Was nervt an der Natur besonders?

Koch oder Gärtner Unser Gärtner hat Foucault gelesen und andere Philosophen, er ist ein Mensch und sucht Ordnung. Die findet er nirgends, auch nicht in der rätselhaften Natur

Das Leben des Gärtners ist der Ordnung gewidmet. Ohne Ordnung ist der ganze Garten nichts. Das ist die Wahrheit. Sie gilt für den Gärtner, der seinen je nach Jahreszeiten wechselnden Pflichten nachkommen muss, wenn der Garten gelingen soll.

Bei dem Thema kommt man um Michel Foucault nicht herum. Er hat ein Buch darüber geschrieben. Die Ordnung der Dinge beginnt so: „Dieses Buch hat ­seine Entstehung einem Text von Borges zu verdanken. Dem Lachen, das bei seiner Lektüre alle Vertrautheiten unseres Denkens aufrüttelt, des Denkens unserer Zeit und unseres Raumes, das alle geordneten Oberflächen und alle Pläne erschüttert, die für uns die zahlenmäßige Zunahme der Lebewesen klug erscheinen lassen und unsere tausendjährige Handhabung des Gleichen und des Anderen (du Même de l‘Autre) schwanken lässt und in Unruhe versetzt. Dieser Text zitiert ‚eine gewisse chinesische Enzyklopädie‘, in der es heißt, dass die Tiere sich wie folgt gruppieren: a) Tiere, die dem Kaiser gehören, b) einbalsamierte Tiere, c) gezähmte, d) Milchschweine, e) Sirenen, f) Fabeltiere, g) herrenlose Hunde, h) in diese Gruppierung gehörige, i) die sich wie Tolle gebärden, k) die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind, l) und so weiter, m) die den Wasserkrug zerbrochen haben, n) die von weitem wie Fliegen aussehen‘. Bei dem Erstaunen über diese Taxonomie erreicht man mit einem Sprung, was in dieser Aufzählung uns als der exotische Zauber eines anderen Denkens bezeichnet wird – die Grenze unseres Denkens: die schiere ­Unmöglichkeit, das zu denken.“

Die Pflanzen schweigen

Foucault zitiert Borges, der in seinem Text Franz Kuhn zitiert, von dem er den Hinweis auf „eine gewisse chinesische Enzyklopädie“ habe. Das erste Zitat ist echt, das zweite nicht. Kuhn, den es gab, und der ein Übersetzer aus dem Chinesischen war, hat mit keiner chinesischen Enzyklopädie zu tun gehabt. Borges macht ein kleines Spiel mit dem Leser. Der Sinn ist klar: Unsere Ordnungen sind ein Trugbild, sie setzen Rätsel an die Stelle von Rätseln, die Dinge werden uns ihr Geheimnis nicht offenbaren.

Es wäre toll, würden sich die Pflanzen der menschlichen Sehnsucht nach Klarheit unterwerfen. Ohne Ordnung ist es verdammt schwer, dem Urwald des Lebendigen Herr zu werden. Ohne Namen und Zusammenhänge ist das da draußen nichts als Grünzeug. Nun ist aber die Pflanze ein Stück Natur – der Mensch mit seiner Ordnung ist es nicht. Darum entzieht sich die Pflanze leider dem menschlichen Bedürfnis nach Strukturierung. Das Vorhaben, verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den Pflanzen herzustellen, Hierarchisierungen, Abstammungen, Gemeinsamkeiten, also Ordnungen, Strukturen, ja Sinn – das ist den Pflanzen gleichgültig, so wie der Natur der Mensch ja ohnehin gleichgültig ist. Das nervt an der Natur ja so: Dass sie sich für uns nicht interessiert. Wir gehen in die Natur mit all unserer Sehnsucht. Aber die Natur schweigt. Und dann ist man noch gut weggekommen.

Denken wir an Timothy Treadwell, den Bärenmann, der viele Jahre bei den Grizzlys in Alaska verbrachte. Treadwell sagte, er liebe die Bären und die Bären liebten ihn. Bis er eines Tages von einem großen Grizzly gefressen wurde, Bär 141, wie die Wildhüter ihn nannten. Sie haben ihn erschossen und aus seinem Leib einige Teile Treadwells und dessen Freundin geschnitten. Werner Herzog hat darüber einen Dokumentarfilm gedreht. Darin kommen auch ein paar Indianer zu Wort, die sagen, Treadwell sei ein Idiot gewesen, den Bären so auf die Pelle zu rücken. Bären seien nämlich tatsächlich sehr ­gefährliche Tiere. Die Natur kümmert sich nicht um uns. Oder wie es bei Didi und Stulle heißt, den Comicfiguren aus Berlin: „Du sagst Aua, aber dit Universum fragt: War wat?“

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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