Was macht einen Menschen zum Gärtner?

Koch oder Gärtner Garten heißt Arbeit, weiß der Gärtner, und erinnert sich an die Erkenntnis, die er in Saal 6 des Naturkundemuseums gewann: Der Neandertaler war der erste echte Marxist

Liebe Gartenfreunde, der Frühling ist ja nicht die Zeit des Gärtners. Die Gartenmärkte setzen in ihrer Werbung ganz auf das Frühjahr und den Sommer. Nichts gegen die Gartenmärkte, im Gegenteil. Gartenmärkte sind besondere Orte der Freude. Je größer, desto besser. Aber hier irren sie. Ich rate Ihnen, Ihren Garten im Frühling weitgehend in Ruhe zu lassen und die Pflanzen nicht beim Wachsen zu stören. Es ist der Herbst, auf den es ankommt.

Der Herbst lässt sich nur nicht so gut verkaufen. Er fordert vom Gärtner, das Warten zu lernen. Der Gartenmarkt sagt: Kaufen Sie jetzt und genießen Sie jetzt. Der Herbst sagt: Arbeiten Sie jetzt und warten Sie auf die Früchte. Warten können ist ein Zeichen der Reife. Der Herbst ist für Erwachsene, der Gartenmarkt für Kinder. Darum lieben wir den Gartenmarkt und arbeiten im Herbst.

Garten bedeutet Arbeit. Man kann das nicht oft genug betonen und unterstreichen. So etwas wie „Garten light“ gibt es nicht. Tun Sie es oder lassen Sie es. Wenn Sie sich dem Garten widmen, verschreiben Sie sich der Arbeit.

Rilke, der sich nicht so viel mit dem Garten befasst hat, dafür aber umso mehr mit der Liebe, hat gesagt: „Es gibt nichts Glücklicheres als die Arbeit, und Liebe, gerade weil sie das äußerste Glück ist, kann nichts anderes als Arbeit sein. – Wer also liebt, der muss versuchen, sich zu benehmen, als ob er eine große Arbeit hätte: Er muss viel allein sein und in sich gehen und sich zusammenfassen und sich festhalten; er muss arbeiten; er muss etwas werden!“ Ja! Das ist es, was den Menschen zum Gärtner macht: die Arbeit, das Alleinsein, das Insichgehen. Und dann etwas werden.

Die Kröne der Schöpfung

Die große Bedeutung der Arbeit für den Menschen ist lange bekannt. Eine der hübschesten Manifestationen dafür, dass die Arbeit wichtig ist und wir das lange wissen, wurde leider abgeräumt und ausgelöscht. Sie soll darum hier ein kleines Denkmal erhalten: Es geht um den Saal Sechs des Museums für Naturkunde an der Berliner Invalidenstraße. Und zwar um den Saal in jenem Zustand, den er zum Zeitpunkt des Falls der Berliner Mauer hatte und auch noch einige Jahre danach. Saal Sechs war seinerzeit der Krone der Schöpfung gewidmet: dem Menschen, dem sozialistischen. Linker Hand verlief in dem fensterlosen Raum eine Glasfront, ein paar Meter lang. Da waren ein paar Knochen zu sehen und ein paar Schau­tafeln. Es lohnte sich, einen Blick drauf zu werfen: Die Genese des historischen Materialismus wurde da kurz zusammengefasst, wenn nicht die des dialektischen.

Schon in der Steinzeit hat nämlich das Sein das Bewusstsein bestimmt. Es fing mit dem Australopithecus an, vor ungefähr drei bis fünf Millionen Jahren: „Die Anfänge der Arbeit fanden in der Geräteherstellung ihren Niederschlag“, stand da. Beim Homo Erectus hatte „die Arbeit ihren ­instinktmäßigen Charakter noch nicht ganz verloren, war jedoch zur Grundlage der menschlichen Existenz geworden“. Das klang freilich noch zurückhaltend.

Der Neandertaler war schließlich der erste echte Marxist: „Die Arbeit wurde zur Einheit von Denken und Handeln“, sagt das Museum: „Die Ausgestaltung der Wechselbeziehungen zwischen Produktivkräften, Produktionsverhältnissen sowie geistigem und institutionellem Überbau bestimmten von nun an die Veränderung der Lebensweise des Menschen.“ Und das Leben des Homo Sapiens, das ist eh klar, drehte sich hauptsächlich um das „dialektische Wechselverhältnis zwischen Stand der Produktion einerseits und den gesellschaft­lichen und individuellen Bedürfnissen andererseits“.

Im Zuge der Renovierung und Modernisierung des Museums wurden diese dialektisch-didaktischen Hinweise leider entfernt.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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