Wann kann man nur noch Kies ausstreuen?

Gärtner Was macht man mit Stellen, an denen nichts wachsen will? Am besten versucht man es mit "Geranium macrorrhizum". Wenn man mit der Pflanze durch die Polizeikontrolle kommt

Liebe Gartenfreunde, es gibt im Garten aussichtslose Lagen: trockener Schatten verbunden mit schlechtem Boden. Bei mir sorgt die enorme Rotbuche des Nachbarn dafür, deren Wurzelwerk sich um die Gemarkung der Flurstücke ebensowenig kümmert wie die Krone, die bei mir einen guten Teil von Haus und Grundstück beschirmt. Gegen diesen wirklich beeindruckenden und bewundernswerten Baum, der lange vor uns da war und uns alle überdauern wird, muss ich unterliegen.

Als ich noch jünger und siegessicher war, habe ich allerhand versucht, der Buche ein paar Pflanzen unterzujubeln. Ich habe mit großen Rhododendren an­gefangen. Sie sind gestorben. Ich habe es mit kleineren Azaleen versucht. Sie sind eingegangen. Ich habe es mit den beiden üblichen Bodendeckern Winka und Pachysandra versucht, aber auch die haben nicht überlebt. Meine letzte Hoffnung war ein Storchschnabel, genauer der Balkan-Storchschnabel Geranium macrorrhizum. Ich habe den Boden mit der Spitzhacke aufgelockert und eine Mischung aus Phosphaten und Kaliumoxid in die Krume gerührt, dann ungefähr zwanzig Geranium-Ableger eingesetzt, gut gegossen – und gewartet. Es ist nichts passiert.

Der größte anzunehmende Ernstfall

Das Geranium ist an Ort und Stelle umgekommen. Selbst diese hartnäckigste aller Pflanzen hat hier kapituliert. Der Boden war so fest, dass die Rhizome keinen Grund fanden. Das ist für den Gärtner der größte anzunehmende Ernstfall. Man muss wissen, wann es heißt, loszulassen. Da hilft es nur noch, eine Ladung Kies auszustreuen und die Fläche zum Abstellen der Fahrräder zu gebrauchen.

Das Geranium macrorrhizum, das unter meiner Buche den Geist aufgab, ist der zuverlässigste Bodendecker, den ich kenne. Geranium macrorrhizum heißt auch Balkan-Storchschnabel, weil es in den Ländern Südosteuropas reichlich wächst und eine besondere Rolle spielt. Zdravetz wird es in Bulgarien schlicht genannt: Gesundheit, Stärke. Es gibt in Mazedonien Dörfer, in denen Frauen am Vorabend des 23. April, dem Georgstag, Geranium­-blätter sammeln, damit Mensch und Vieh gesund bleiben. Am nächsten Morgen waschen sie sich im Fluss mit Rosen und Geraniumblättern und werden so rot wie die Rose und so kräftig wie das Geranium.

Geranium macrorrhizum duftet stark und klebt ein bisschen. Wenn Sie nicht in einem mazedonischen Dorf leben, sondern sich die Pflanze mit dem Auto aus einem Gartenmarkt holen, sollten Sie danach Polizeikontrollen weiträumig umfahren. Der Geruch ähnelt stark demjenigen von Haschisch – soweit ich mich daran erinnere – und hat etwas Betörendes. Das liegt an den ätherischen Ölen, über die diese Pflanze verfügt. Damit lässt sich eine Menge anfangen.

Für Aromatherapeuten

In Bulgarien wird Geranium macrorrhizum auf ausgedehnten Feldern angebaut. Aus den Blättern wird das berühmte Zdravetz-Öl gewonnen. Die Pflanze ist voll von flavonoiden Phenolen, Tanninen und Germacron. Tolles Zeug, auf das Aromatherapeuten schwören. Es wird zum Beispiel als Ersatz für Rosenöl benutzt. Geranium-Öl ist billiger und einfacher herzustellen, es lindert Stress, vertreibt Melancholie und Ängste, hilft bei Menstruationsproblemen. Sagt man jedenfalls.

Hagers Handbuch der pharmazeutischen Praxis hat sich diesem Öl mal streng wissenschaftlich angenommen. Danach soll es tatsächlich blutdrucksenkende Wirkung haben, allerdings werden nur Versuche bei Hunden und Katzen beschrieben. Gleichzeitig – und da scheint mir ein Widerspruch zu liegen – ist zu lesen, dass man in Bulgarien diesem Geranium sexuelle Stimulierung zuschreibe. Dem Gärtner steht es also frei, das Kraut zunächst an seinen Haustieren, dann an sich selbst auszuprobieren.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

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