vorboten davon sieht man bereits im brandenburgischen Landkreis Strausberg-Erkner, wo Zugezogene ab 2025 nur noch 105 Liter pro Tag und Kopf zugeteilt bekommen – das ist der Anfang der Rationierung.Bei Ihnen findet man, wie in vielen Gesellschaftskritiken, ein Lob des Verzichts.Ja. Es gibt eine sehr intelligente Studie des Umweltbundesamtes: Da hat man repräsentative Haushalte befragt, wie viele Sachen sie haben. Da wurde jeder Löffel mitgezählt, und heraus kamen 10.000 Gegenstände. Anschließend wurden die Leute gefragt, wie viel sie davon im Alltag benutzen. Und da landete man dann bei 5.000 Gegenständen, also der Hälfte.Aber wie wollen Sie Schrumpfen und Verzicht durchsetzen?Sie haben schon recht: Wenn ich jetzt eine „Partei für Verzicht“ gründen würde ...Oder die 1978er-Partei ...... dann würde mich wohl keiner wählen. Aber ich bin ja auch keine Politikerin, sondern Journalistin. Ich habe die Freiheit, ganz nüchtern zu analysieren, welche Klimapolitik funktionieren würde. Es wäre fatal, wenn man nur noch denken dürfte, wofür es bereits politische Mehrheiten gibt. Dann könnte man das Denken komplett einstellen, weil es schon gedacht wird – von der Mehrheit nämlich. Fortschritt wäre dann überhaupt nicht mehr möglich.Placeholder authorbio-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.