Was weiß der Palmer vom Hegel?

Hegelplatz 1 Jakob Augstein traf bei Markus Lanz auf wunderliche Menschen und Ansichten
Ausgabe 40/2019
Haben wir Sie da richtig verstanden, Herr Palmer?
Haben wir Sie da richtig verstanden, Herr Palmer?

Foto: Imago Images/Reiner Zensen

Wir hier am Hegelplatz gucken natürlich fern so wie die meisten Bundesbürger. Am liebsten Talkshows. Illner, Maischberger, Plasberg, Will: Da treffen sich spannende Leute in lockerer Runde – und ganz gleich, ob da mit leichtem Florett gefochten wird oder mit dem Holzhammer, es geht immer lustig zu und auf hohem und allerhöchstem Niveau. Oder manchmal jedenfalls.

Manchmal erreicht auch uns hier am Hegelplatz eine Einladung in einen dieser Kreise, und dann sind wir ziemlich aufgeregt, weil wir natürlich auch dazugehören wollen, wer will das nicht?, aber als kleine linke Zeitung, die wir sind, sind unserem Dazugehören gewisse natürliche Grenzen gesetzt.

Neulich durfte ich also bei Lanz sein. Lanz ist die sympathischste Talkshow im sogenannten Hauptprogramm, es ist eine heitere Plauderrunde, wie es sie schon zu Zeiten von Dietmar Schönherr gegeben hat. An diesem Abend saß ich aber nicht mit Romy Schneider zusammen, sondern mit Boris Palmer. Der hat ein Buch geschrieben, gegen „Identitätspolitik“ und gegen zu viel „Moral“. Ich habe das in Anführungszeichen gesetzt, weil ich nicht sicher bin, ob ich Palmer verstanden habe.

Lassen wir mal „Identitätspolitik” beiseite. Obwohl ich finde, dass alte weiße Männer damit rechnen müssen, als solche bezeichnet zu werden, wenn sie sich zu gesellschaftspolitischen Fragen äußern, die sie in Wahrheit nicht wirklich beurteilen können – zum Beispiel ob eine Frau oder ein Mensch mit Migrationshintergrund sich in einer bestimmten Situation benachteiligt fühlt, hat Palmer wahrscheinlich recht, wenn er sagt, es gehe nicht an, dass alte weiße Männer sich zu gar nichts mehr äußern dürften.

Aber Palmer findet auch, dass wir einen Überschuss an Moral haben – und er bemüht dafür ausgerechnet unseren lieben Hegel, der gesagt habe, zu jeder These müsse es auch eine Antithese geben und wenn das Pendel zu weit in die eine Richtung ausschlage, müsse es auch weit in die andere ausschlagen. Palmer macht sich über Moral sogar ein bisschen lustig und sagt, in einer Zeit, in der Bildung und Reichtum als Distinktionsmerkmale nicht mehr taugten, wollten die Leute sich durch ihre Moral auszeichnen. Aber das mit der Moral, das ist ungefähr der sonderbarste Vorwurf, den ich je gehört habe. Ich glaube ja, Palmer irrt. Aber selbst wenn nicht – das wäre doch toll. Man stelle sich das mal vor – die Leute wetteifern nicht mehr darum, wer den größten Mercedes hat. Sondern darum, wer der beste Mensch ist. Irre.

Dagegen kann man doch eigentlich nichts haben. Aber es könnte sein, dass Palmer, der für die Grünen Oberbürgermeister in Tübingen ist und Mathematik studiert hat, Hegel nicht richtig verstanden hat und ich Palmer nicht.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Kommentarfunktion deaktiviert

Die Kommentarfunktion wurde für diesen Beitrag deaktiviert. Deshalb können Sie das Eingabefeld für Kommentare nicht sehen.