Was halten Sie von Statuen?

Koch oder Gärtner? Jakob Augstein hält sich jetzt einen Löwen im Garten. Der grinst wie die Grinsekatze aus "Alice im Wunderland"

Liebe Gartenfreunde,

ich habe neulich einen Löwen gekauft. Aus Sandstein. Er ist schon ein bisschen älter und hat ein paar Risse und sieht, wenn man ehrlich ist, ziemlich scheddrig aus. Darum war er auch nicht so teuer. Aber es ist ein Löwe, und er gehört jetzt mir, und das Allerbeste an ihm ist: Er lächelt. Oder nein, er grinst. Er ist ein Grinselöwe.

Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, kam es mir gleich bekannt vor, dieses Grinsen. Ich hatte es als kleiner Junge schon gesehen, in einem Kinderbuch meiner Schwester. Ich rede natürlich vom Grinsen der Cheshire Cat aus Alice im Wunderland, die in der deutschen Übersetzung den wunderschönen Namen Grinsekatze bekommen hat. John Tenniel hat sie für die Originalausgabe des Buches gezeichnet. Das Bemerkenswerte an der Cheshire Cat war ja, wie jeder Leser des Buches sich zweifellos erinnert, dass sie sich bis zu dem Punkt in Luft auflösen kann, dass nur ihr Grinsen zurückbleibt. Tenniel ist es damals gelungen, dafür ein Bild zu finden. Seine Katze ist um ihr Grinsen herum gezeichnet und man kann sich das Grinsen auch sehr gut ohne Katze vorstellen. So ist das auch mit meinem Löwen. Es kann sich natürlich um einen Zufall handeln. Aber ich ziehe es vor, der Meinung zu sein, dass der Steinmetz Tenniels Katze nachbilden wollte. Und ich finde, es ist ihm gelungen: Ich gucke den Löwen an und am Ende sehe ich nur noch sein Grinsen.

Eigentlich sind Statuen im Garten ja immer ein bisschen schwierig. Die größeren Baumärkte am Stadtrand werden von ganzen Kolonien aus Gips bevölkert, deren Originale und Vorbilder sich im Louvre finden, in den Uffizien, in den vatikanischen Museen oder auch nur auf dem nahegelegenen Minigolfplatz. Michelangelos David, Myrons Diskurswerfer, Rodins Denker, jede Menge junger Mädchen, die ihre Gipsbrüste raushängen lassen, um wahlweise Frühling, Sommer, Herbst und Winter darzustellen oder Gartenzwerge in allen Varianten, ob klassisch mit Hacke und Spaten oder postmodern-eklektizistisch beim Beischlaf oder mit Beil im Rücken: wenn Sie lange genug suchen, finden Sie alles! In Wahrheit würde ich die Finger davon lassen. Auch der ironischen Brechung sind da enge Grenzen gesetzt: Selbst wenn Sie einen Sado-Maso-Zwerg aufstellen, um sich über die Leute lustig zu machen, die normale Gartenzwerge gut finden, haben Sie am Ende einen Gartenzwerg aufgestellt.

Mein Löwe wiegt 500 Kilogramm, und die Spedition hat ihn schon im vergangenen Winter geliefert. Der Fahrer hat ihn einfach auf dem Bordstein abgestellt und mir einen schönen Tag gewünscht. Wir sind dann eine Woche lang in der Gegend herumgelaufen, bis wir einen Baggerfahrer gefunden haben, der so freundlich war, hinter uns herzurumpeln und diese für uns vollkommen unbewegliche Kiste kurz mal über den Zaun zu heben. Als wir sie öffneten, stellten wir fest, dass der Löwe falsch herum eingepackt worden war. Er guckte darum ein Jahr lang das Haus an. Am vergangenen Wochenende haben ein kleiner Kran und fünf Mann ihn umgedreht und ausgerichtet. Danke dafür! (Mein Löwe guckt nach rechts. Es war gar nicht so einfach, einen Platz für ihn zu finden.) Seitdem ist in meinem Leben etwas anders geworden. Wenn ich jetzt das Haus verlasse spüre ich sein Grinsen im Rücken.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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