Verschweigen, was ist

Medien Die "Bild"-Zeitung hat ihren Schrecken verloren, und die schärfsten Gegner haben ihr dabei geholfen. Aber das Blatt bleibt gefährlich
Das Ergebnis investigativer Recherche seitens de "Bild"? Die Nannen-Preis-Jury sieht es so
Das Ergebnis investigativer Recherche seitens de "Bild"? Die Nannen-Preis-Jury sieht es so

Foto: Adam Berry / AFP/ Getty Images

Neulich bekam SPD-Chef Sigmar Gabriel Gelegenheit für einen echt sozialdemokratischen Auftritt: „50 Stunden Arbeit, um nicht beim Staat betteln zu müssen – das sind Zustände wie im 19. Jahrhundert! Dagegen hilft nur ein gesetzlicher Mindestlohn für alle.“ Gesehen auf Seite Eins der Bild-Zeitung. Springers Sturmgeschütz der Demagogie als Vorreiter für die soziale Sache? 60 Jahre nach Gründung ist auch bei Bild nicht alles, wie es mal war. Mancher will das nicht wahrhaben: Die Feindschaft gegenüber dem Blatt ist in sich besser wähnenden Kreisen immer noch Pflicht. Dabei missverstehen die Kritiker nicht nur das Wesen des Boulevard-Journalismus, sie unterschätzen auch die eigentliche Gefahr, die von Bild ausgeht: Man muss den Bild-Machern weniger vorwerfen, was sie schreiben – als vielmehr, was sie verschweigen.

Vor einigen Tagen brach in Hamburg für Bild-Feinde eine Welt zusammen: Ihr Hassobjekt wurde mit dem Nannen-Preis ausgezeichnet, ausgerechnet für investigativen Journalismus in der Wulff-Affäre. Falls Henri Nannen und Axel Springer nebeneinander im Fegefeuer der Eitelkeiten schmoren, dürfte diese Juryentscheidung für Verblüffung auf beiden Seiten gesorgt haben. Schon vor der Preisverleihung hatte Antje Vollmer gewarnt, die Auszeichnung wäre für Bild-Chef Kai Diekmann ein „Ritterschlag mit Zugang zur Artusrunde“. Ihre ganze grüne Entrüstung gipfelte in dem Vorwurf, Diekmann wolle „sein Blatt aus dem Geruch der Gosse“ holen und sei „der Erfinder einer eigenen Recherche-Abteilung im Haus, die mit dem Spiegel konkurrieren will“. Normalerweise freut man sich, wenn Zeitungen in Recherche investieren. Nicht so bei Bild.

Spannend auch die Entrüstung der taz. Der Nannen-Preis für Bild, sei ein „Dammbruch“, schrieben die Schleusenwärter von der Dutschke-Straße. Hier werde eine jahrelange Imagekampagne gekrönt, die nur einen Zweck gehabt habe: „Bild den Schrecken zu nehmen.“ Dabei ist es nicht zuletzt der taz zu verdanken, dass das Springer-Blatt seinen Schrecken verlor. Für die taz ist der Kampf gegen Bild längst zum Produkt geworden, zum Teil der Marketingstrategie des Kreuzberg-Lifestyle. Was die taz-Genossen vergaßen: Verharmlosung ist Teil der kapitalistischen Verwertungslogik. Die taz hat die Bild-Zeitung durch die große Ironisierungstrommel gedreht – und sie dabei weiß und weich gewaschen. Kai Diekmann hatte gewonnen, als die taz seinen Riesenpimmel an ihre Hauswand heftete.

Ignorieren statt boykottieren?

Wie soll man aber mit dem Objekt der Ablehnung sonst verfahren? Wolfgang Storz, ehemaliger Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, hat für alle Bild-Feinde den ultimativen Rat: „Boykottieren Sie nicht, tun Sie einfach nichts. Sehen Sie in der Bild-Zeitung kein Leitmedium, kupfern Sie Themen und Machart nicht ab. Wer unbedingt will, genieße Diekmann Wagner als selbstironische Größenwahnsinnige. Aber: nicht ernst nehmen.“ Als letzter Ausweg also Wegsehen und Verharmlosen. Das ist dann die endgültige Kapitulation der Kritik. Dabei hätte man es wissen können. Heinrich Böll schrieb schon 1984: „Kein Zweifel, Bild hat gesiegt, trotz Müller, Wallraff, Staeck und anderen. Nein, wir kommen nicht dagegen an, wir müssen die Seuche ertragen.“

Den richtigen Weg hat Stefan Niggemeier beschritten, wahrscheinlich der einzige wirklich unabhängige Medienjournalist im Land: Er hatte vor Jahren im Netz damit begonnen, die Bild-Geschichten systematisch auf Faktentreue zu prüfen. In Deutschland sind fehlerhafte Artikel selbst für eine Boulevard-Zeitung gefährlicher als jede Entrüstungsrhetorik. Ungewollt hat allerdings auch Niggemeier dem Springer Verlag damit einen Dienst erwiesen: Er hat der Bild-Zeitung geholfen, ihre Qualität zu verbessern. Bild-Chef Diekmann hat die Energie des Gegners für seine eigenen Ziele genutzt. Sein Blatt belegt auf der Liste der meistzitierten Medien hinter dem Spiegel inzwischen den zweiten Platz. Bild lügt? Schön wäre es!

Dabei ist der Kampf gegen Bild ein Missverständnis. Personalisierung und Kampagne sind das Wesen des Boulevard. Es ist unsinnig, der Bild vorzuwerfen, nicht die Neue Zürcher Zeitung zu sein. Immer häufiger bedient sich das Blatt nun auch des ganz normalen Journalismus. Die Auflage würde sonst vermutlich noch schneller sinken. Das macht die Zeitung noch gefährlicher. Aber nicht wegen der Artikel, die dort erscheinen. Sondern wegen derjenigen, die nicht erscheinen. Wahre Meinungsmacht entfaltet sich da, wo das Blatt schweigt: Die Gräuel der israelischen Besatzungspolitik, die Erfolge der islamischen Integration in Deutschland, das Verschulden der Banken in der Finanzkrise – das findet alles nicht statt. Am besten verdreht man die Tatsachen, indem man sie verschweigt.

Der ewige Kampf gegen die Bild-Zeitung ist ein Kampf gegen die eigenen Dämonen. Und die müssen bekanntlich am heftigsten bekämpft werden. Neulich hat die taz geschrieben, der neue Bundespräsident betreibe eine „Verharmlosung des Holocaust“, was ja ein starker Vorwurf gegen ein deutsches Staatsoberhaupt ist. Da hat der Grüne Jürgen Trittin geschimpft, das sei „Schweinejournalismus“, den er sonst nur von der Bild-Zeitung kenne. Trittin sagte, die taz solle sich entschuldigen. Davon wollte die taz-Chefredakteurin aber nichts wissen. Sie berief sich auf die Meinungsfreiheit. Diekmann lässt grüßen.

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