Liebe Gartenfreunde, die Redewendung „jemandem zeigen, was eine Harke ist“, ist schon sehr alt. Sie stammt aus einer Zeit lange vor Erfindung motorbetriebener Laubgebläse, aus dem 16. Jahrhundert nämlich. Im Jahr 1540 erschien in Zwickau von dem Goldschmied Hans Ackermann die Geschichte Der ungeratene Sohn. Zwickau war damals keine abgeschlagene sächsische Provinzstadt wie heute, sondern, um mal die Worte Melanchtons zu nehmen, „eine Perle in diesen Landen“. Das bedeutete aus Melanchtons Sicht natürlich, dass Zwickau ein Zentrum der Reformation war. Luther war da. Und Thomas Münzer war auch da.
Die Geschichte vom ungeratenen Sohn war jedenfalls ein lutherisches Lehrstück, in dem es am Ende um die göttliche Gnade geht, die der Mensch nur von Jesus Christus erbitten kann. Niemand kann ihm dabei helfen, er muss das direkt mit Jesus abmachen. In der Geschichte gibt es einen Bauernsohn, der in die Fremde gezogen ist. Und dort Latein gelernt hat. Und dann kehrt er nach Hause zurück und tut so, als verstünde er seine eigene Sprache nicht mehr, nicht mal mehr die Worte für die einfachsten Gegenstände wollen ihm einfallen. Zum Beispiel weiß er nicht mehr, was eine Harke ist.
Der Rasen bekommt Luft
An dieser Stelle müssen wir einen Einschub machen: Was ist denn eigentlich eine Harke? Ein Werkzeug aus der Garten- und Landarbeit. Zur Bodenbearbeitung. Oder Bodenpflege. Je nachdem. Eine Harke hat einen Stiel und unten eine Anzahl von Zinken, je nachdem wie groß die Harke ist und welchem bestimmten Zweck sie dient. Man kann sich zum Beispiel eine Harke mit fünf Zinken vorstellen, jeweils sieben Zentimeter lang, mit einem Stiel aus Eschenholz, dessen Gesamtlänge 133,5 Zentimeter beträgt. Eine Harke mit einem Gesamtgewicht von 690 Gramm. So eine habe ich nämlich. Das wäre mal ein Beispiel für eine Harke. Es gibt andere. Federbesen, Laubbesen, Laubrechen, Fächerbesen, Fächerrechen. Alles Harken. Sie eignen sich hervorragend dazu, Laub zusammenzukehren. Sie pflegen dabei den Rasen, weil sie ihm Luft zuführen, ihn von abgestorbenen Halmen befreien und gleichzeit das Unkraut schwächen. Es ist für den Rasen schön, wenn er geharkt wird. Und wenn man es vorsichtig und behutsam macht, gilt das auch für die Staudenbeete.
Nehmt! Eine! Harke! Ihr! Idioten!
Also, das alles hatte der Bauernsohn vergessen. Und tritt auf eine am Boden liegende Harke, auf das Kopfstück, die Zinken weisen nach oben, was dazu führt, dass der Stiel mit beachtlicher Geschwindigkeit nach oben schnellt und, das bringen die Anatomie des Bauernsohns und die der Harke mit sich, den Mann voll am Kopf erwischt. In diesem Augenblick ruft er aus: „Verfluchte Harke“, ist also von seinem Hochmut geheilt und weiß wieder, was eine Harke ist.
Jetzt, da alles voll Laub ist, scheint mir die richtige Jahreszeit für diese Geschichte: die Jahreszeit der Laubbläser. Ich sehe und höre jetzt allerorten Männer – es sind immer nur Männer –, die sich kleine, handliche 1-PS-Motoren auf den Rücken geschnallt haben und mit einem langen Plastikpimmel in der Hand Laubwolken vor sich herpusten, mit Spitzengeschwindigkeiten von über 300 Stundenkilometern. Die Schallbelastung solcher Geräte liegt am Ohr des Verursachers bei etwa 100 Dezibel, in einigen Metern Entfernung noch bei 80. Das ist Wahnsinn. Man möchte Ihnen zurufen: Nehmt! Eine! Harke! Ihr! Idioten! Aber sie haben ja vergessen, was eine Harke ist. Immerhin werden bei dieser Art der Gartenpflege Myriaden von Pilzen und Sporen aufgewirbelt, die sonst harmlos in der Erde schlummern würden. Die atmet der Laubbläser dann ein, und in seiner Lunge beginnen sie ihr Vernichtungswerk. Das verschafft mir eine gewisse Genugtuung.
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